Nachfolgend ein Beitrag vom 22.1.2018 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 3/2018 Anm. 6
Leitsatz
Keine steuerfreien Tätigkeiten als Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler (§ 4 Nr. 11 UStG) sind die typischerweise mit dem Aufbau und der Aufrechterhaltung eines Strukturvertriebes einhergehende Betreuung, Schulung und Überwachung von Versicherungsvertretern, die Festsetzung und Auszahlung der Provisionen sowie das Halten der Kontakte zu den Versicherungsvertretern.
A. Problemstellung
Die Frage der Umsatzsteuerbefreiung mehrstufiger Vertriebsstrukturen auf dem Gebiet der Versicherungen und der Finanzprodukte ist bereits seit vielen Jahren Gegenstand der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung. Der BFH konnte nun abermals zu einer entsprechenden Rechtsfrage entscheiden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte in den Jahren 2009 und 2010 für eine Aktiengesellschaft Leistungen im Zusammenhang mit dem Aufbau eines Strukturvertriebes erbracht. Unter anderem organisierte er Werbeveranstaltungen, war als Referent tätig und warb ca. 40 Makler an. Hierfür erhielt er unterschiedliche Zahlungen von der Auftraggeberin. Weiterhin schlossen der Kläger und seine Ehefrau mit ausländischen Versicherungsunternehmen Versicherungsverträge ab, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit für die Aktiengesellschaft standen.
Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung vertrat das Finanzamt, die Leistungen des Klägers für den Aufbau des Strukturvertriebes seien umsatzsteuerpflichtig und nicht wie von diesem angenommen umsatzsteuerfrei. Nach erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren folgte eine finanzgerichtliche Klage, die im ersten Rechtsgang keinen Erfolg hatte (FG Leipzig, Urt. v. 24.09.2014 – 8 K 157/14). Der BFH hob mit Beschluss vom 27.05.2015 (V B 31/15 – BFH/NV 2015, 1274) das erstinstanzliche Urteil auf. Im zweiten Rechtsgang erklärte das Finanzgericht das Klagebegehren abermals für unbegründet (FG Leipzig, Urt. v. 03.03.2016 – 8 K 942/15 – EFG 2016, 1375). Die Leistungen des Klägers seien keine Tätigkeit als Versicherungsmakler oder Versicherungsvertreter nach § 4 Nr. 11 UStG gewesen, weil sie keinen Bezug zu einzelnen Geschäften hatten. Auch komme keine sonstige Befreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in Betracht.
Hiergegen wendete sich der Kläger mit der Revision. Diese war nach Auffassung des BFH unbegründet.
Zwar befreie § 4 Nr. 11 UStG die Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler und setze insoweit Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL in das nationale Recht um.
Bei der Auslegung sei die Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen. Nach dessen ständiger Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 17.03.2016 – C-40/15 – MwStR 2016, 334 „Aspiro“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 26/2016 Anm. 6; EuGH, Urt. v. 03.04.2008 – C-124/07 – Slg. I 2008, 210 „J.C.M. Beheer“; EuGH, Urt. v. 03.03.2005 – C-472/03 – Slg. I 2005, 1719 „Arthur Andersen“) setze die entsprechende Steuerbefreiung voraus, dass der Dienstleistungserbringer sowohl mit dem Versicherer als mit dem Versicherten in Verbindung stehe, wobei auch eine mittelbare Verbindung ausreichend sein könne. Weiterhin müsse die Tätigkeit des Dienstleistungserbringers wesentliche Aspekte der Vermittlungstätigkeit, wie das Suchen von Kunden und Zusammenbringen derselben mit dem Versicherer, umfassen. Bei einem Unterauftragnehmer setze dies voraus, dass er zumindest mittelbar am Abschluss der Versicherungsverträge beteiligt sei.
Die bei Strukturvertrieben übliche Betreuung, Schulung und Überwachung von Versicherungsvertretern, Festsetzung und Auszahlung von Provisionen oder Halten der Kontakte mit den Vertretern gehörten nicht zu den steuerbegünstigten Tätigkeiten. Diese Leistungen könnten nur dann steuerfrei sein, wenn der Unternehmer durch Prüfung jedes Vertragsangebots mittelbar auf eine der Parteien einwirken könne, wobei die Möglichkeit vorliegen müsse, eine solche Prüfung im Einzelfall durchzuführen (vgl. BFH, Urt. v. 30.10.2008 – V R 44/07 – BStBl II 2009, 554).
