Nachfolgend ein Beitrag vom 20.6.2017 von Viefhues, jurisPR-FamR 12/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit für den Elternunterhalt ist der vom Unterhaltsschuldner an sein minderjähriges Kind geleistete Betreuungsunterhalt nicht zu monetarisieren.
2. Die Leistungsfähigkeit ist jedoch um dasjenige gemindert, was der Unterhaltsschuldner an sein minderjähriges Kind neben der Betreuungsleistung als Barunterhalt in der Form von Naturalunterhalt erbringt. Dieser errechnet sich nach dem Tabellenunterhalt aus dem gemeinsamen Einkommen beider Elternteile unter Abzug des halben Kindergelds und des vom anderen Elternteil geleisteten Barunterhalts.
3. Das dem betreuenden Elternteil zustehende hälftige Kindergeld ist kein unterhaltsrelevantes Einkommen.
4. Trifft die Kinderbetreuung mit einer Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils zusammen, ist nicht ein pauschaler Betreuungsbonus zu gewähren, sondern hängt es von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit das erzielte Einkommen ganz oder teilweise als überobligatorisch unberücksichtigt bleibt.

A. Problemstellung

Der an ein minderjähriges Kind gezahlte Barunterhalt ist vom Einkommen einer auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Person abzuziehen. Unklar ist aber, wie zu verfahren ist, wenn die in Anspruch genommene Person keinen Barunterhalt leistet, sondern das minderjährige Kind betreut.
Im Fall des BGH betreut die in Anspruch genommene Tochter ihren zunächst elf-, später zwölfjährigen Sohn, von dessen Vater sie getrennt lebte und der für das Kind Barunterhalt leistete.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Oberlandesgericht hatte den von der Tochter für ihr Kind geleisteten Betreuungsunterhalt monetarisiert und von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen abgezogen.
Dies hat der BGH abgelehnt, da die neben dem Barunterhalt geschuldete Betreuung des Kindes durch seine Mutter nicht auf Geldleistung gerichtet sei (kritisch hierzu Graba, NZFam 2017, 314; vgl. auch Maaß, FamRZ 2017, 713, 714).
Die Betreuung des Kindes sei nicht unmittelbar einkommensmindernd. Jedoch könne sich unter den Voraussetzungen der §§ 1570 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Abs. 2, 1615l Abs. 2 Sätze 4 und 5 BGB die daneben geleistete Erwerbstätigkeit als überobligatorisch darstellen, so dass erzieltes Einkommen nur anteilig zu berücksichtigen sei.
Nicht zu beanstanden sei, dass das Oberlandesgericht weder einen pauschalen Betreuungsbonus belassen noch einen Abschlag für überobligationsmäßige Tätigkeit vorgenommen habe. Zwar könne nach den besonderen Umständen des Einzelfalls das erzielte Einkommen ganz oder teilweise als überobligatorisch unberücksichtigt bleiben. Hierzu bedürfe es allerdings des anwaltlichen Vortrages konkreter Umstände, der im Fall fehlte.
Der Unterhaltsbedarf richte sich beim Verwandtenunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt (mindestens) eines Elternteils leben, handele es sich dabei um eine abgeleitete Lebensstellung. Sie leite sich grundsätzlich von beiden Elternteilen ab, so dass bei der Bedarfsbemessung auf die zusammengerechneten Einkünfte beider Eltern abzustellen sei (vgl. BGH, Beschl. v. 11.01.2017 – XII ZB 565/15 Rn. 25 – FamRZ 2017, 437 und BGH, Urt. v. 17.12.2003 – XII ZR 224/00 – FamRZ 2004, 370, 373). Insoweit besteht auch kein Unterschied zu einem abgeleiteten Barunterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, der sich ebenfalls nach den zusammengerechneten Einkünften beider Elternteile bemisst (vgl. BGH, Urt. v. 02.03.1994 – XII ZR 215/92 -FamRZ 1994, 696, 698).
Auf diesen Unterhaltsbedarf des Kindes sei gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BGB das hälftige Kindergeld anzurechnen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.01.2017 – XII ZB 565/15 Rn. 47 ff. und BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15 Rn. 23 ff. – FamRZ 2016, 1053).
Der danach verbleibende Unterhaltsbedarf werde grundsätzlich überwiegend durch den Kindesunterhalt des barunterhaltspflichtigen Elternteils gedeckt. Allerdings sei dessen Unterhaltspflicht auf den Betrag begrenzt, den der Unterhaltspflichtige bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage seines Einkommens zu zahlen hätte (BGH, Beschl. v. 11.01.2017 – XII ZB 565/15 – Rn. 24 m.w.N.). Auch dessen Barunterhaltspflicht wäre um das bei minderjährigen Kindern auf den Barunterhalt entfallende hälftige Kindergeld gemindert.
Im vorliegenden Fall habe der Kindesvater monatlich 235 Euro als Barunterhalt gezahlt. Von den Erwerbseinkünften der Kindesmutter sei somit der Barunterhaltsbedarf ihres Kindes nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. Denn in dieser Höhe leiste sie neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt.
Demgegenüber sei die andere Hälfte des Kindergeldes, die die Antragsgegnerin als betreuender Elternteil erhalte, nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen.

