A. Problemstellung
Innerhalb eines Zeitraums von weniger als zwei Jahren hat sich der BGH mehrfach mit der Frage auseinandergesetzt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Steuerberater haftet, der zwar grundsätzlich ein ausschließlich steuerrechtliches Mandat hat, aber mit der Frage des Vorliegens eines Insolvenzgrundes der von ihm betreuten Gesellschaft bei der Erledigung dieses Mandates konfrontiert wird. In seinem Urteil vom 06.06.2013 (
IX ZR 204/12 – ZIP 2013, 1332) hatte der BGH im Grundsatz eine vertragliche Haftung des Steuerberaters bejaht, der den Jahresabschluss der betroffenen Gesellschaft zu steuerlichen Zwecken („Steuerbilanz“) aufzustellen hatte. Dabei hatte dieser einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag der GmbH festgestellt, aber zugleich (ungefragt) das Vorliegen der Überschuldung verneint, weil jedenfalls ein Firmenwert weit über die „rein bilanzielle“ Überschuldung hinaus bestünde. In seinem „Prüfbericht“ bejahte er eine positive Fortführungsprognose. Bei der späteren Insolvenz der Gesellschaft hatte sich die zum Berichtszeitpunkt des Beklagten effektiv bestehende insolvenzrechtliche Überschuldung erheblich vertieft. Der BGH hielt den Steuerberater der Gesellschaft gegenüber unter dem rechtlichen Aspekt des
§ 634 Nr. 4 BGB für schadensersatzpflichtig. Das Urteil knüpft u.a. sehr stark an die Haftung des Abschlussprüfers an, auch wenn die beklagte Steuerberater-GbR gar keine Abschlussprüfung vorgenommen hat oder vornehmen konnte (vgl. dazu auch Cranshaw,
jurisPR-InsR 15/2013 Anm. 2). Die Entscheidung liegt in der Linie der BGH-Judikatur in diesem Umfeld. Einer der Aspekte dieses Urteils war im Ergebnis, dass die positive Feststellung des Steuerberaters in der Folge den „Moral Hazard“ bei der Geschäftsführung trotz der ökonomischen Krise fördert, eine höhere Verschuldung einzugehen, in dem Bewusstsein, dass nichts passieren könne (BGH, Urt. v. 06.06.2013 –
IX ZR 204/12 Rn. 22, 23 f.). Rechtlicher Aspekt ist dabei der „Ursachenzusammenhang“ sowie die „Vertiefung der Überschuldung als adäquate Schadensfolge“ aufgrund zu bejahenden „Zurechnungszusammenhangs“. Die vorliegende aktuelle Besprechungsentscheidung, die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, vertieft die Judikatur aus dem Jahr 2013.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Besprechungsentscheidung ist der Schlusspunkt unter ein Verfahren, das erstinstanzlich beim LG Kiel begonnen hat (LG Kiel, Urt. v. 02.03.2011 –
17 O 104/10; beim LG Kiel waren im vorliegenden Zusammenhang weitere Rechtsstreite zu 14 O 71/08 und zu 17 O 164/08 geführt worden, deren Ergebnisse in das Verfahren
17 O 104/10 eingingen, vgl. OLG Schleswig, ZInsO 2011, 3281). Zweitinstanzlich war das Verfahren beim OLG Schleswig anhängig, gegen dessen erstes Urteil vom 02.09.2011 (
17 U 14/11 – ZInsO 2011, 2280) die Revision durchgeführt wurde. Der BGH hat das Urteil des OLG Schleswig aufgehoben und zurückverwiesen. In dieser Entscheidung hat der BGH darauf erkannt, „Gesellschafter und Geschäftsführer [könnten] in den Schutzbereich eines zwischen einer GmbH und einem Steuerberater geschlossenen Vertrages einbezogen sein, welcher die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife einer GmbH zum Gegenstand hat“ (BGH, Urt. v. 14.06.2012 –
IX ZR 145/11 – BGHZ 193, 297). Klägerin war die Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der später insolventen GmbH, eine Diplom-Volkswirtin. Der beklagte Steuerberater war jahrelang Steuerberater der GmbH und fertigte Jahresabschlüsse und Bilanzen, nicht jedoch die laufende Finanzbuchhaltung. Der Beklagte unterhielt damals mit dem Ehemann der Klägerin, einem Rechtsanwalt, eine Bürogemeinschaft (OLG Schleswig, Urt. v. 02.09.2011 –
