Nachfolgend ein Beitrag vom 6.10.2017 von Popp, jurisPR-ITR 20/2017 Anm. 2

Orientierungssatz

Ein datenschutzrechtlicher Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG vermag beim Warenhausdiebstahl die Unverwertbarkeit des Beweismittels für den Strafprozess grundsätzlich nicht zu begründen.

A. Problemstellung

„Fehlentwicklungen im Datenschutz“ hat jüngst Hans Peter Bull am Beispiel der Videoüberwachung diagnostiziert (JZ 2017, 797). Zu ihnen darf man wohl auch die zuweilen allzu großzügige Annahme von Verwertungsverboten rechnen, die für datenschutzwidrig entstandene Aufnahmen in gerichtlichen Verfahren gelten sollen. Es liegt auf der Hand, dass die dafür im Bereich des Arbeitsrechts (Stichwort: Mitarbeiterkontrolle) oder des Verkehrsrechts (Stichwort: Dashcam) entwickelten Grundsätze auf die Verfolgung von Straftaten nicht unbesehen übertragen werden können. Aus der Rechtsprechung sind dazu bislang nur wenige Entscheidungen bekannt (vgl. namentlich AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14) – ZD 2015, 341; OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 – NJW 2016, 2280). Sie sind im Schrifttum durchaus unterschiedlich aufgenommen worden. Es besteht also noch Klärungsbedarf, nicht zuletzt auch in der vorliegend vom OLG Hamburg behandelten Frage, wie strafverfahrensrechtlich mit Erkenntnissen aus einer an sich zulässigen, aber für den Betroffenen nicht nach § 6b Abs. 2 BDSG erkennbar gemachten Videoaufzeichnung umzugehen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im vorliegenden Fall war der Angeklagte wegen eines in einem Kaufhaus begangenen Betruges (§ 263 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin hatte sich das OLG Hamburg in der Revisionsinstanz u.a. mit der Frage zu befassen, ob die Videoaufzeichnungen einer am Tatort installierten Überwachungskamera im Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten verwertet werden durften. Der Beschwerdeführer bestritt dies mit der Behauptung, die Videoüberwachung der betreffenden Räumlichkeit sei ohne die nach § 6b Abs. 2 BDSG erforderlichen Hinweise erfolgt.
Ein strafprozessuales Verwertungsverbot lässt sich damit nach Auffassung des OLG Hamburg jedoch nicht begründen. Inwieweit eine nicht hinreichend kenntlich gemachte Videoüberwachung eben deshalb auch schon als rechtswidrig einzustufen ist, lässt das Oberlandesgericht dabei offen. Selbst wenn es sich so verhalten sollte, folge daraus für das Strafverfahren noch nicht die Unverwertbarkeit der auf diese Weise entstandenen Aufzeichnungen. Verwertungsverbote seien im Strafprozessrecht als begründungsbedürftige Ausnahme das Ergebnis einer Einzelfallabwägung, die das Gewicht des Verfahrensverstoßes und die Interessen des Beschuldigten, aber auch das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung in Rechnung zu stellen habe. Entsprechendes gelte grundsätzlich auch für privat angefertigte Videoaufzeichnungen. Zum einen habe die in § 6b BDSG getroffene Regelung nicht das Ziel, die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren abzusichern (weshalb ein Verstoß nur „mit begrenztem Gewicht“ in die Abwägung einzustellen sei); die Videoüberwachung eines Warenkaufhauses berühre auch nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern lediglich die „Individualsphäre“ des davon Betroffenen, die – „namentlich bei der Begehung von Straftaten“ – keine erhöhte Schutzbedürftigkeit aufweise. Zum anderen seien derartige datenschutzrechtliche Verstöße den Strafverfolgungsbehörden nicht zurechenbar.

