Nachfolgend ein Beitrag vom 22.9.2015 von Carsten Kunkel, jurisPR-HaGesR 9/2015 Anm. 6

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die GmbH darf vor Ablauf des Sperrjahres gem. § 73 GmbHG im Handelsregister in der Regel nicht gelöscht werden, selbst wenn die bekannten Gläubiger befriedigt sind und das Restvermögen schon verbotswidrig verteilt wurde. Die Eintragung der Löschung vor Ablauf des Sperrjahres kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Gesellschaft über kein verteilungsfähiges Vermögen mehr verfügt. Ein laufender Aktivprozess steht der Beendigung stets entgegen.

A. Problemstellung

Die vorliegende Entscheidung des OLG Jena befasst sich mit der Anmeldung des Abschlusses der Liquidation einer GmbH zur Eintragung in das Handelsregister gem. § 74 GmbHG. Die §§ 65 bis 74 GmbHG regeln das Auflösungsverfahren selbst. Insbesondere der Ablauf des dem Gläubigerschutz dienenden sog. Sperrjahres (vgl. statt vieler H.F. Müller in: MünchKomm GmbHG, 2011, § 73 Rn. 1, m.w.N.) ist hierbei beachtlich, vgl. § 73 GmbHG. Dieser regelt die Voraussetzungen der Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschafter und ergänzt insoweit § 72 GmbHG.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Anfang Mai 2014 beantragte die streitgegenständliche GmbH beim zuständigen Registergericht die Eintragung der Beendigung ihrer Liquidation und das Erlöschen ihrer Firma. Der Liquidator versicherte dabei, dass die GmbH über kein Immobilienvermögen verfüge, zudem alle Vermögensgegenstände veräußert und vorhandene Schulden berichtigt worden seien sowie eine Verteilung von Vermögen nicht zu erfolgen habe und Ausschüttungen an die Gesellschafter nach Anmeldung der Liquidation nicht vorgenommen worden seien. Die Auflösung der GmbH sowie die Aufforderung an die Gläubiger, ihre Forderungen anzumelden, seien Mitte Februar 2014 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden.
Das Registergericht wies den Antrag daraufhin unter Hinweis auf die noch nicht abgelaufene Sperrfrist gem. § 73 GmbHG zurück und forderte den Liquidator zur Erklärung unter anderem dahingehend auf, dass keine Prozesse mit der Gesellschaft als Partei anhängig seien. Für den Fall dieser fehlenden Ergänzung kündigte es an, den Ablauf der Sperrfrist für die Eintragung abwarten zu wollen. Gleichzeitig bat das vom Registergericht angehörte zuständige Finanzamt darum, die Löschung derzeit zurückzustellen, weil das Besteuerungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei.
Die Beschwerdeführerin gab die geforderte Erklärung nicht ab, verwies u.a. darauf, dass das Finanzamt kein Beteiligter des Löschungsverfahrens und somit dessen Mitteilung für die Entscheidung des Registergerichts bedeutungslos sei, und bat um rechtsmittelfähige Entscheidung. Daraufhin wies das Registergericht den Eintragungsantrag mit der bisherigen Begründung Ende August 2014 rechtsmittelfähig ab und half auch der hiergegen gerichteten Beschwerde nicht ab.
Der zulässigen Beschwerde gab das nach den §§ 119 Abs. 1 Nr. 1b, 23a Abs. 2 Nr. 3 GVG i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG, § 374 Nr. 1 FamFG zuständige OLG Jena im Mai 2015 unter dem Gesichtspunkt des mittlerweile erfolgten Ablaufs der Sperrfrist zu Mitte Februar 2015 als teilweise begründet statt. Ohne dies sei die Zurückweisung der beantragten Eintragung der Löschung durch das Registergericht berechtigt. Denn die GmbH dürfe in der Regel nicht vor Ablauf des Sperrjahres gem. § 73 GmbHG im Handelsregister gelöscht werden, selbst wenn die bekannten Gläubiger befriedigt sind und das Restvermögen schon verbotswidrig verteilt wurde, da alle Gläubiger die Chance der Meldung und gegebenenfalls der Mithilfe bei der Auffindung von Aktiva haben sollten. Die Eintragung der Löschung vor Ablauf des Sperrjahres komme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Gesellschaft über kein verteilungsfähiges Vermögen mehr verfüge, d.h. alle Gesellschaftsaktiva zur Gläubigerbefriedigung verwandt und i.Ü. gem. § 72 GmbHG an die Gesellschafter verteilt seien. Ein laufender Aktivprozess stehe der Beendigung daher stets entgegen (Besprechungsentscheidung mit Verweis auf Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 74 Rn. 4). Deswegen habe das Registergericht die Beschwerdeführerin zu Recht aufgefordert, unter anderem durch den Liquidator zu versichern, dass keine Prozesse mit der Gesellschaft als Partei anhängig seien.
Dahingegen trage die Begründung im Hinblick auf das nicht abgeschlossene Besteuerungsverfahren jedenfalls dann nicht, wenn nach den Feststellungen des Registergerichts der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft endgültig eingestellt ist und diese über keinerlei Vermögen mehr verfügt. Sei nämlich Aktivvermögen nicht feststellbar, sei es nach zivilrechtlichen Grundsätzen ohne Belang, ob die Finanzverwaltung noch Steuerforderungen gegen die betroffene Gesellschaft habe, sie stünden der Vollzugsreife der im Rahmen der Liquidation angemeldeten Eintragung über die Löschung der Firma jedenfalls nicht entgegen (Besprechungsentscheidung mit Verweis auf OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.03.2014 – I-3 Wx 48/14, 3 Wx 48/14). Einem – möglicherweise – noch bestehenden Abwicklungsbedarf kann gegebenenfalls durch Bestellung eines Nachtragsliquidators begegnet werden (Besprechungsentscheidung mit Verweis auf OLG Jena, Beschl. v. 18.03.2010 – 6 W 405/09). Vorliegend habe allein der Abschluss des Besteuerungsverfahrens, nicht eine mögliche Ermittlung hinsichtlich weiteren Vermögens der Beschwerdeführerin, in Rede gestanden, so dass dies die beantragte Eintragung jedenfalls nicht habe hindern können.