C. Kontext der Entscheidung

In der Entscheidung geht es um die Verpflichtung zum Elternunterhalt und die Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes, das seinerseits noch einem minderjährigen Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist. Der BGH bemisst den unterhaltsrechtlichen Bedarf dieses minderjährigen Kindes nach den zusammengerechneten Einkünften beider Eltern. Denn leben die Eltern zusammen, wird der Lebensstandard der Familie durch die beiderseitigen Elterneinkünfte geprägt und folglich der Bedarf der Kinder aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern berechnet.
Auf den ersten Blick verwirrend ist dieser Ansatz aber bei einem Kind, das bei einem Elternteil lebt, der daher – so die Regelung des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB – vom Barunterhalt befreit ist. Dann leistet gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB allein der andere Elternteil Barunterhalt, allerdings auch bei einem höheren Bedarf begrenzt nach seiner Leistungsfähigkeit auf der Basis nur seines eigenen Einkommens. Aber auch dann leitet sich die Lebensstellung des Kindes von den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Eltern ab, wird aber vom Barunterhaltspflichtigen Elternteil nur teilweise erfüllt. Der verbleibende Rest des unterhaltsrechtlichen Bedarfs des Kindes wird dann vom betreuenden Elternteil befriedigt (kritisch Maaß, FamRZ 2017, 713).
Diese Klarstellung hat für die Praxis erhebliche Bedeutung.
Wird Kindesunterhalt gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil geltend gemacht, spielt dies bei der Berechnung keine Rolle. Geht es aber – wie hier beim Elternunterhalt – um die Berechnung des Unterhaltes einer anderen Person, hat der vom Barunterhalt des anderen Ehegatten nicht gedeckte Teil des Kindesbedarfes als „Abzugsposten“ durchaus Relevanz. Denn dieser Abzugsposten bewirkt eine Reduzierung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser – hier auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen – Person.
Dies zeigt sich deutlich an folgendem Berechnungsbeispiel:
Das auf Elternunterhalt in Anspruch genommene Kind, das seinerseits ein Kind im Alter von 13 Jahren betreut, verfügt über ein bereinigtes Einkommen von 2.200 Euro, der andere Elternteil von 2.800 Euro. Der Bedarf des minderjährigen Kindes auf der Basis der zusammengerechneten Einkünfte von 5.000 Euro beträgt 736 Euro, nach Abzug des halben Kindergeldes verbleiben 640 Euro.
Der Elternteil, der das Kind nicht betreut, leistet Barunterhalt begrenzt nach seinen eigenen Einkünften von 2.800 Euro i.H.v. 552 Euro abzgl. Kindergeldanteil von 96 Euro, also 456 Euro.
Der Gesamtbarunterhalt des Kindes i.H.v. 640 Euro wird demnach nur i.H.v. 456 Euro durch Barunterhaltszahlungen des nicht betreuenden Elternteils gedeckt, während der betreuende Elternteil den offenen Rest von 184 Euro als Naturalunterhalt aufbringen muss.
Das für den Elternunterhalt anrechenbare Einkommen des betreuenden Elternteils (= elternunterhaltspflichtiges Kind) von 2.200 Euro verringert sich demnach um diese 184 Euro auf 2.016 Euro. Unter Wahrung des Selbstbehaltes beim Elternunterhalt von 1.800 Euro stehen daher zur Deckung des Elternunterhalts lediglich noch 216 Euro zur Verfügung (statt 2.200 Euro – 1.800 Euro = 400 Euro).