17 U 14/11). Der Beklagte wurde auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil er bei der Erörterung der problematischen wirtschaftlichen Lage der GmbH erklärt haben soll, die Gesellschaft könne ohne Probleme fortgeführt werden. Das OLG Schleswig hatte festgestellt, dass der Beklagte fehlerhaft Auskunft über die Insolvenzreife der GmbH erteilt habe (OLG Schleswig, Urt. v. 02.09.2011 –
17 U 14/11 – ZInsO 2011, 2280, 2284, 2285; BGH, Urt. v. 14.06.2012 –
IX ZR 145/11 – BGHZ 193, 297, 299 Rn. 8); es hat freilich entschieden, der Geschäftsführer sei nicht in den Schutzbereich des Steuerberatungsvertrages mit der GmbH einbezogen. Die etwaige Bedeutung der Auskunft des Steuerberaters für die Haftung des Geschäftsführers sei allein für sich betrachtet kein Grund für die Haftung des Steuerberaters. Er habe aber als „Nebenpflicht“ die Aufgabe, vor „Insolvenzgefahr“ zu warnen, auch wenn er nur die Bilanz erstelle, wenn er erkenne, die Insolvenzreife sei eventuell eingetreten, und es seien weitergehende Prüfungen nötig. Grundsätzlich sei auch ein entsprechender „Beratungsbedarf des Mandanten [zu vermuten]“ (OLG Schleswig, Urt. v. 02.09.2011 –
17 U 14/11 – ZInsO 2011, 2280, Ls.). Im Kern des BGH-Urteils vom
14.06.2012 steht neben dem oben umrissenen Leitsatz zum Schutzbereich des Steuerberatungsmandates mit Erstellung der Bilanz die klare Feststellung, dass der Auftrag an den Steuerberater (im Rahmen des allgemeinen Mandats) zur Prüfung der Insolvenzreife ein Werkvertrag nach
§ 631 BGB ist (BGH, Urt. v. 14.06.2012 –
IX ZR 145/11 – BGHZ 193, 297, 300 Rn. 9 ff., m.w.N.) und der Tätigkeitsbereich des Steuerberaters über „die eigentliche steuerliche Rechtsberatung weit hinaus“ reiche. Das Folgeurteil des OLG Schleswig vom 18.01.2013 nach Zurückverweisung scheint nicht veröffentlicht; die Revision hat das OLG Schleswig nicht zugelassen, wie der vorliegend besprochene Beschluss des BGH zeigt, so dass beide Prozessparteien Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt haben. Beide waren erfolglos.
Das Berufungsgericht hat eine Haftung des beklagten Steuerberaters wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht in dem neuerlichen Urteil erneut bejaht, was nicht überraschend ist, nachdem der BGH im ersten Revisionsurteil hier keine Beanstandungen hatte. Der BGH vertieft in dem vorliegenden Beschluss seine Judikatur aus dem Jahr 2013 zu
IX ZR 204/12 sowie zu
IX ZR 145/11. Der Steuerberater mit „ausdrücklichem Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife“ unterliege vertraglicher Haftung (ggf. auch dem Geschäftsführer gegenüber). Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung haftet er für eine entsprechende Fehleinschätzung, wenn er nur mit der Aufstellung der Steuerbilanz betraut ist und darüber hinaus (ungefragt) fehlerhaft erklärt, eine insolvenzrechtliche Überschuldung bestehe nicht. Der mit „allgemeiner steuerlicher Beratung beauftragte“ Berater sei jedoch nicht verpflichtet, ungefragt den Geschäftsführer (einer GmbH) bei Entdeckung einer „Unterdeckung in der Bilanz“ auf seine Pflicht aufmerksam zu machen, das Vorliegen der Insolvenzreife zu prüfen oder die Prüfung (durch einen kompetenten Experten) in Auftrag zu geben. Kommt es allerdings mit dem Mandanten zu einer Erörterung über genau diese Thematik, dann hat er weitergehende Hinweispflichten. Kommt er diesen nicht nach, macht er sich schadensersatzpflichtig, wie dies auch sonst der Fall sei, wenn