Nachfolgend ein Beitrag vom 22.10.2018 von Wild, jurisPR-SteuerR 42/2018 Anm. 1

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Akzessorietät des Hinterziehungszinsanspruchs schließt die Festsetzung von Zinsen für einen Schenkungsteueranspruch nicht aus, wenn der Steueranspruch im Rahmen des Zugewinnausgleichs rückwirkend weggefallen ist.
2. Der rückwirkende Wegfall des Schenkungsteueranspruchs führt nicht zum Entfallen des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung.
3. Die Unkenntnis der rechtlichen Verpflichtung zum Handeln, also der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG, ist nicht als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 StGB, sondern als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln.
4. Bei der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands einer vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO sind die hinterzogenen Steuern zu verzinsen.
5. Anders als Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe hindert das Vorliegen von persönlichen Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründen, wie etwa die Selbstanzeige nach § 371 AO, das Entstehen des Hinterziehungszinsanspruchs.

A. Problemstellung

Das FG Kassel hat entschieden, dass Hinterziehungszinsen nach § 235 AO auch dann noch festzusetzen sind, wenn der zu verzinsende Steueranspruch ex tunc entfallen ist. Es ging um die Verzinsung eines Schenkungsteueranspruchs, der nach § 29 ErbStG rückwirkend erloschen war.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Klägerin war von ihrem Ehemann in zwei Schritten das Eigentum an einem Grundstück und ein Bargeldbetrag in Höhe von 1,8 Mio. Euro zugewendet worden. Erst nach den Übertragungsvorgängen schlossen die Klägerin und ihr Ehemann einen Ehevertrag und hoben den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft zugunsten der Gütertrennung auf. Im Rahmen des durchzuführenden Zugewinnausgleichs wurde die Barzuwendung angerechnet. Von der Festsetzung von Schenkungsteuer sah das Finanzamt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ab. Dennoch seien für den Zeitraum bis zum Wechsel des Güterstandes Hinterziehungszinsen festzusetzen, da keine Schenkungsteuererklärungen abgegeben worden waren und die Schenkungsteuer erst durch den Zugewinnausgleich rückwirkend entfallen war.
Die Klägerin wandte hiergegen ein, der Wortlaut des § 29 Abs. 1 ErbStG sei zu ihren Gunsten eindeutig. Das Finanzgericht hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
I. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO liege vor, wenn gegenüber der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht oder sie pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden seien. Der Tatbestand müsse vorsätzlich verwirklicht werden. Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung setze voraus, dass der Täter den bestehenden Steueranspruch kenne und er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen wolle. Dabei sei ausreichend, dass der Täter aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe sowie nach seinen Fähigkeiten erfasse.
II. Im Verhältnis zum Strafverfahren habe das Finanzgericht das Vorliegen einer Steuerstraftat selbstständig zu prüfen (BFH, Beschl. v. 05.03.1979 – GrS 5/77 – BStBl II 1979, 570), unabhängig davon, ob ein Strafverfahren eingeleitet oder der Täter verurteilt wurde (BFH, Urt. v. 24.05.2000 – II R 25/99 – BStBl II 2000, 378). Dennoch sei auch in finanzgerichtlichen Verfahren der strafprozessuale Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten, so dass bei einer Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen keine Reduzierung des Beweismaßes zulasten des Steuerpflichtigen in Betracht komme (BFH, Urt. v. 07.11.2006 – VIII R 81/04 – BStBl II 2007, 364; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 15/2007 Anm. 1). Hier sei der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen erfüllt, da die Klägerin und ihr Ehemann ihre Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG verletzt hätten.
III. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten auch vorsätzlich gehandelt.
