Nachfolgend ein Beitrag vom 29.10.2018 von Wild, jurisPR-SteuerR 43/2018 Anm. 2
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Weist eine Allgemeinverfügung den Einspruch in dem einzigen streitigen Punkt zurück, beendet dies das Einspruchsverfahren. Es besteht dann kein Anlass für eine Fortdauer des Einspruchsverfahrens.
2. Die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung entfällt nur dann, wenn die Prüfung unmittelbar nach Beginn der Prüfung unterbrochen wurde. Eine Unterbrechung nach mehreren Monaten der Prüfung, in denen die Prüfung bezogen auf den Prüfungsstoff nach Umfang und zeitlichem Aufwand ein erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse erzielt wurden, ist unschädlich.
A. Problemstellung
Die Entscheidung des FG Düsseldorf befasst sich zum einen mit der Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3a AO und dem Entfallen des Hemmungstatbestands nach § 171 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 AO i.V.m. § 171 Abs. 4 AO, ferner mit dem Abschluss des Einspruchsverfahrens durch Allgemeinverfügung, die den Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 3a AO entfallen lässt, wenn sich die Allgemeinverfügung auf alle Einwendungen des Einspruchsführers erstreckt. Erfolgte eine Steuerfahndungsprüfung im Anschluss an eine Selbstanzeige und gelangen sämtliche maßgeblichen Unterlagen in den Besitz der Fahndungsprüfer, ist damit die Prüfung in Form aktiver Ermittlungshandlungen abgeschlossen. Sämtliche Ergebnisse der Prüfung liegen damit vor. Eine im Anschluss erfolgende Unterbrechung ist unschädlich.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das FG Düsseldorf hatte zu entscheiden, ob in Folge einer am 07.02.2010 abgegebenen Selbstanzeige (§ 371 AO) aufgrund bislang nicht erfasster Kapitaleinkünfte aus sog. schwarzen Fonds die Festsetzungen über Einkommensteuer für die Jahre 1999 und 2000 geändert werden durften. Die Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 1999 waren im Jahr 2000 und für den Veranlagungszeitraum 2000 in 2001 abgegeben worden. Steuerbescheide wurden am 30.04.2001, 19.02.2002, 21.08.2002 und 16.05.2003 erteilt. Unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung wurde die Steuer nach einer Betriebsprüfung mit geänderten Bescheiden vom 17.08.2005 und 19.08.2005 endgültig festgesetzt. Die gegen diese Bescheide erhobenen Einsprüche wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen wurden zunächst ruhend gestellt. Das Ruhen und die Einspruchsverfahren selbst wurden durch Allgemeinverfügung gemäß § 367 Abs. 2b AO vom 22.07.2008 beendet.
Aufgrund der am 07.02.2010 abgegebenen Selbstanzeige wurde zunächst ein die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2007 betreffendes Strafverfahren eingeleitet. Am 05.05.2010 wurde der Steuerfahndung ein Prüfungsauftrag erteilt, woraufhin diese noch am gleichen Tag Unterlagen über die Bankverbindungen betreffend die Jahre ab 1999 bei der Klägerin binnen einer Frist von vier Wochen anforderte. Am 17.06.2010 wurden der Fahndungsprüferin drei Ordner mit Unterlagen übergeben und in einem Gespräch erläutert. In diesem Gespräch wies die Prüferin darauf hin, dass noch weitere Unterlagen bezüglich eines sog. schwarzen Fonds erforderlich seien. Am 17.08.2010 wurde deshalb der Prüferin ein vierter Ordner übergeben. Dann erfolgten keine weiteren nach außen erkennbaren Prüfungshandlungen mehr. Rückfragen des Bevollmächtigten am 17.06.2011 und am 13.04.2012 ergaben, dass eine Bearbeitung der Unterlagen noch nicht stattfand. Erst am 19.08.2013 teilte die Fahndungsprüferin mit, dass die Unterlagen ausgewertet wurden und erkundigte sich nach dem Inhaber eines weiteren Depots. Dieses Depot gehörte der Mutter der Klägerin.