ein Berater Erklärungen abgebe, die für seinen Mandanten erheblich seien und die sich dann als unrichtig erwiesen. Bei einem lediglich „äußeren Anlass“ oder „Verdacht“ müsse der Steuerberater freilich nicht auf das Erfordernis einer Prüfung der Insolvenzreife hinweisen. Dies sei vielmehr nur der Fall, wenn der Mandant die Frage der Insolvenzreife thematisiere. Dann müsse der Steuerberater ihm aufzeigen, wie er die Insolvenzreife feststellen kann, nämlich entweder durch einen gesonderten Prüfungsauftrag an den Steuerberater selbst oder durch Auftragserteilung an einen kundigen Dritten (falls der Steuerberater selbst der gebotenen Expertise ermangelt). Diesen Pflichten habe der beklagte Steuerberater vorliegend nicht genügt, denn er habe trotz Nachfrage nach einer Überschuldung der Gesellschaft durch die Klägerin nur „unverbindliche Diskussionen“ geführt.
C. Kontext der Entscheidung
I. Der BGH unterscheidet sehr differenziert zwischen verschiedenen vertraglich vereinbarten Aufgaben des Steuerberaters einerseits, freiwilligen nicht ausdrücklich beauftragten Erklärungen und Hinweispflichten andererseits, die bestehen, wenn erkannt wird, dass eigene Äußerungen des Beraters (oder deren Unterlassung) zu weitreichenden fehlerhaften Entscheidungen des Mandanten führen. Die Rechtsprechung des Senats aus den letzten beiden Jahren (BGH, Urt. v. 14.06.2012 –
IX ZR 145/11; BGH, Urt. v. 07.03.2013 –
IX ZR 64/12 – WM 2013, 802, und die hier besprochene Entscheidung) zeigt Grund und Umfang der Haftung des Steuerberaters bei fehlerhafter oder fehlerhaft unterlassener Äußerung über die Insolvenzreife eines Mandanten, wobei der Geschäftsführer (oder das sonstige Geschäftsleitungsorgan) in den Schutzbereich des Beratungsvertrages einbezogen sein kann, wie sich aus dem Urteil vom 14.06.2012 (
IX ZR 145/11) ergibt. Eine Haftung dem Grunde nach scheidet aus, wenn der Steuerberater nur die allgemeine Steuerberatung des Unternehmens schuldet, ohne dass die Frage der Insolvenzreife jemals thematisiert würde. Dann hat er auch keine Redepflicht. Hingegen haftet er, wenn er einen ausdrücklichen Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife hat, aber auch schon dann, wenn er ungefragt und ohne einen solchen ausdrücklichen Auftrag als Ersteller der Steuerbilanz erklärt, Insolvenzreife bestehe gerade nicht. Spricht der Mandant die Frage der Insolvenzreife an, muss der Steuerberater, will er die Haftung vermeiden, Rede und Antwort stehen. Bei fehlender eigener Kompetenz muss er die Einholung des Rates eines kompetenten Dritten anempfehlen (BGH, Urt. v. 19.05.2009 –
IX ZR 43/08 – WM 2009, 1376 Rn. 10 f., in der Besprechungsentscheidung zitiert). Anscheinend soll auch derjenige Steuerberater nicht haften, der zwar mit der Bilanzerstellung beauftragt ist, eine Überschuldung feststellt und sich nicht äußert, sofern er keinen entsprechenden Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife hat. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass der BGH neben diesen Fallgruppen übergreifend im Ergebnis zum Ausdruck gebracht hat, ein Berater hafte dann, wenn er Erklärungen abgebe, die für den Mandanten erkennbar erheblich seien, die sich aber als falsch herausstellten (Rn. 4 des Besprechungsurteils). Die konkrete Fallkonstellation kann dann sicher sehr schnell dazu führen, dass dem Steuerberater vorgeworfen wird, er habe erkennen müssen, worauf es dem Mandanten ankam und er habe deshalb doch nicht schweigen dürfen. Im Allgemeinen dürfte das dann eine Frage der Beweisführung der klagenden Partei (Gesellschaft, Geschäftsführer, Vorstand) sein.