1. Die von der Klägerin vorgetragene Unkenntnis von der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG führe nicht zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 StGB, sondern stelle einen vermeidbaren Verbotsirrtum i.S.v. § 17 StGB dar. Denn nach der Rechtsprechung des BGH sei für den Vorwurf vorsätzlichen Handelns erforderlich, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt (sog. Steueranspruchstheorie; BGH, Urt. v. 05.03.1986 – 2 StR 666/85 – wistra 1986, 174; BGH, Beschl. v. 19.05.1989 – 3 StR 590/88 – BGHR StPO § AO § 370 Abs 1 Vorsatz 2; BGH, Beschl. v. 08.09.2011 – 1 StR 38/11 – NStZ 2011, 160). Ein Irrtum, der Steueranspruch sei nicht entstanden, stelle nach dieser Rechtsprechung einen Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB dar, der den Vorsatz ausschließe (BGH, Urt. v. 13.11.1953 – 5 StR 342/53 – NJW 1964, 241; BGH, Urt. v. 05.03.1986 – 2 StR 666/85 – wistra 1986, 174; BGH, Beschl. v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90 – NStZ 1991, 89; BGH, Beschl. v. 08.09.2011 – 1 StR 38/11 – NStZ 2012, 160). Ein Irrtum über die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens sei dagegen als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln, so dass der Täter nur dann ohne Schuld handele, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte.
2. Das Finanzgericht war von dem Vorliegen vorsätzlichen Handelns der Klägerin und des Ehemanns als Zuwendenden nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO überzeugt. Der Ehemann habe aufgrund der Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Transfer von Kundenvermögen auf ausländische Konten hinsichtlich seiner inländischen steuerlichen Pflichten sensibilisiert sein müssen. Gleiches müsse für die Klägerin gelten, da sie über die Vorwürfe gegenüber ihrem Ehemann informiert war. Das Argument, diese Sensibilisierung habe sich auf das Ertragsteuerrecht beschränkt, hielt das Gericht für fernliegend. Der Vortrag der Klägerin, die schenkungsteuerliche Behandlung unbenannter ehebedingter Zuwendungen sei zum damaligen Zeitpunkt streitig gewesen, belege keinen schuldausschließenden Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB. Denn die schenkungsteuerrechtliche Beurteilung unbenannter, ehebedingter Zuwendungen sei zum Zeitpunkt der Zuwendung bereits höchstrichterlich geklärt gewesen.
IV. Der rückwirkende Wegfall des Steueranspruchs nach § 29 ErbStG lasse die Steuerhinterziehung nicht entfallen. Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen sei in dem Zeitpunkt vollendet und beendet, in dem das Finanzamt bei rechtzeitiger Anzeige der Zuwendung den Schenkungsteuerbescheid bekanntgegeben hätte (BGH, Beschl. v. 25.07.2011 – 1 StR 631/10 – BGHSt 56, 298). Ob die Steuer nach diesem Zeitpunkt zu hoch oder zu niedrig festgesetzt werde, sei lediglich für die Frage von Belang, ob eine Verkürzung auf Dauer eintrete. Der Eintritt des Erfolgs einer Steuerverkürzung auf Zeit werde hiervon nicht berührt.
V. Schließlich stehe einer Festsetzung von Hinterziehungszinsen auch die Akzessorietät des Zinsanspruchs nicht entgegen. Der Zinsanspruch nach § 235 AO und der Steueranspruch seien nur insoweit akzessorisch, als die Verzinsung nach dem Wortlaut des § 235 Abs. 1 Satz 1 AO den Taterfolg einer Steuerhinterziehung voraussetze und der Zinslauf nach § 235 Abs. 3 Satz 1 AO ende, wenn die Steuerschuld getilgt werde. Eine Akzessorietät bestehe jedoch nicht in Bezug auf die Festsetzung von Steuer- und Zinsschuld, da nach § 235 Abs. 3 Satz 3 AO eine Änderung der Steuerfestsetzung nach Ende des Zinslaufs die Höhe der Hinterziehungszinsen unberührt lasse. Die Steuerfestsetzung habe keine Bindungswirkung für die Zinsfestsetzung (BFH, Urt. v. 28.03.2012 – II R 39/10 – BStBl II 2012, 712; Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 40/2012 Anm. 3). Die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach eine Festsetzung von Zinsen nach rückwirkendem Entfallen der Steuerschuld nicht zulässig sein soll (Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Stand Nov. 2017, § 29 Rn. 76), überzeuge im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 235 AO und den Vergleich mit § 233a Abs. 2a AO nicht.
VI. Mit der Klägerin als Zuwendungsempfängerin und derjenigen, zu deren Vorteil Steuern hinterzogen wurden, sei außerdem die richtige Zinsschuldnerin i.S.v. § 235 Abs. 1 Satz 2 AO in Anspruch genommen worden.

