Nachfolgend ein Beitrag vom 21.1.2019 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 3/2019 Anm. 5
Tenor
Art. 168 und Art. 173 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass zum einen Gemeinkosten für Ratenkaufgeschäfte mit beweglichen Sachen – wie die im Ausgangsverfahren streitigen Geschäfte – selbst dann, wenn sie nicht in den vom Kunden für die Bereitstellung der betreffenden Ware geschuldeten Betrag – also in den steuerbaren Umsatzanteil – eingerechnet werden, sondern in den für die Finanzierung des Geschäfts geschuldeten Zinsbetrag – also in den steuerbefreiten Umsatzanteil -, trotzdem für Zwecke der Mehrwertsteuer ein Kostenelement dieser Bereitstellung darstellen, und dass zum anderen die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, eine Aufteilungsmethode anzuwenden, die den Anfangswert der betreffenden Ware bei Bereitstellung außer Acht lässt, weil diese Methode keine präzisere Aufteilung als die auf dem Umsatzschlüssel beruhende Methode gewährleistet.
A. Problemstellung
Der EuGH hat in einem britischen Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen der Vorsteueraufteilung im Zusammenhang mit Ratenkaufgeschäften, bei denen ein steuerfreier Finanzierungsanteil festgelegt ist, entschieden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Volkswagen Financial Services UK („VW FS“) ist eine Finanzierungsgesellschaft des Volkswagen-Konzerns, die unter anderem in Großbritannien Ratenkaufverträge für Fahrzeuge anbietet. Beim Ratenkaufvertrag erwirbt die Gesellschaft das Fahrzeug vom Händler und überlässt es dem Kunden gegen Zahlung der vereinbarten Raten. Umsatzsteuerlich wird VW FS als Käufer und (Weiter-)Verkäufer des Fahrzeugs behandelt. Der Ratenkaufpreis enthält einen Aufschlag für die Finanzierungskosten, eine Gemeinkostenmarge, eine Gewinnmarge und eine Wertberichtigung für unerträgliche Forderungen. Der Finanzierungsanteil wird nach dem britischen Recht als steuerfreier Finanzumsatz (Gewährung von Krediten entsprechend § 4 Nr. 8 a UStG) behandelt.
VW FS hat mit der britischen Steuerverwaltung vereinbart, den Vorsteuerabzug aus ihrer Tätigkeit nach einer sog. „Sondermethode bei Teilbefreiung“ zu ermitteln. Dabei handelt es sich um einen besonderen Vorsteuerschlüssel. In der Folge entwickelte sich ein Rechtsstreit mit der britischen Steuerverwaltung, weil die Steuerverwaltung den Anfangswert der gelieferten Fahrzeuge bei der Vorsteueraufteilung außer Acht lassen wollte. Im Ergebnis hätte sich ein für VW FS ungünstigerer Vorsteueraufteilungsschlüssel ergeben.
Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs legte dem EuGH verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vor. Dieser weist darauf hin, dass sich die Fragen mit der Auslegung der Art. 168 und 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL befassen. Zum einen sei zu beurteilen, ob die Gemeinkosten für Ratenkaufgeschäfte mit beweglichen Sachen selbst dann, wenn sie nicht in den vom Kunden für die Bereitstellung der Ware geschuldeten Betrag eingerechnet werden, sondern in den Finanzierungsanteil, der umsatzsteuerfrei ist, ein Kostenelement der Warenbereitstellung darstellten, und zum anderen, ob die Mitgliedstaaten berechtigt seien, bei der Vorsteueraufteilung den Anfangswert der Ware außer Acht zu lassen.
Der EuGH weist weiter darauf hin, dass er die Ansicht des vorlegenden Gerichts, die Kreditgewährung sei eine eigenständig zu beurteilende steuerfreie Leistung, seiner Beurteilung zugrunde legt, und dass dies grundsätzlich mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar erscheine (Verweis auf EuGH, Urt. v. 27.10.1993 – C-281/91 – Slg. I 1993, 5405 „Muys’ en De Winter’s Bouw- en Aannemingsbedrijf“).