II. Der Umfang der Haftung der Steuerberaters bestimmt sich nach der Differenz der Vermögenslage der betroffenen Gesellschaft zum Zeitpunkt einer fingierten rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags und der tatsächlich erfolgten verspäteten Antragstellung. Die betroffene Gesellschaft trifft nach demselben Urteil ein Mitverschulden gemäß
§ 254 BGB, das von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig ist (BGH, Urt. v. 06.06.2013 –
IX ZR 204/12 Rn. 28, 29).
III. Die hier andiskutierte Judikatur des BGH betrifft die insolvenzantragspflichtigen juristischen Personen und Personengesellschaften des
§ 15a InsO, soweit der Insolvenzgrund der Überschuldung tangiert ist sowie deren Geschäftsführungsorgan, sofern es im Einzelfall in den Schutzbereich des Vertrages mit dem Steuerberater einbezogen ist. Betroffen sind auch der Verein (vgl.
§ 42 Abs. 2 BGB) und die rechtsfähige Stiftung (vgl.
§§ 86,
42 Abs. 2 BGB) und deren Vertretungsorgan.
Stellen sich Fragen zur Zahlungsfähigkeit im Umfeld der Tätigkeit des Steuerberaters, sind die obigen Grundsätze der BGH-Rechtsprechung gleichfalls heranzuziehen.
IV. Sinngemäß lässt sich diese Judikatur des BGH natürlich nicht nur auf Anwälte ausdehnen, sondern auch auf andere Berater, die das Vertretungsorgan eines Unternehmens hinzuzieht, um Krisensituationen zu bereinigen und insolvenzrechtliche Risiken zu vermeiden. Auf kompetente Beratung durch geeignete Berater darf sich das Vertretungsorgan der betroffenen Gesellschaft verlassen (vgl. dazu etwa LG Lüneburg, Urt. v. 30.05.2013 –
7 O 119/12 – ZInsO 2013, 1322; BGH, Urt. v. 14.05.2007 –
II ZR 48/06 – NJW 2007, 2118 Rn. 16 f.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Steuerberater und weitere im Umfeld von Sanierung und Insolvenz tätige Rechtsberater, ggf. auch Sanierungsberater, Interimsmanager usw., werden die Leitlinien der oben umrissenen Judikatur des BGH beachten. Bei Aufträgen, deren Erledigung zur Erkenntnis oder dem Verdacht etwa eingetretener oder drohender Insolvenzgründe führen, werden sie die Geschäftsführung je nach Kompetenz im Zweifel unverbindlich auch außerhalb eines konkreten Auftrages vorsorglich darauf aufmerksam machen, das Vorliegen eines Insolvenzgrundes könne nicht ausgeschlossen werden. Daher werde die Einholung kompetenten Rates empfohlen oder anheimgestellt. Kann der Berater mit der insolvenzrechtlichen Lage mangels eigener Kompetenz nichts anfangen, wird er dies ebenfalls unmittelbar zum Ausdruck bringen und sich eigener Wertung enthalten. Die Vertretungsorgane werden ihrerseits bemüht sein, selbst in den Schutzbereich des Vertrages mit dem Steuerberater einbezogen zu werden und Aufträge zur Prüfung der Insolvenzreife ausdrücklich zu erteilen, mindestens aber eine Hinweispflicht zu verabreden, sollte dem Steuerberater etwas „auffallen“.
Das Risiko des Steuerberaters, der die laufende Finanzbuchhaltung organisiert und zudem die Bilanz erstellt, nimmt zu. Sollte er mit der Frage, wann ein Insolvenzgrund vorliegt und wie dahin deutende Tatsachen auszulegen und zu verstehen sind, nicht hinreichend vertraut sein, muss er, wie bereits erwähnt, klar und deutlich solche Auftragsbestandteile zurückweisen, will er Haftungsrisiken vermeiden.