Subjektiver Erfahrungsbericht eines bekennenden Einzelanwalts
Wolfgang Barchewitz, Köln
I. Berufsaussicht und Einzelanwalt
Was bringt die Zukunft für die Einzelanwältin oder den Einzelanwalt? Wer Google mit der Suchkombination „Berufsaussicht Einzelanwalt“ befragt, findet unter anderem die folgenden Resultate:
• „Einzelanwälte – die schweigende Mehrheit“ 1. Danach war zumindest noch im Jahre 2008 die Mehrheit der Anwaltschaft als Einzelanwalt unterwegs. Deren Durchschnittsalter liegt auffallend über dem Alter von assoziierten Anwälten.
• „Für Anwälte sind die fetten Jahre vorbei“ 2. Danach sinken die Einkommen westdeutscher Einzelanwälte; 2004 lag deren Durchschnittsgewinn nur noch bei 45.000 Euro.
Also: Der Einzelanwalt als aussterbende Spezies?!? Diese Frage treibt mich um. Denn ich bin – wahrscheinlich vor dem Hintergrund meiner beruflichen Vita – bekennender Einzelanwalt. Ich war Anfang 50, als ich 2004 meine erste Anwaltszulassung bekam; zuvor hatte ich 25 Jahre (ohne Anwaltszulassung) in abhängiger Stellung in der Kreditwirtschaft gearbeitet – davon die längere Zeit in unjuristischen Bereichen. Bedingt durch die erste Fusionswelle in der Bankenwelt musste ich mich beruflich neu aufstellen. Mit einer (als Startkapital nicht zu verachtenden) Abfindung im Nacken und der Gewissheit, wohl kaum eine angemessene neue Anstellung zu finden, entschied ich mich mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge, Einzelanwalt zu werden – „halb zog es ihn – halb sank er hin“. Nach gut 10 Jahren bin ich dem Schicksal für diese Weichenstellung vorbehaltlos dankbar.
II. Geht das? Einzelanwalt und erfolgreich
Kann man als Einzelanwalt erfolgreich sein? Das ist eine Frage, die sich nicht nur Gründer stellen sollten, sondern im Prinzip sollte sich mit Blick auf die nächsten Jahre auch immer wieder jede (auch schon erfolgreiche) Einzelanwältin oder jeder Einzelanwalt mit der Frage beschäftigen. Die zweite Frage lautet: Was sollte man tun und was besser lassen?!
Bevor wir diesen Fragen nachgehen, verstoße ich erst mal gegen das kleine Einmaleins der Rhetorik. Denn ich zähle vorab auf, worüber ich nicht oder bestenfalls ansatzweise berichte. Sie hören heute nichts über die klassischen anwaltlichen Haftungsfallen; über Pro und Contra Fachanwaltschaft und – meinem Lebensalter geschuldet – über die Nutzung von Facebook & Co durch die Anwaltschaft.
1. Die (Miss-)Erfolgsfaktoren
Doch nun zu den – weitgehend selbst erlebten – (Miss-)Erfolgsfaktoren.
a) Das Bekenntnis zum Ich
Ich bin überzeugt, dass dauerhafter beruflicher Erfolg voraussetzt, dass uns nicht nur der Beruf als solcher, sondern gerade auch das konkrete Gebiet, auf dem wir tätig sind, Freude macht – frei nach dem Motto: „Nur was uns anspricht und interessiert, können wir auch auf Dauer beherrschen“. Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Frage, was wir bearbeiten, sondern gerade auch darauf, welcher Arbeitsstil uns auf den Leib geschneidert ist.
Damit sind wir bei den sogenannten „Volltischlern“ beziehungsweise „Leertischlern“. Den Unterschied sehen Sie beim Betrachten des Schreibtisches verschiedener Kollegen. Der Volltischler läuft erst zur Höchstform auf, wenn er vor lauter Aktenstapeln die Schreibplatte nicht mehr sieht; der Leertischler wird schon unruhig, wenn sich dort neben der gerade bearbeiteten Akte noch ein ungeöffnetes Briefkuvert befindet. Üblicherweise ergeben sich bei den beiden Arbeitsweisen die in nachstehender Matrix dargestellten Verhaltensmuster:
Parameter | Volltischler | Leertischler |
Sichtweise | • Eher Generalist | • Eher Spezialist |
Anzahl Fälle | • Der Mengenverarbeiter | • Eher „Einzelfertigung“ |
Perfektionsgrad/ Fehlertoleranz | Mit Trefferquote von 80 Prozent zufrieden | Bei Trefferquote von 98 Prozent (noch) unzufrieden |
Stressresistenz | Hoch | Eher niedrig |
Recherche – bs. Sachverhaltsermittlung | Nicht sonderlich tief | Bis in die äußersten Winkel |
Man sollte ehrlich mit sich sein, wenn man sich selbst einer der beiden Kategorien zuordnet. Denn diese Ehrlichkeit hilft uns, die richtigen Tätigkeits-Schwerpunkte zu finden. Es darf bezweifelt werden, dass der geborene Volltischler dauerhaft Freude an den Untiefen eines hochspezialisierten Patentrechtstreites findet; der Leertischler wird auf lange Sicht mit einem arbeitstäglichen Zugang von 30 neuen Mandaten eher unzufrieden werden. Ich selbst bin eher Leertischler und beschränke mich deswegen auf das Erb- und Immobilienrecht (einschließlich Finanzierung und Vollstreckung).
