Nachfolgend ein Beitrag vom 28.6.2017 von Matthießen, jurisPR-ArbR 26/2017 Anm. 4

Leitsatz

Sehen die Bedingungen einer 1991 geschlossenen Rentenversicherung die Versorgung von Hinterbliebenen in Form von Witwenrente vor, so kann eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen, wenn der Versicherungsnehmer eine eingetragene Lebenspartnerschaft auf der Grundlage des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16.02.2001 begründet hat.

A. Problemstellung

Seit 2005 sind eingetragene Lebenspartner im Hinblick auf die gesetzliche Altersversorgung Eheleuten gleichgestellt (§ 46 Abs. 4 SGB VI). Seit dem Urteil des EuGH vom 01.04.2008 (C-267/06 – NZA 2008, 459 „Maruko“) und dem nachfolgenden Urteil des BAG (3 AZR 20/07 – NZA 2009, 489) ist auch für die betriebliche Altersversorgung klargestellt, dass eingetragene Lebenspartner hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung Ehegatten gleichzustellen sind, soweit am 01.01.2005 zwischen dem Versorgungsberechtigten und dem Versorgungsschuldner noch ein Rechtsverhältnis bestand. Für private Rentenversicherungen ergibt sich eine Gleichstellungspflicht für Verträge, die ab dem 22.12.2007 begründet worden sind (§ 33 Abs. 4 AGG). Für ältere Verträge stand bislang eine Entscheidung des BGH aus.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte ist eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende berufsständische Versorgungseinrichtung zur Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung in Form von Renten- und Kapitalleistungen. Der 1961 geborene Kläger hat im Jahr 1991 mit dem Beklagten eine Rentenversicherung abgeschlossen, aufgrund derer er sich von der Versicherungspflicht beim berufsständischen Versorgungswerk befreien ließ. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte im Falle des Ablebens des Klägers seinem Lebenspartner eine Hinterbliebenenrente zu gewähren hat. Zum Leistungsumfang der Rentenversicherung gehört eine Witwenrente. In den AVB werden als Empfangsberechtigte für die Witwenrente die Ehefrau und für die Witwerrente der Ehemann genannt. Zwischen dem Kläger und seinem Lebensgefährten besteht seit August 2001 eine Lebenspartnerschaft. Im Dezember 2013 benannte der Kläger dem Beklagten seinen Lebensgefährten als bezugsberechtigten Hinterbliebenen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass Leistungen an sonstige Hinterbliebene in seinem Tarif nicht vorgesehen seien.
Das Oberlandesgericht hatte festgestellt, dass dem Lebenspartner im Falle des Fortbestehens der Lebenspartnerschaft beim Ableben des Klägers eine Hinterbliebenenrente wie eine Witwen- und Witwerrente zu gewähren sei. Dies ergebe sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß § 313 Abs. 1 BGB.
Der BGH hat das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er äußert erhebliche Bedenken, ob ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung des Lebenspartners des Klägers im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag hergeleitet werden kann. Dem Grunde nach komme jedoch ein Anspruch des Klägers auf Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut. Eine schwerwiegende Veränderung solcher Umstände läge darin, dass der Kläger mit seinem Lebenspartner eine Lebenspartnerschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LPartG eingegangen sei, durch die er Unterhalts- und Versorgungsverpflichtungen habe begründen können. Im Jahr 1991 hatten die Parteien noch die Vorstellung, dass sich gleichgeschlechtliche Lebenspartner mit Blick auf die gegenseitige Versorgung nach dem Tod eines Lebenspartners nicht in einer der Ehe vergleichbaren Weise rechtlich binden könnten. Nach dem LPartG wurde ab dem 01.08.2001 ein familienrechtliches Institut geschaffen, nach dem die Lebenspartner zu Fürsorge und Unterstützung und zum angemessenen Unterhalt verpflichtet wurden; seit dem 01.01.2005 existieren Regelungen zur Altersversorgung der Lebenspartner. Insoweit befinden sich mittlerweile gleichgeschlechtliche Lebenspartner hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung in einer der Ehe vergleichbaren Situation. Die Geschäftsgrundlage des Rentenversicherungsvertrags ist zwischen den Parteien gestört, weil die dort vereinbarte Witwenrente den dem Vertrag nach den Vorstellungen der Parteien zugrunde liegenden Zweck nicht mehr in vollem Umfang erreichen kann. Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtige allerdings noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Es müsse darüber hinaus nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände festgestellt werden, ob ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führe. Hinsichtlich der Interessenabwägung weist der BGH auf das gesteigerte Schutzbedürfnis des Versorgungsempfängers bei Verträgen mit Versorgungscharakter hin. Die begehrte Hinterbliebenenrente diene der Versorgung seines Lebenspartners durch Schließen der durch den Tod des Klägers entstehenden Versorgungslücke. Ob demgegenüber durchgreifende Interessen des Beklagten betroffen sind, auch unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes der Vertragsfreiheit als Unternehmer, lasse sich nach dem bisherigen Vortrag der Parteien nicht abschließend beurteilen. Aus diesem Grunde ist der Rechtsstreit zur Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden. § 33 Abs. 4 Satz 1 AGG stehe einer auf der rechtlichen Anerkennung der Lebenspartnerschaft beruhenden Anpassung des zwischen den Parteien geschlossenen Rentenversicherungsvertrages nicht entgegen. Diese Vorschrift schließe ihrem Wortlaut nach lediglich die Anwendung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots aus § 19 Abs. 1 AGG auf vor dem 22.12.2007 geschlossene privatrechtliche Versicherungsverträge aus. Diese Sperrwirkung gelte nicht für die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, weil nach § 32 AGG die allgemeinen Bestimmungen gelten, soweit im AGG nichts Abweichendes bestimmt ist.