Im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht gilt der Grundsatz, dass ein Unternehmer von der entrichteten Mehrwertsteuer auf Eingangsleistungen zu entlasten sei, falls diese für der Mehrwertsteuer unterliegende Tätigkeiten verwendet werden. Da die im Verfahren streitigen Gemeinkosten nicht nur mit Teilen, sondern mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit der VW FS zusammenhängen, sind diese auch ein Kostenelement der steuerpflichtigen Bereitstellung der Fahrzeuge. Dabei spiele keine Rolle, dass diese Kosten kalkulatorisch nur in den Finanzierungsaufschlag eingerechnet wurden.
Grundsätzlich seien die Mitgliedstaaten berechtigt, bei der Vorsteueraufteilung abweichend vom Regelmaßstab einer Aufteilung nach Umsätzen (Art. 173 Abs. 1 MwStSystRL), einen Steuerpflichtigen dazu zu verpflichten, besondere Methoden anzuwenden (Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL). Allerdings habe der Gerichtshof bereits entschieden, dass entsprechende Methoden nur dann vorgeschrieben werden dürften, wenn sie eine präzisere Bestimmung des pro rata-Satzes des Vorsteuerabzugs als die Umsatzmethode bewirkten (EuGH, Urt. v. 08.11.2012 – C-511/10 – DStR 2012, 2333 „BLC Baumarkt“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 51/2012 Anm. 6). Die gewählte Methode müsse nicht die genauestmögliche sein, jedoch ein präziseres Ergebnis gewährleisten als der Umsatzschlüssel (EuGH, Urt. v. 09.06.2016 – C-332/14 – DStR 2016, 1370 „Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 38/2016 Anm. 6).
Zwar habe der Gerichtshof in der Entscheidung „Banco Mais“ (EuGH, Urt. v. 10.07.2014 – C-183/13 – UR 2014, 630 = MwStR 2014, 508) für Leasinggeschäfte einer Bank der Automobilbranche entschieden, dass bei der Vorsteueraufteilung für die Nutzung bestimmter gemischt genutzter Gegenstände oder Dienstleistungen regelmäßig nicht die Bereitstellung der Fahrzeuge mit einzubeziehen sei. Jedoch lasse sich hieraus nicht ableiten, dass Art. 173 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL es den Mitgliedstaaten generell erlaube, für sämtliche ähnlichen Umsätze in der Automobilbranche und damit auch Ratenkaufgeschäfte wie im Ausgangsverfahren den Fahrzeugwert bei der Bereitstellung nicht in die Vorsteueraufteilung einzubeziehen. Das nationale Gericht habe nun zu überprüfen, ob die von der Steuerverwaltung angewendete Methode die tatsächliche, nicht unerhebliche Verwendung eines Teils der Gemeinkosten für abzugsberechtigende Umsätze berücksichtigt.
Zusammenfassend kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, bei Ratenkaufgeschäften eine Aufteilungsmethode anzuwenden, die den Anfangswert der betreffenden Ware bei Bereitstellung außer Acht lässt. Weiterhin seien Gemeinkosten für die Ratenkaufgeschäfte im steuerpflichtigen Umsatzanteil mit zu erfassen, und zwar selbst dann, wenn der Unternehmer sie kalkulatorisch im steuerfreien Finanzierungsanteil ansetze.
C. Kontext der Entscheidung
Aus unionsrechtlicher Sicht ist die Entscheidung bedeutend, weil der EuGH nunmehr bezüglich des Vorsteuerabzugs aus Gemeinkosten offenbar anders entscheidet als noch in der Rechtssache „Banco Mais“ im Jahr 2014. Seinerzeit hatte der Gerichtshof es einem Unternehmen versagt, bei Leasingverträgen auch den (umsatzsteuerpflichtigen) Anteil der Leasingraten in einen Vorsteuerschlüssel einzubeziehen, der nicht die Finanzierung betraf. Der EuGH erläutert abermals die Unterschiede nicht.