b) Einzelanwalt als Nischenspezialist
Häufig wird der Einzelanwalt (un)bewusst mit dem „Allgemeinanwalt“ gleichgesetzt. Rein zahlenmäßig mag diese Gleichstellung noch stimmen3. Das ist aber kein Naturgesetz. Mein Rat geht definitiv in die andere Richtung. Der Automobil-Hersteller BMW stand Anfang der 60 Jahre vor der Pleite; gerettet wurde die Marke damals durch Paul G. Hahnemann, der BMW eine konsequente „Nischen-Politik“ verordnete. Hahnemann wird deswegen bis heute liebevoll als „Nischen-Paul“ bezeichnet.
Als Einzelanwalt sollten Sie sich ebenfalls die Nische zur Devise machen – nach dem Motto: „Weniger ist mehr“. Hier ist natürlich Phantasie gefordert – als Beispiele nenne ich als in sich geschlossene Nische das Recht der Kriegsfolgen (auch heute noch relevant – siehe nur die vielfältigen Restitutionsfragen) oder das Recht rund um die Kunst.
Zugegebenermaßen liegt hier der Einwand einer naiven Praxisferne nahe. Wovon sollen die jungen Kollegen leben, die ausgestattet mit einem passablen zweiten Examen als ca. 170.000ste Anwältin oder Anwalt den Beratungsmarkt betreten? Die wünschenswerten Nischen und Mandate wachsen schließlich nicht auf den Bäumen und sind nicht immer leicht zu finden; das wirtschaftliche Überleben lässt derartige Exklusivitäten nicht zu. Diesem unbestreitbar berechtigten Einwand halte ich jedoch zwei Überlegungen entgegen:
• Nischenpolitik lässt sich nicht nur in „abgeschlossenen“ Nischen praktizieren. Vielmehr geht das auch innerhalb der großen „Brot und Butter“ Bereiche wie zum Beispiel dem Arbeits-, Familien- oder Verkehrsrecht. Allerdings brauche ich dann auch als Berufseinsteiger den Mut, für mich exotische Mandate abzulehnen, um so Kräfte freizusetzen, damit ich in meinem Bereich besser als die Wettbewerber bin. Dazu gehört, dass ich bewusst Mandate aus meiner Nische intensiver bearbeite, als es eigentlich zur Falllösung erforderlich wäre. Das ist wie die (ärgerliche) Investition in eine Produktionsmaschine. Außerdem tut ja aktuell nur der Mehraufwand weh, der über den erforderlichen konkreten Lösungsaufwand hinausgeht. Der Mehraufwand macht mich in meiner Nische sattelfest.
• Trotz dieses Mehraufwandes beim „Nischenfall“ produziert eine bewusste Nischenpolitik durchaus Leerzeiten. Diese gilt es, im Rahmen eines konsequenten Leerzeiten-Programms produktiv zu nutzen. Das setzt voraus, dass ich – jenseits des Alltagsgeschäftes – immer Arbeiten vorrätig habe, die ich in dieser Leerzeit erledige; ungenutzte Leerzeit darf es nicht geben. Hierzu zähle ich zunächst die vertiefte Einarbeitung in meine Nische als solche einschließlich des zugehörigen Prozessrechtes. „Nischenprodukte“ sind nicht nur die spezifischen anwaltlichen Mandate. So boomt zum Beispiel der Markt der Erwachsenenbildung; die Nachfrage nach geeignetem Lehr- und Referentenpersonal ist groß. Denken Sie nur an die (Berufs-)Akademien, an branchen- und betriebsinterne Fortbildungsangebote, an Lobbyarbeit etc. Ein wesentliches Standbein meiner Berufstätigkeit ist mittlerweile die Erwachsenenbildung. Übrigens: Den Stoff, den Sie als Referent darstellen können, haben Sie verstanden und durchdrungen; einen besseren Lehrmeister gibt es nicht; außerdem erfüllen Sie dadurch unkompliziert die Anforderungen des § 15 FAO! Ob es uns gefällt oder nicht: Bei jedem von uns ist der Finanzminister stiller Teilhaber. Der Erwerb steuerlicher Grundkenntnisse in den Leerzeiten macht Ihre Kanzlei profitabler. Außerdem gibt es kaum ein Rechtsgebiet, bei dem steuerliche Grundkenntnisse nicht vorteilhaft wären.