C. Kontext der Entscheidung

Das Finanzgericht stellt in seiner Entscheidung für die Beurteilung des Vorliegens einer Steuerhinterziehung auf die ständige Rechtsprechung des BGH ab, sowohl hinsichtlich der Anforderungen an das Vorliegen des objektiven als auch des subjektiven Tatbestandes. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach für möglich hält (sog. Steueranspruchstheorie, BGH, Urt. v. 09.02.1995 – 5 StR 722/94 – wistra 1995, 191; BFH, Urt. v. 29.04.2008 – VIII R 28/07 – BFHE 220, 332; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 34/2008 Anm. 1). Ausreichend ist, dass der Täter die Steuererheblichkeit seines Handelns erkennt (BGH, Urt. v. 24.01.1990 – 3 StR 290/89 – wistra 1990, 193; BGH, Urt. v. 24.09.1953 – 5 StR 225/53 – BGHSt 4, 347; BFH, Beschl. v. 18.12.1986 – I B 49/86 – BStBl II 1988, 213). Dieser Rechtsprechung ist das Finanzgericht gefolgt, da nach dem Vortrag der Klägerin erkennbar wurde, dass sich die Ehegatten über die schenkungsteuerliche Würdigung unbenannter ehebedingter Zuwendungen informiert hatten. Dass die Klägerin einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, wurde nicht zur Überzeugung des Senats vorgetragen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Den meisten Ehegatten ist die schenkungsteuerliche Relevanz von Zuwendungen nicht bewusst. Aufgrund der Höhe des Schenkungsteuerfreibetrags von 500.000 Euro würden Zuwendungen unter Ehegatten in der Praxis auch häufig nicht zu einer Festsetzung von Schenkungsteuer führen. Dennoch sind Schenkungen unter Ehegatten grundsätzlich schenkungsteuerbar und schenkungsteuerpflichtig. Bei der Änderung des gesetzlichen Güterstandes oder der Aufhebung im Rahmen der Ehescheidung lautet der Ausweg aus der Schenkungsteuerfalle die Vereinbarung einer sog. Güterstandsschaukel. Hiermit wird vertraglich der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft aufgehoben, und ein Zugewinn wird schenkungsteuerfrei unter den Ehegatten gemäß § 5 Abs. 2 ErbStG ausgeglichen. Zuwendungen des vermögenderen Ehegatten in der Vergangenheit werden dadurch steuerfrei, denn die Schenkungsteuer erlischt ex tunc, soweit die Schenkung auf den steuerfreien Zugewinnausgleichsanspruch des anderen Ehegatten gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 ErbStG angerechnet wird.
Das Urteil des Finanzgerichts stellt klar, dass mit dem Erlöschen der Schenkungsteuer mit Wirkung für die Vergangenheit das steuerstrafrechtliche Risiko nicht ebenfalls erlischt. Vielmehr bleibt die Straftat bestehen und berechtigt die Finanzverwaltung zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen. In der Beratungspraxis sollte der Steuerpflichtige deshalb stets auf seine Anzeigepflicht (§ 30 Abs. 1 ErbStG) und das bestehende Zinsrisiko hingewiesen werden, auch wenn durch Steuergestaltung nach materiell-rechtlichen Vorschriften eine Festsetzung von Schenkungsteuer verhindert werden kann. Wurde die Drei-Monats-Frist zur Anzeige der Schenkung überschritten, sollten betroffene Ehegatten die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO prüfen lassen, um eine Strafverfolgung zu vermeiden. Es bleibt abzuwarten, ob die Steuerfahndungsstellen der Finanzämter die Entscheidung des FG Kassel zum Anlass nehmen werden, in Fällen der Güterstandsschaukel die strafrechtliche Relevanz der Zuwendungen nochmals zu überprüfen.

Festsetzung des hinterzogenen Betrags keine Voraussetzung für Festsetzung von Hinterziehungszinsen
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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Festsetzung des hinterzogenen Betrags keine Voraussetzung für Festsetzung von Hinterziehungszinsen
Thomas HansenRechtsanwalt
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