Nachfolgend ein Beitrag vom 22.8.2017 von Altenhofen, jurisPR-HaGesR 8/2017 Anm. 3

Leitsatz

Entnimmt ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Beträge aus dem Gesellschaftsvermögen bei Vorliegen einer Unterbilanz, kann darin eine verbotswidrige Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 GmbHG liegen, auch wenn das Handeln des Gesellschafter-Geschäftsführers als Untreue zu bewerten ist.

A. Problemstellung

Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine verbotene Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG auch dann vorliegt, wenn das Handeln des Gesellschafter-Geschäftsführers als Untreue zu bewerten ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (der Schuldnerin), die Beklagte Gesellschafterin dieser GmbH. Weiterer Gesellschafter war der Geschäftsführer der Schuldnerin. Obwohl die Schuldnerin seit dem Bilanzstichtag vom 31.12.2009 eine Unterbilanz aufwies, erfolgten verschiedene Auszahlungen in bar bzw. mit der Firmenkreditkarte an den Gesellschafter-Geschäftsführer. Dieser erbrachte diesbezüglich keine Auskünfte oder Nachweise. Aus diesem Grund erstattete die Schuldnerin am 05.01.2012 gegen ihn Strafanzeige unter Hinweis auf den Vermögensnachteil in Höhe von insgesamt 13.318,93 Euro. Mit Urteil vom 17.10.2012 wurde er wegen Untreue in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der Kläger versuchte in der Folgezeit, den Geschäftsführer auf Rückzahlung der Auszahlung in Anspruch zu nehmen, was erfolglos blieb.
Mit der gegen die Beklagte erhobenen Klage forderte der Kläger nun von dieser Rückzahlung der entnommenen Beträge gemäß den §§ 30, 31 GmbHG. Die Klage war in beiden Instanzen erfolgreich.
Das OLG Hamm sah es als erwiesen an, dass Zahlungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer selbst und nicht an Dritte erfolgten und dass eine Unterbilanz im maßgeblichen Zeitraum der Zahlungen vorlag. Nach Ansicht des Gerichts erfolgten die Zahlungen an den Gesellschafter auch aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses, weil der Gesellschafter-Geschäftsführer die Auszahlungen nur erlangen konnte, weil er in seiner Funktion als Geschäftsführer Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen hatte. Daher sei sein Wille der Gesellschaft zuzurechnen, weshalb die Strafbarkeit der Handlung nicht dem Verstoß gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG entgegenstünde. Auch sei ein sog. Drittgeschäft im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, da dem Gesellschafter-Geschäftsführer kein Vergütungsanspruch zustand. Diesbezüglich war die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Ein solcher Beweis wurde aber nicht erbracht. Da die Erstattung von dem Empfänger, also dem Gesellschafter-Geschäftsführer, nicht mehr zu erlangen war und der eingeforderte Betrag auch zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich war, nahm das Oberlandesgericht eine Haftung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 GmbHG an.

C. Kontext der Entscheidung

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sind die beiden zentralen Aspekte im Recht der Kapitalgesellschaften. Ihr Zweck liegt darin begründet, einen Ausgleich zur Haftungsbeschränkung der Gesellschafter vorzusehen, um der Gesellschaft eine „Lebensgrundlage“ und den Gläubigern einen Haftungsstock zu verschaffen. Auszahlungen, die gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz verstoßen, sind demnach verboten (vgl. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, S. 610 ff.). Eine verbotene Zahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 GmbHG liegt vor, wenn ein Vermögenstransfer an einen Gesellschafter eine Verminderung des GmbH-Vermögens bei entsprechender Vermögensmehrung zugunsten des Gesellschafters zur Folge hat und hierdurch eine Unterbilanz entsteht oder eine bestehende Unterbilanz erweitert wird (Ekkenga in: MünchKomm GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 30 Rn. 126). Die Vermögensminderung muss dabei von der Gesellschaft veranlasst worden sein. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob das Handeln des Organs in den ihm zugewiesenen Wirkungskreis fiel. Überschreitet ein Organ die ihm zustehende Vertretungsmacht durch ein schadenstiftendes Verhalten, das so weit außerhalb seines Aufgabenbereichs liegt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Geschäfte nicht mehr erkennbar ist, so wird das Verhalten des Organs nicht mehr der Gesellschaft zugerechnet (BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57 – BGHZ 31, 258, 276; Verse in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 30 Rn. 24). In einem solchen Fall erfolgt die Leistung nämlich nicht mehr aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses, sondern im Rahmen einer Drittbeziehung, wenn und weil der Gesellschafter außerhalb der ihm eingeräumten Vertretungsbefugnis wie ein außenstehender Dritter gehandelt hat. Ein solcher der Gesellschaft nicht mehr zuzurechnender Akt wurde etwa angenommen, wenn ein Gesellschafter, der nicht zugleich Geschäftsführer ist, die Gesellschaft bestiehlt oder Gesellschaftsvermögen unterschlägt (Ekkenga in: MünchKomm GmbHG, § 30 Rn. 215). Insofern ist aber zu beachten, dass es sich hierbei um extreme Ausnahmefälle handeln dürfte.
Da es sich im vorliegenden Fall aber nicht um einen solchen Ausnahmefall handelte, weil der Geschäftsführer-Gesellschafter aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen hatte, musste sich die Gesellschaft den Willen des Gesellschafter-Geschäftsführers zurechnen lassen. Denn der Gesellschafter-Geschäftsführer handelte nicht derart außerhalb seines Wirkungskreises, dass ein Zusammenhang mit den Geschäften der Gesellschaft nicht mehr erkennbar war, was das OLG Hamm richtig erkannte. Insofern ändert die strafbare Untreue des Geschäftsführers nichts an dem Verstoß gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Den Einwand der Beklagten, durch die Haftung doppelt belastet zu werden, nämlich sowohl durch die Vermögensminderung bei der Gesellschaft als auch durch die Ausfallhaftung, hat das Gericht zu Recht mit Hinweis auf die vorrangigen Gläubigerinteressen zurückgewiesen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis dürfte entscheidend sein, zu erkennen, dass es sich bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation um den „Normalfall“ einer verbotenen Auszahlung handelte. Eine Ausnahme von der Rückzahlungspflicht bei strafbarem Verhalten kann nur in außergewöhnlich gelagerten Fällen angenommen werden, nämlich dann, wenn zwischen dem schadenstiftenden Verhalten und der Vertretungsmacht kein innerer Zusammenhang mehr vorliegt.