2. Kostentreiber erkennen
Der wirtschaftliche Erfolg unserer Tätigkeit wird am erwirtschafteten Gewinn – nicht am Umsatz gemessen. Ich halte deswegen die Kostenquote für die wichtigste Kennzahl einer Anwaltskanzlei. Sie beantwortet die Frage, wie viel Cent ich aufwenden muss, um einen Euro Umsatz zu machen oder wie die Relation zwischen Umsatz einerseits und Ertrag vor Ertragssteuern andererseits ist.
Je nach Kanzleigröße und -struktur liegt die Kostenquote zwischen 53 Prozent bis 70 Prozent der Gesamteinnahmen einer Kanzlei.4 Um ehrlich zu sein: Für eine Einzelanwaltskanzlei halte ich diese Werte für unzuträglich. Wie lässt sich eine günstigere Quote erreichen?!
Die Antwort ist nicht neu: Der Gewinn liegt im Einkauf. Damit sind wir bei den typischen Kostentreibern.
• Gutes Personal hat seinen Preis. Aber muss es immer Vollzeit eingestellt sein? Die überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen mit familiären Verpflichtungen sind an flexiblen Teilzeitarbeitsmodellen mit der Möglichkeit von Arbeitszeitkonten und Heimarbeit durchaus interessiert. Dadurch können auch die im Kanzleialltag unvermeidlichen Arbeitsspitzen gut abgefedert werden.
• Wir verarbeiten letztlich Informationen. Deren Beschaffung und Vorratshaltung verursacht mittlerweile einen wesentlichen Kostenblock. Wohl dem, der z. B. keinen teuren externen EDV-Administrator braucht, weil das entsprechende Wissen kanzleiintern vorhanden ist.
• Im Übrigen gilt es, dem „information-overkill“ dem Grunde nach vorzubeugen – und zwar nicht nur aus Kosten-, sondern auch aus Effizienzgründen. Dauerhaften Erfolg verspricht nur das eigene Nachdenken. Ich muss ohne Hilfe von juristischer Literatur und Online-Medien eine Idee und einen Plan haben, wie ich das Mandat erfolgreich bearbeite; die Hilfsmittel verschaffen mir die erfolgreiche Lösung nicht, sondern dienen dazu, den zuvor gefundenen Lösungsweg im Einzelnen zu begründen. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Notwendigkeit vieler kostenpflichtiger Online-Dienste und der Anschaffung der immer neuesten Ausgabe der juristischen Literatur. Ich selbst kaufe ganz überwiegend nur die gerade überholte Auflage, die einen Bruchteil der aktuellen Neuauflage kostet.
• Bei der Analyse der eigenen Kostenquote lohnt sich schließlich ein Blick auf die eigene Geschäftsausstattung einschließlich der benutzten Verkehrsmittel. Die mittlerweile zumindest in den Großstädten angebotenen Carsharing-Modelle sind häufig günstiger als der eigene (Zweit-)Wagen; bei längeren Distanzen hat die (altmodische) Bundesbahn die Nase vorn. Denn bei den allermeisten innerdeutschen Distanzen ist sie nicht langsamer oder teurer als Pkw oder Flugzeug – anders als dort steht mir aber zumindest die eigentliche Reisezeit als ununterbrochene Arbeitszeit zur Verfügung. Die „verschlafene“ Zugfahrt ist produktiver als die alternative Lenkzeit. In diesem Zusammenhang sollte die „Signalwirkung“ nicht übersehen werden, die die gewählte Geschäftsausstattung auf unsere Mandantschaft hat. Denn diese bezahlt sie letztendlich. Nach meiner Erfahrung schätzt zumindest die nicht gewerbliche Mandantschaft überwiegend einen eher bescheidenen Auftritt und beurteilt die Eignung des Beraters nicht nach dessen Pkw-Marke.