C. Kontext der Entscheidung

I. Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit „optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung)“, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht der davon Betroffenen in mancherlei Hinsicht berührt, ist unter den Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 BDSG auch nicht-öffentlichen Stellen erlaubt, sei es zur Wahrnehmung des Hausrechts (Abs. 1 Nr. 2), sei es – für konkret festgelegte Zwecke – zur Wahrnehmung anderer berechtigter Interessen (Abs. 1 Nr. 3). In großen Kaufhäusern, in denen nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise mit Eigentums- und Vermögensdelikten zu rechnen ist, wird man schon deshalb ein entsprechendes Präventionsinteresse des Inhabers anerkennen müssen (vgl. AG Berlin-Mitte, Urt. v. 18.12.2003 – 16 C 427/02 – NJW-RR 2004, 531, 532); an der Sicherung von Beweismitteln für die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche aus solchen Delikten, ggf. auch für die Erstattung von Strafanzeigen, besteht gleichfalls ein berechtigtes Interesse (vgl. nur Taeger, ZD 2013, 571, 575 f.; Simitis/Scholz, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 6b Rn. 79, 81; hinsichtlich der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten jetzt auch nachdrücklich und überzeugend Bull, JZ 2017, 797, 802). In der Neufassung des BDSG durch das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) vom 30.06.2017 (BGBl I 2017, 2097), die am 25.05.2018 in Kraft treten wird, ist diese Regelung fast wortgleich übernommen worden (§ 4 Abs. 1 BDSG-neu). Vorrang haben wird dann aber wohl die Regelung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DSGVO (vgl. Reimer in: Sydow, DSGVO, 2017, Art. 6 Rn. 83 m.w.N.; Lachenmann, ZD 2017, 407, 410). Richtiger Ansicht nach steht § 6b Abs. 3 Satz 3 BDSG (bis zum 04.05.2017 noch Satz 2) einer Übermittlung solcher Aufnahmen an die Strafverfolgungsbehörden aus eigener Initiative nicht entgegen (Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 124; Gola/Schomerus/Klug/Körffer/Gola, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 6b Rn. 29). Für die Frage der Verwertbarkeit ergibt sich aus der Vorschrift allerdings nichts (zutr. OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 – NJW 2016, 2280, 2281).
II. Aus dem Umstand, dass eine an sich nach § 6b Abs. 1 BDSG zulässige Videoüberwachung nicht in der von Abs. 2 geforderten Weise „erkennbar“ gemacht worden ist, folgt zwar nicht zwangsläufig auch schon die Rechtswidrigkeit der Aufzeichnung selbst (Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 110; ebenso auch BAG, Urt. v. 21.06.2012 – 2 AZR 153/11 – ZD 2012, 568 mit insoweit zustimmender Anm. Sörup; zur Entscheidung auch Spitz, jurisPR-ITR 22/2012 Anm. 6; überholt daher ArbG Frankfurt, Urt. v. 25.01.2006 – 7 Ca 3342/05 – RDV 2006, 214). Zulässig sein können vielmehr sogar bewusst verdeckt vorgenommene Maßnahmen, sofern im einzelnen Fall gerade ein solches Vorgehen erforderlich und mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der davon Betroffenen nicht unverhältnismäßig ist (vgl. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG; Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 110). Diese Voraussetzungen dürften hier aber wohl kaum erfüllt gewesen sein.
Gleichwohl konnte das OLG Hamburg diese Frage letztlich offenlassen: Auch wenn man annimmt, dass die Videoüberwachung des Kaufhauses ohne die in § 6b Abs. 2 BDSG genannten Hinweise nicht hätte erfolgen dürfen (und diese Hinweise hier tatsächlich fehlten), ist die daran anschließende Frage, ob die (in diesem Fall rechtswidrig angefertigten) Aufzeichnungen im Strafverfahren gleichwohl verwertbar sind, im Ergebnis zu bejahen. Dabei erscheint es von vornherein verfehlt, die in der zivil- und arbeitsgerichtlichen Judikatur entwickelten Grundsätze (zu ihnen zuletzt Lachenmann, ZD 2017, 407) auf den Strafprozess zu übertragen (vgl. a. Löffelmann, JR 2016, 661, 662). Hier stellt ein Beweisverwertungsverbot sogar „von Verfassungs wegen eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, weil es die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt“ (BVerfG, Beschl. v. 07.12.2011 – 2 BvR 2500/09 Rn. 117 – BVerfGE 130, 1). Das OLG Hamburg folgt insoweit der „Abwägungslehre“ der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (zu ihr etwa Meyer-Goßner, StPO, 59. Aufl. 2016, Einl. Rn. 55a m.w.N.).
Freilich muss man sehen, dass es sich um die Verwertung eines Beweismittels handelt, das von privater Seite (ggf. rechtswidrig) erlangt und sodann den Strafverfolgungsorganen zur Verfügung gestellt worden ist. In diesen Fällen wird die Verwertbarkeit schon grundsätzlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Privatperson das Beweismittel auf rechtswidrige Weise erlangt hat (vgl. nur Beulke, Strafprozessrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 478; im Dashcam-Kontext auch Niehaus, NZV 2016, 551 m.w.N.). Etwas anderes könnte sich zwar aus dem Umstand ergeben, dass die (unterstellt: rechtswidrige) Videoaufzeichnung im Zuge der gerichtlichen Beweisaufnahme in Augenschein genommen und zu diesem Zwecke abgespielt werden muss, wodurch das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erneut – und diesmal staatlicherseits – berührt wird (vgl. Beulke Strafprozessrecht, Rn. 480; Niehaus, NZV 2016, 551, 552 f.). Aber das führt wiederum nur zu der Notwendigkeit einer Abwägung mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse, wie sie das OLG Hamburg hier schließlich auch vorgenommen hat (a.A. insoweit wohl Niehaus, NZV 2016, 551, 553 ff.). Das ist auch sachlich angemessen, weil strafprozessuale Beweisverwertungsregeln von vornherein nicht die Aufgabe haben können, nicht-öffentliche Stellen datenschutzrechtlich zu disziplinieren und ggf. mit der Unverwertbarkeit von Videoaufzeichnungen zu „bestrafen“ (das BDSG sanktioniert Verstöße gegen § 6b Abs. 2 BDSG noch nicht einmal selbst). Dem Interesse, bei einer in der Öffentlichkeit begangenen Straftat (mit einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) nicht ohne Vorwarnung zum Gegenstand einer im Übrigen zulässigen Videoaufzeichnung zu werden, dürfte kaum ein solches Gewicht zukommen, dass die strafrechtliche Aufarbeitung dieses Geschehens dahinter zurückzustehen hätte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, ob mit der vorliegenden Entscheidung eine Linie markiert wird, der weitere Gerichte folgen werden (unwahrscheinlich ist das wohl nicht). Für die Behandlung der nach wie vor beweisrechtlich ungeklärten, aber eben doch in mancherlei Hinsicht anders gelagerten Dashcam-Fälle lässt sich aus ihr jedenfalls nicht allzu viel ableiten (zur Verwertbarkeit im Strafverfahren AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14) – ZD 2015, 341; OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 – NJW 2016, 2280 m. Anm. Cornelius; unter zivilprozessualem Blickwinkel zuletzt Albrecht/Wessels, jurisPR-ITR 4/2017 Anm. 5).

Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen im Strafprozess
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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