Auf Grundlage des Prüfungsberichts vom 26.08.2013 ergingen am 15.01.2014 auf § 173 AO gestützt geänderte Einkommensteuerbescheide. Die Kläger wendeten im Einspruchsverfahren gegen die Änderungsbescheide für die Jahre 1999 und 2000 ein, es hätten keine die Verjährungshemmung auslösenden Ermittlungen stattgefunden, jedenfalls seien die Ermittlungen aber unmittelbar nach Beginn der Prüfung für die Dauer von mehr als sechs Monaten wieder unterbrochen worden. Nach der Übergabe der Unterlagen im Jahr 2010 sei die Prüfung erst nach drei Jahren fortgesetzt worden. Die Finanzbehörde vertrat die Auffassung, der Hemmungstatbestand der Steuerfahndungsprüfung sei nicht entfallen. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 1 HS. 2 AO i.V.m. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO sei die Verhinderung des Missbrauchs der Anordnung einer Prüfung zur Verhinderung des Verjährungseintritts. Zudem sei der Ablauf der Verjährungsfrist nach § 171 Abs. 3a AO aufgrund des Einspruchsverfahrens gehemmt gewesen. Die Allgemeinverfügung habe das Einspruchsverfahren nur hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage erledigt, im Übrigen bleibe der Einspruch anhängig.
Das FG Düsseldorf hat durch das hier besprochene Zwischenurteil festgestellt, dass hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 zum Zeitpunkt der angefochtenen Einkommensteuerbescheide noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Es gelte aufgrund der Steuerhinterziehung die verlängerte Verjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, so dass die Festsetzungsverjährung für die Jahre 1999 und 2000 erst am 31.12.2011 bzw. am 31.12.2012 endete. Vor Ablauf sei die Verjährungsfrist dauerhaft gehemmt worden. Nicht ausreichend seien die im Jahr 2005 eingelegten Einsprüche. Entgegen der in der Literatur vertretenen Auffassung bleibe das Einspruchsverfahren im Fall einer Erledigung des Einspruchs durch Allgemeinverfügung nicht im Übrigen anhängig. Denn es würde dem Zweck der Allgemeinverfügung in Masseverfahren widersprechen, wenn zusätzlich noch eine Einspruchsentscheidung verlangt werde. Der Beginn der Prüfung habe den Fristablauf nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt, denn die erste Prüfungshandlung am 23.04.2010 habe vor Ablauf der Verjährungsfristen stattgefunden. Die Prüfung sei entgegen dem Vortrag der Kläger nicht „unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten“ unterbrochen worden. Vielmehr sei die Prüfung zunächst für vier Monate fortgesetzt worden. In dieser Zeit seien sämtliche maßgeblichen Unterlagen in den Besitz der Fahndungsprüfung gelangt, so dass der Sachverhalt keiner weiteren Ermittlung mehr bedurfte. Die Prüfung in Form aktiver Ermittlungshandlungen sei somit bereits vor der Unterbrechung abgeschlossen gewesen. Sämtliche Ergebnisse der Prüfung hätten vorgelegen, so dass nur noch eine Auswertung der Unterlagen vorzunehmen war. Ferner gab die als Zeugin im finanzgerichtlichen Verfahren befragte Fahndungsprüferin an, mit der Auswertung sog. Steuer-CDs beschäftigt gewesen zu sein, so dass die hieraus resultierende Arbeitsbelastung eine schnellere Auswertung der Unterlagen der Kläger verhindert habe. Auch diesen Aspekt berücksichtigte das Finanzgericht bei der Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls und entschied, dass die Prüfung nicht „pro forma“ zum Zwecke der Verlängerung der Verjährungsfrist begonnen worden war. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Entscheidung zugelassen.
C. Kontext der Entscheidung
I. Das Finanzgericht hat berücksichtigt, dass die Fahndungsprüfung durch eine Selbstanzeige des Klägers selbst ausgelöst wurde. Die erste Prüfungshandlung in Gestalt der Anforderung von Kontounterlagen erfolgte unmittelbar nach Abgabe der Selbstanzeige, so dass für die Kläger erkennbar das Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist beseitigt wurde. Die Prüfung sei nicht unmittelbar i.S.d. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO nach Beginn unterbrochen worden, da durch die Anforderung und Entgegennahme von Unterlagen der wesentliche Sachverhalt vollständig ermittelt worden sei. Die Prüfung sei mit der Entgegennahme der Unterlagen abgeschlossen. Damit stützt sich das Finanzgericht in seiner Begründung auf die Rechtsprechung des BFH, wonach eine Außenprüfung nur dann nicht mehr unmittelbar nach Beginn unterbrochen ist, wenn die bis zur Unterbrechung vorgenommenen Prüfungshandlungen entweder bezogen auf den gesamten Prüfungsstoff nach Umfang und zeitlichem Aufwand ein erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben (BFH, Beschl. v. 31.08.2011 – I B 9/11 – BFH/NV 2011, 2011). Für das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit sind die Verhältnisse des Einzelfalls zu beurteilen, wobei neben dem zeitlichen Umfang der bereits durchgeführten Prüfungsmaßnahmen alle Umstände zu berücksichtigen sind (Rüsken in: Klein, AO, 12. Aufl. 2016, § 171 Rn. 68; BFH, Urt. v. 08.07.2009 – XI R 64/07 – EFG 2008, 505).