Nach diesen Grundsätzen seien die Tätigkeiten des Klägers nicht umsatzsteuerfrei. Das Finanzgericht habe nach § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, dass die Aufgabe des Klägers sich darauf beschränkte, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler direkt oder indirekt anzuwerben. Er habe keinen Bezug zu einzelnen vermittelten Versicherungsverträgen gehabt und somit nicht die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten besessen.
Daran änderten auch die vom Kläger und seiner Ehefrau abgeschlossenen Verträge nichts. Zum einen seien die Vergütungen für den Aufbau des Strukturvertriebes nicht für die Vermittlung dieser Verträge geleistet, und zum anderen fehle es bereits für die beiden vom Kläger selbst abgeschlossenen Verträge an einer Vermittlung, denn er sei selbst Vertragspartei gewesen. Anders als vom Kläger vorgetragen, sei es nicht relevant, ob die Vergütungen fest oder variabel gewesen seien.
C. Kontext der Entscheidung
Sowohl aus Sicht des Unionsrechts als auch aus Sicht des nationalen Rechts ist grundsätzlich geklärt, dass auch Leistungen in einer mehrstufigen Vertriebsstruktur steuerbefreit werden können. Dies gilt sowohl für Umsätze als Versicherungsmakler oder Versicherungsvertreter (vgl. grundlegend EuGH, Urt. v. 03.04.2008 – C-124/07 „J.C.M. Beheer“, in Deutschland umgesetzt in Abschn. 4.11.1 Abs. 2 UStAE) als auch für Umsätze aus der Vermittlung von Finanzumsätzen (grundlegend EuGH, Urt. v. 21.06.2007 – C-453/05 – Slg. I 2007, 5083 „Volker Ludwig“, in Deutschland umgesetzt in Abschn. 4.8.1 Abs. 1 UStAE). Der BFH hat neben der zitierten Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2008 insbesondere in einer Entscheidung des Jahres 2009 zu entsprechenden Vertriebsstrukturen Stellung genommen (BFH, Urt. v. 28.05.2009 – V R 7/08 – BStBl II 2010, 80; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 41/2009 Anm. 7).
Allerdings gilt die Steuerbefreiung nur dann, wenn ein zwischengeschalteter Untervermittler selbst Leistungen schuldet, welche die spezifischen und wesentlichen Charakteristika einer Vermittlungsleistung aufweisen. Wie durch den BFH abermals ausgeführt, sind rein überwachende, koordinierende und ähnliche Leistungen nicht steuerbefreit, sondern jedes Glied der Vermittlerkette muss die Möglichkeit haben, im Einzelfall auf die vermittelten Vertragsabschlüsse einzuwirken.
Im Jahr 2014 entschied der BFH im Übrigen, dass auch das Durchhandeln von Deckungskarten im Bereich der Kraftfahrzeugversicherung eine steuerfreie Tätigkeit nach § 4 Nr. 11 UStG sein kann, und führte in diesem Urteil erstmals explizit aus, dass der Vermittler weder zum Kunden noch zur Versicherungsgesellschaft unmittelbaren Kontakt haben muss (BFH, Urt. v. 24.07.2014 – V R 9/13 – BFH/NV 2014, 1783; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 15/2015 Anm. 6).
Zur negativen Abgrenzung erscheint für den Bereich der Finanzumsätze der Hinweis auf ein weiteres Urteil des BFH aus dem Jahr 2014 geboten. In der entsprechenden Entscheidung fehlten den streitgegenständlichen Leistungen die notwendigen Charakteristika einer Vermittlungsleistung, so dass sie als steuerpflichtig bewertet wurden (BFH, Urt. v. 14.05.2014 – XI R 13/11 – BStBl II 2014, 734; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 37/2014 Anm. 6).
D. Auswirkungen für die Praxis
Aus dem Urteil ergibt sich kein unmittelbarer Handlungsbedarf, weil es im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH und der schriftlichen Verwaltungsauffassung im Umsatzsteueranwendungserlass steht. Auf keinen Fall sollte aus dem Urteil geschlussfolgert werden, dass Leistungen im Strukturvertrieb in größerem Umfang als in der Vergangenheit praktiziert als umsatzsteuerpflichtig anzusehen sind.
Allerdings müssen Strukturvertriebe wie in der Vergangenheit gehandhabt darauf achten, dass jede Stufe der Vertriebsorganisation die Möglichkeit der Einflussnahme auf die einzelnen Vertragsabschlüsse bekommt. Hierzu sollte insbesondere über geeignete EDV-Lösungen nachgedacht werden, falls solche noch nicht implementiert wurden.
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