D. Auswirkungen für die Praxis

Diese vom BGH beim Elternunterhalt entwickelten Überlegungen sind aber auch auf den in der Praxis wesentlich häufigeren Fall des Ehegattenunterhaltes anzuwenden (vgl. Hauß, FamRB 2017, 167). Dadurch ergeben sich bei berufstätigen kinderbetreuenden Ehegatten regelmäßig erhebliche Auswirkungen. Denn dann sind bei einem Unterhaltsanspruch eines erwerbstätigen Ehegatten, der ein Kind betreut, ständig Abzüge von seinem anrechenbaren Einkommen vorzunehmen. Dadurch verändert sich die Berechnung des Ehegattenunterhaltes erheblich.

Bisherige Berechnungsweise:

Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils

2.600,00 Euro

Kindesunterhalt (K=13 Jahre alt)

529,00 Euro

abzgl. Kindergeld zu 1/2

– 96,00 Euro

Zu zahlen sind

433,00 Euro

Anzurechnendes Resteinkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils

2.167,00 Euro

Einkommen des betreuenden Elternteils

2.000,00 Euro

Einkommensdifferenz der Eltern

167,00 Euro

Ehegattenunterhalt des betreuenden Elternteils (3/7 der Differenz)

71,57 Euro

Berechnungsweise nach dem BGH-Beschluss v. 25.02.2017:

Zusammengerechnetes Einkommen beider Eltern

4.600,00 Euro

Bedarf aus zusammengerechnetem Einkommen

700,00 Euro

abzgl. Kindergeld zu 1/2

– 96,00 Euro

Restbedarf

604,00 Euro

gedeckt durch Zahl-Elternteil

– 433,00 Euro

verbleiben als Naturalunterhaltsanteil des betreuenden Elternteils

171,00 Euro

Der Ehegattenunterhalt errechnet sich danach wie folgt:

Barunterhaltspflichtiger Ehegatte

Betreuender Ehegatte

Einkommen

2.600,00 Euro

2.000,00 Euro

Abzgl. Kindesunterhalt

– 433,00 Euro

– 171,00 Euro

Anzurechnendes Resteinkommen

2.167,00 Euro

1.829,00 Euro

Die Differenz der beiderseitigen Einkommen erhöht sich auf 338 Euro (statt 167 Euro), der Unterhalt nach der 3/7-Quote auf 144,86 Euro (statt 71,57 Euro). Das bedeutet im Fallbeispiel eine Erhöhung um 73,29 Euro.
Da der BGH auch die einem Elternteil anrechenbaren fiktiven Einkünfte als bestimmend für den Bedarf des Kindes ansieht (BGH, Beschl. v. 11.01.2017 – XII ZB 565/15), wäre eine solche Berechnung auch vorzunehmen, wenn der unterhaltsberechtigte kindebetreuende Ehegatte zwar keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, dazu aber unterhaltsrechtlich verpflichtet wäre.
Maaß (FamRZ 2017, 713, 714) kritisiert am Hinweis des BGH, im Einzelfallfall könne Erwerbseinkommen neben der Kindesbetreuung als überobligatorisch eingestuft werden, dass dies in der Praxis regelmäßig zu erheblichen Konflikten über den Betreuungsbedarf des Kindes führen werde.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Als fehlerhaft beanstandet hat der BGH lediglich die Bestimmung des Unterhaltsbeginns. Bei einer Rechtswahrungsanzeige kann der Unterhaltsrückstand erst ab dem tatsächlichen Zugang durchgesetzt werden, während eine bezifferte Zahlungsaufforderung beim Unterhalt oder ein Auskunftsverlangen zur Durchsetzung von Unterhaltsforderungen nach § 1613 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Monatsersten zurückwirkt.