In Deutschland ist das Thema der Aufteilung von Vorsteuerbeträgen bei gemischten Tätigkeiten seit vielen Jahren ein Gegenstand der Finanzrechtsprechung. Grundsätzlich sieht Deutschland in § 15 Abs. 4 UStG als Regelmaßstab der Vorsteueraufteilung abweichend vom Unionsrecht nicht einen Umsatzschlüssel, sondern Methoden der wirtschaftlichen Zurechnung vor. Dabei werden allerdings abgesehen vom Immobilienbereich und einem BMF-Schreiben zur Vorsteueraufteilung bei Kreditinstituten keine konkreten Hinweise gegeben, welche Methoden anzuwenden sind. Daher kommt es häufig in Betriebsprüfungen zu Beanstandungen.
Im Immobilienbereich hat sich zwischenzeitlich durch die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen „BLC Baumarkt“ und „Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft“ auf Vorlage beider Umsatzsteuersenate des BFH sowie in der Folge ergangene BFH-Entscheidungen (BFH, Urt. v. 10.08.2016 – XI R 31/09 – BFHE 254, 461 = BFH/NV 2016, 1654; Anm. Eversloh, jurisPR-SteuerR 48/2016 Anm. 6, BFH, Urt. v. 07.05.2014 – V R 1/10 – BFHE 245, 416 = BFH/NV 2014, 1177, Anm. Eversloh, jurisPR-SteuerR 28/2014 Anm. 6, jeweils mw.N.) eine Auffassung herausgebildet, die den verwaltungsseitig als Regelmaßstab vorgesehenen Flächenschlüssel (vgl. Abschn. 15.17 Abs. 5 ff. UStAE) nur für sachgerecht erachtet, wenn bei der Immobilie keine stark unterschiedlich ausgestatteten Räume oder besondere Nutzflächen (beispielsweise Dachflächen) vorhanden sind. Die Finanzverwaltung schweigt allerdings zur Thematik bis auf weiteres.
Der EuGH verweist in der aktuellen Entscheidung insbesondere auf die Rechtssache „Rey“ und wiederholt, dass ein Mitgliedstaat nur dann besondere Vorsteueraufteilungsschlüssel vorschreiben darf, wenn diese zu einem präziseren Ergebnis führen als ein Umsatzschlüssel.
Die deutsche Finanzverwaltung sieht im Übrigen für den Bereich der Kaufgeschäfte mit Finanzierungsanteil eine Wahlmöglichkeit vor, den entsprechenden Finanzierungsanteil als umsatzsteuerfreien Finanzumsatz zu behandeln (vgl. Abschn. 3.11 UStAE). Diese Wahlmöglichkeit ist grundsätzlich dann attraktiv, wenn Geschäfte mit Letztverbrauchern oder nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern (§ 15 Abs. 2 UStG) ausgeführt werden, weil sich dann die Belastung mit Umsatzsteuer reduzieren lässt. Nachteilig für den leistenden Unternehmer ist jedoch, dass er nach Verwaltungsmeinung dann gezwungen ist, eine Vorsteueraufteilung vorzunehmen bzw. direkt der Finanzierungsleistung zuzurechnende Vorsteuerbeträge vollständig vom Abzug ausgeschlossen sind (vgl. Abschn. 3.11 Abs. 8 UStAE). Eine Aufteilung kann nach Verwaltungsmeinung unterbleiben, wenn der Kunde ein aus der bezogenen Leistung zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer ist.
Die entsprechende Verwaltungsmeinung dürfte im Einklang mit den Urteilsgrundsätzen stehen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Aus deutscher Sicht besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf für die Finanzverwaltung oder den Gesetzgeber. Unternehmen, die vergleichbare Transaktionen ausführen, sollten allerdings prüfen, ob der bisher angewendete Vorsteueraufteilungsschlüssel den Entscheidungsgrundsätzen entspricht. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, Schlüssel zu überprüfen und neu zu berechnen, und hierdurch einen höheren Vorsteuerabzug zu erreichen.
Die Entscheidung bestätigt abermals, dass ein Mitgliedstaat eine besondere Methode nur vorschreiben darf, wenn diese genauer ist als der allgemeine Umsatzschlüssel. Steuerpflichtige, bei denen die Finanzverwaltung eine Vorsteueraufteilung nach Umsätzen ablehnt, sollten nach den Grundsätzen dieser Entscheidung wie auch den Grundsätzen der Entscheidung „Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft“ prüfen, ob sie diese nicht doch durchsetzen können.
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