3. Die Mandantenakquise
Ohne Mandate erübrigt sich ein Nachdenken über die Kostenquote. Hätte ich die Zauberformel für eine erfolgreiche Mandantenakquise, würde ich sie Ihnen nicht verraten. Deswegen nur die folgenden – keineswegs neuen – Hinweise:
a) Erfolgreiche Arbeit
Die beste Akquise ist erfolgreiche Arbeit, die zu zufriedenen Mandanten führt. Wir sollten nicht vergessen, dass auch heute noch zumindest der nicht gewerbliche Mandant eine erhebliche Schwellenangst bei der Anwaltsmandatierung hat. Ich glaube, die Behauptung ist nicht übertrieben, dass seine Unsicherheit vergleichbar mit der ist, wenn er sich für einen Operateur anlässlich einer schweren Erkrankung entscheiden muss. Der Mandant entscheidet sich dann für uns, wenn Dritte, denen er vertraut, uns empfehlen. Das sind dann die zufriedenen Alt-Mandanten oder sonstige Multiplikatoren. Nach meiner Erfahrung stammen diese dann häufig aus „Kümmerer-Berufen“ wie zum Beispiel selbstständige Friseuse, Fahrlehrer, Pfarrer. …
b) Anwälte als Mandatswerber
Es mag Sie überraschen – aber auch andere Anwältinnen und Anwälte zähle ich zu den Multiplikatoren. Denn richtigerweise verweisen viele Kollegen, denen ein Mandat aus „Ihrer“ Nische angetragen wird, in der die Kollegen nicht heimisch sind, den Rechtsuchenden an Sie. Alternativ übernimmt der Kollege zwar das Mandat, bietet Ihnen aber eine – ggf. dem Mandanten nicht offen gelegte – Kooperation an.
Insofern schließt sich der Kreis. Das funktioniert natürlich nur, wenn der angefragte Kollege weiß, dass gerade Sie der Nischenspezialist sind. Deswegen sollten Sie zum Beispiel den Anwaltvereinen anbieten, Schulungen (die im Übrigen in der Regel angemessen vergütet werden) zu Ihrem Nischen-Thema durchzuführen. Eine vergleichbare Wirkung hat die Veröffentlichung von Aufsätzen in (Fach!)Zeitschriften sowie die aktive Teilnahme an Praktiker-Treffen, die üblicherweise von Berufsverbänden, Hochschulinstituten etc. durchgeführt werden. Dann gilt aber die Devise: „Tuet Gutes und redet darüber“; Die Teilnahme am Kongress als stiller Beobachter macht Sie vielleicht klüger, aber nicht reicher an Mandaten.
III. Statt eines Fazits: Zwei Mal nachdenken
Zum Schluss noch zwei Einzelpunkte zum Nachdenken:
• Der Einzelanwalt ist alleiniger Hauptdarsteller in einer „one-(wo)man-show“; denkbare Angehörige dürften nur im Ausnahmefall vom Fach sein. Zum Schutz der Kanzlei und im Interesse der Angehörigen ist es unumgänglich, dass Sie einen Notfallplan erstellen, ständig aktualisieren und mit den Betroffenen (Mitarbeiter/Angehörige) kommunizieren. Darin sind die Maßnahmen festzulegen, die an Ihrer Stelle von Dritten zu treffen sind, wenn Sie ungeplant ausfallen. Bewährt hat sich ein Drei-Stufen-Plan. Die darin beschriebenen Maßnahmen richten sich nach der voraussichtlichen Dauer Ihres Ausfalls – zum Beispiel bis eine Woche, bis maximal drei Wochen und schließlich für einen Zeitraum länger als drei Wochen.
• Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Frage nach einer (partiellen) Zusammenarbeit mit anderen Kollegen/innen zum Beispiel in Form einer Bürogemeinschaft oder ähnlichem. An dieser Stelle lasse ich Sie allein: diese essentielle Frage kann nur jeder von Ihnen selbst beantworten. Im Schillerschen „Wilhelm Tell“5 fand ich allerdings in diesem Zusammenhang folgenden Wortwechsel, der Ihnen vielleicht bei der Entscheidung hilft:
Staufacher: Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.
Tell: Der Starke ist am mächtigsten allein.
Mir gefällt die unbedingte Aussage Tell’s besser. Deswegen bin und bleibe ich Einzelanwalt.
Der Autor ist Rechtsanwalt in Köln. Er praktiziert als Einzelanwalt.