II. Soweit das Finanzgericht die Entgegennahme von Unterlagen ohne deren Auswertung als Prüfungshandlung von wesentlichem Gewicht genügen lässt, bejaht es inzident die Voraussetzungen der Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige. Denn die Wirksamkeit einer Selbstanzeige hängt davon ab, dass unrichtige Angaben berichtigt, fehlende nachgeholt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Die Angaben müssen so geartet sein, dass die Finanzbehörde auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen (BGH, Urt. v. 05.05.2004 – 5 StR 548/03 – wistra 2004, 309). Genügen die Angaben diesen Anforderungen nicht, liegt keine wirksame Selbstanzeige vor (BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09 – BGHSt 55, 180). Reicht der Steuerpflichtige zur Erläuterung des Sachverhalts ungenügende Unterlagen ein, kann folglich auch eine unwirksame Selbstanzeige vorliegen, die weitere Nachforschungen des Finanzamts erfordert. Ob eine wirksame Selbstanzeige vorliegt, kann deshalb erst nach Auswertung der Unterlagen beurteilt werden. Auch im hier besprochenen Fall stellte sich erst nach Wiederaufnahme der Prüfung heraus, dass die Unterlagen vollständig vorlagen.
III. Am 19.08.2013 erkundigte sich die Fahndungsprüferin nach dem Inhaber eines weiteren Depots, das jedoch der Mutter der Klägerin gehörte und somit für die Selbstanzeige irrelevant war. Wäre das Depot dagegen von den Klägern bei der Aufarbeitung des für die Selbstanzeige relevanten Sachverhalts übersehen worden und diesen ebenfalls steuerlich zuzurechnen, hätten der Fahndungsprüferin zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Prüfung noch nicht sämtliche Ergebnisse der Prüfung vorgelegen. In diesem Fall wäre die Festsetzungsverjährung bereits früher eingetreten, denn die Finanzbehörde hätte den Grund für die Unterbrechung der Prüfung i.S.v. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO zu vertreten (Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 128. Lfg., Stand: Januar 2012, § 171 AO Rn. 46). Der Ablauf der Festsetzungsfrist hätte sich jedoch erst zum Zeitpunkt der im Ermessen der Behörde liegenden Wiederaufnahme der Prüfung herausgestellt. Mithin würde für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Rechtsunsicherheit über den Ablauf der Festsetzungsfrist entstehen. Der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtssicherheit würde folglich zulasten des Steuerpflichtigen hinausgeschoben. Für die Beurteilung der Tatbestandsmerkmale des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO sollte deshalb aus Gründen des Rechtsfriedens bereits auf den Zeitpunkt der Unterbrechung abgestellt werden.
IV. Die Auslegung des Finanzgerichts, wonach eine Allgemeinverfügung nach § 367 Abs. 2b Satz 1 AO das Einspruchsverfahren beendet, wenn die entschiedene Frage den einzigen streitigen Punkt des Einspruchsverfahrens darstellt, ist zutreffend. Die Kommentarliteratur ist missverständlich, soweit sie sich auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 16/3368, S. 26) zur Begründung der Auffassung, das Einspruchsverfahren bleibe bei dem Ergehen einer Allgemeinverfügung im Übrigen anhängig, beruft (Rätke in: Klein, AO, 12. Aufl. 2016, § 367 Rn. 22, unter Verweis auf Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. Lfg., Stand: Mai 2015, § 367 AO Rn. 69). Denn nach dem Willen des Gesetzgebers kann über die Rechtsfrage, die Gegenstand der Allgemeinverfügung war, nicht erneut durch Einspruchsentscheidung entschieden werden (BT-Drs. 16/3368, S. 26). Der Erlass einer inhaltsgleichen Einspruchsentscheidung würde demnach dem Zweck der Vereinfachung und Beschleunigung des Einspruchsverfahrens widersprechen (BT-Drs. 16/3368, S. 14, 25).
D. Auswirkungen für die Praxis
Es bleibt abzuwarten, wie der BFH das Merkmal der unmittelbar nach Prüfungsbeginn erfolgten Unterbrechung auslegt. Die Schlussfolgerung des Finanzgerichts, wonach infolge einer Selbstanzeige vorgelegte Unterlagen sämtliche Ergebnisse einer Fahndungsprüfung verkörpern, mag im Einzelfall zutreffend gewesen sein. Im Hinblick auf eine eventuell unwirksame Selbstanzeige wird in der Praxis regelmäßig zusätzlich zu der Übergabe von Unterlagen auch deren Sichtung vor Unterbrechung der Prüfung zu fordern sein.
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