C. Kontext der Entscheidung

Der BGH schließt eine durch die Übergangsbestimmungen des AGG offengelassene Lücke für ältere Lebensversicherungsverträge. Durch das LPartG hat sich die Geschäftsgrundlage für Rentenversicherungen, die nur Witwen- oder Witwerrenten für verheiratete Ehepartner vorsehen, im Hinblick auf eingetragene Lebenspartner geändert. Da das AGG in § 33 Abs. 4 AGG für Versicherungsverträge ausdrücklich auf den Vertragsabschluss abstellt, ist der Gedanke, ein Rechtsverhältnis müsse lediglich auch während der Geltungsdauer des AGG bestanden haben, ausdrücklich versperrt. Soweit es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt, sind auch die EU-Antidiskriminierungs-Richtlinien nicht anwendbar. Der Fall „Maruko“ (EuGH, Urt. v. 01.04.2008 – C-267/06) hatte zwar ein berufsständisches Versorgungswerk zum Gegenstand, bei dem jedoch ein Arbeitnehmer versichert war. Dem BGH ist jedoch zuzustimmen, dass sich seit 1991 die allgemeine Lebensauffassung über rechtlich gebundene (eingetragene) Lebenspartner erheblich geändert und heute einer Ehe weitgehend angenähert hat. Zwar wird abzuwarten sein, ob das Berufungsgericht noch relevante Interessen des Beklagten finden wird, die gegen eine Einbeziehung des Lebenspartners sprechen könnten. Offen bleibt, ob eventuell eine Prämienanpassung erforderlich ist.
Meines Erachtens hätte man mit dem Berufungsgericht die Lösung aber auch von vornherein über eine ergänzende Vertragsauslegung finden können. Der Versicherungsvertrag enthält heute im Hinblick auf die Hinterbliebenenversorgung eine planwidrige Unvollständigkeit. Die Regelungslücke bezüglich der Hinterbliebenenversorgung erfordert eine angemessene, interessengerechte Lösung, die nur durch eine Ausdehnung der Hinterbliebenenversorgung auf eingetragene Lebenspartner geschlossen werden kann (so im Ansatz auch bei einer nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksamen Klausel in einer betrieblichen Hinterbliebenenversorgung BAG, Urt. v. 21.02.2017 – 3 AZR 297/15; vgl. auch Matthießen, jurisPR-ArbR 22/2017 Anm. 4).

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch ältere private Rentenversicherungen sollten eingetragenen Lebenspartnern nach dem LPartG die Möglichkeit eröffnen, eine Hinterbliebenenrente zu beziehen, wenn für Ehepartner eine derartige Möglichkeit vorgesehen ist.