C. Kontext der Entscheidung

Der Entscheidung des OLG Jena ist grundsätzlich zuzustimmen. Das Registergericht muss vor Eintragung der Löschung die Beendigung der Liquidation prüfen. Hierzu ist grundsätzlich erforderlich, dass kein Abwicklungsbedarf mehr besteht, die Liquidatoren also ihre Pflichten nach den §§ 70 bis 73 GmbHG erfüllt haben. Hiernach ist insbesondere zu prüfen, ob das Sperrjahr gem. § 73 GmbHG eingehalten wurde. Denn dessen Absatz 1 schreibt nach dem Wortlaut explizit die Einhaltung der Sperrfrist für den Fall vor, dass Vermögen an die Gesellschafter verteilt werden soll. Eine vorzeitige Eintragung der Löschung vor Ablauf darf dementsprechend nur dann erfolgen, wenn das Gesellschaftsvermögen durch Gläubigerbefriedigung und nicht etwa durch Verteilung an die Gesellschafter erschöpft ist (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 05.11.2004 – 2 Wx 33/04; H.F. Müller in: MünchKomm GmbHG, 2011, § 73 Rn. 12; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Auflage 2012, § 73 Rn. 13; Scholz/Schmidt, GmbHG, § 73 Rn. 3, jeweils m.w.N.; Fietz/Fingerhuth, GmbHR 2006, 960). Kommt allerdings eine solche Verteilung in Ermangelung eines Liquidationsüberschusses nicht in Betracht, so ist der Schutz durch das Sperrjahr an und für sich nicht geboten (vgl. H.F. Müller in: MünchKommGmbHG, 2011, § 73 Rn. 12).
Allerdings sind zur Eintragung der Löschung sämtliche Geschäfte der Gesellschaft abzuschließen, d.h. es sind grundsätzlich die Gesellschaftsforderungen vollständig einzuziehen und die Gesellschaftsverbindlichkeiten zu erfüllen (vgl. H.F. Müller in: MünchKomm GmbHG, 2011, § 74 Rn. 3), was nach h.M. nicht der Fall ist, wenn noch Aktiv- oder Passivprozesse der Gesellschaft anhängig sind (vgl. Haas in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 74 Rn. 2; Nerlich in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 74 Rn. 5; K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, § 74 Rn. 1, jeweils m.w.N.; differenzierend im Hinblick auf Passivprozesse Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 74 Rn. 4). Gerade dies hatte der Liquidator jedoch nicht wie vom Registergericht gefordert, versichert, was einer Eintragung der Löschung – wie zutreffend vom Registergericht und sodann vom OLG Jena festgestellt – entgegenstand.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn entgegen der früher wohl herrschenden Ansicht die GmbH nicht allein durch die Beendigung der Liquidation (vgl. BGH, Urt. v. 29.09.1967 – V ZR 40/66; BAG, Urt. v. 09.07.1981 – 2 AZR 329/79) oder durch ihre Löschung im Handelsregister (vgl. Hönn, ZHR 138, 1974, 50; weitere Nachweise bei Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 74 Rn. 6 f.) erlischt, sondern nach heute h.M. („Lehre vom Doppeltatbestand“) erst dann, wenn die Liquidation beendet, die Gesellschaft kein Vermögen mehr besitzt und die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht ist (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.02.1986 – 2 U 148/85; instruktiv Schmidt, GmbHR 1988, 209, 211; Schmidt, GmbHR 1994, 829, 832; vgl. im Überblick Haas in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 60 Rn. 2; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 74 Rn. 7; Nerlich in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 74 Rn. 31 ff.; Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 65 Rn. 23, jeweils m.w.N.), kommt dem Abschluss des Liquidationsverfahrens und der Eintragung der Löschung in das Handelsregister große wirtschaftliche Bedeutung bei. Schließlich verliert die Gesellschaft mit ihrer Löschung im Handelsregister grds. ihre Partei- und Rechtsfähigkeit in Aktiv- und Passivprozessen. Es erlischt auch der Rechtsträger und damit mangels Rechtsnachfolger eine ggf. noch bestehende Verbindlichkeit (vgl. Haas in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 74 Rn. 16, m.w.N.; Lorscheider in: BeckOK GmbHG, 23. Edition, Stand: 15.06.2015, § 74 Rn. 10; a.A. Paura in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2008, § 74 Rn. 38: Nachtragsliquidation), denn nach der Lehre vom Doppeltatbestand steht es der Beendigung der Gesellschaft nicht entgegen, wenn noch Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft bestehen (Lorscheider in: BeckOK GmbHG, § 74 Rn. 10, m.w.N.).

Die Entscheidung bringt in diesem Kontext zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse mit sich, bietet jedoch hilfreiche Ansatzpunkte für die juristische Beratung. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessen, nämlich der Gesellschaft nach zügiger Auflösung und Löschung einerseits und dem Gläubigerschutz andererseits, führt sie die grundsätzliche Bedeutung der Einhaltung des Sperrjahres für das Auflösungsverfahren der §§ 65 bis 74 GmbHG vor Augen. Zudem verdeutlicht sie die regelmäßig mangelnde Relevanz eines noch nicht abgeschlossenen Besteuerungsverfahrens für die Eintragung der Löschung.