Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. Februar 2014 – 10 U 1/12 –, juris

Orientierungssatz

1. Ein Rechtsanwalt verletzt seine vertraglichen Pflichten, wenn er bei einem Auftrag zur Geltendmachung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs die Verjährungsfrist nicht prüft und keine Maßnahmen ergreift, die den Mandanten vor dem Eintritt des Anspruchsverlustes durch Ablauf der Verjährungsfrist bewahren.

2. Erhält der Anwalt trotz Aufforderung keine Unterlagen von dem Mandanten, so berechtigt ihn dies nicht dazu, ohne Rücksprache untätig zu bleiben. Er muss vielmehr gegenüber dem Mandanten darauf hinweisen, dass ihm für die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage Unterlagen fehlen und der Eintritt der Verjährung droht.

Aus den Entscheidungsgründen

Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen einer anwaltlichen Pflichtverletzung aufgrund eines Auftrages zur Geltendmachung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs in Anspruch. Die Klägerin ist aufgrund gemeinschaftlichen Testaments vom 23.12.2003 Alleinerbin ihres Ehemannes, des am 29.11.2005 verstorbenen T… C….

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 611, 675, 1922 BGB. Zwischen dem Beklagten und dem Erblasser T… C… bestand aufgrund der unstreitigen Beauftragung am 20.10.2003 ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), dem ein Dienstvertrag zugrunde lag. Der Geschäftsbesorgungsvertrag ist mit dem Tod des Auftraggebers nicht erloschen (§§ 675 Abs. 1, 672 Abs. 1 BGB). Die Klägerin ist als Alleinerbin von T… C… Rechtsnachfolgerin in Bezug auf dessen Ansprüche (§ 1922 BGB).

Der Beklagte hat seine vertraglichen Pflichten verletzt. Die Pflichten des Rechtsanwaltes und deren Umfang sind unter Berücksichtigung des Gegenstandes des Anwaltsvertrages und der Umstände des einzelnen Falles zu bestimmen (BGH, Urteil vom 1.3.2007, Az.: IX ZR 261/03, juris, Rn. 10). Gegenstand des Anwaltsvertrages war nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien zunächst aufgrund des Auftrages vom 20.10.2003 die außergerichtliche Geltendmachung des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs für die Aufwendungen von T… C… für die Tochter Y… im Zeitraum vom 1.1.2000 bis zum 18.5.2002. Am 10.8.2004 wurde dem Beklagten der Auftrag zur gerichtlichen Geltendmachung erteilt.

Zu den Grundpflichten des Rechtsanwalts gehören die Pflicht zur Belehrung über das Ergebnis einer Sach- und Rechtsprüfung und die Pflicht, Schäden des Mandanten zu verhüten (vgl. Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwaltes, 8. Aufl., Kap. 2 Rz. 429, 430). Der Rechtsanwalt muss verhindern, dass dem Auftraggeber rechtliche Nachteile durch Zeitablauf entstehen und dafür Sorge tragen, dass die Rechte des Mandanten gegen eine drohende Verjährung gesichert werden (st.Rspr., BGH, Urteil vom 19.12.1991, Az.: IX ZR 41/91, juris, Rn. 10). Weil die Versäumung von materiellen und prozessualen Fristen in der Regel für den Mandanten zu endgültigen Rechtsverlusten führt, muss der Anwalt vor der rechtlichen Prüfung des Sachverhalts eine sorgfältige Überprüfung von möglicherweise zu beachtenden Fristen durchführen.Maßstab der für den Rechtsanwalt geltenden objektiven Pflicht ist dabei ein gewissenhafter (Durchschnitts -) Anwalt, der die allgemein anerkannten Erfordernisse der anwaltlichen Berufsausübung unter den konkreten Umständen beachtet (Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille aaO, Kap. 2, Rz. 678).

Der Kläger hat die Verjährungsfrist nicht geprüft und keine Maßnahmen ergriffen, die den Mandanten vor dem Eintritt des Anspruchsverlustes durch Ablauf der Verjährungsfrist bewahrt haben. Der Ausgleichsanspruch für die Jahre 2000 und 2001 ist mit Ablauf des 31.12.2004 verjährt; hinsichtlich der im Jahr 2002 entstandenen Forderung trat Verjährung mit Ablauf des 31.12.2005 ein. Bis zu diesen Zeitpunkten wurde vom Beklagten weder Klage eingereicht noch sind andere die Verjährung hemmenden Schritte unternommen worden.

Das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten unterliegt keiner abweichenden Einschätzung im Hinblick auf die von ihm behaupteten Weisungen seiner Mandantschaft. Der streitige Vortrag, dass die Klägerin im Gespräch am 18.10.2006 „um Bedenkzeit gebeten“ und ihn am 22.10.2008 angehalten habe, „nichts zu unternehmen“, betrifft Zeitpunkte nach Ablauf der Verjährungsfristen. Die Weisungen hatten auf den spätestens am 31.12.2005 eingetretenen Ablauf der Verjährungsfristen keinen Einfluss.

Auch die Behauptung, T… C… und nach seinem Tod die Klägerin seien säumig mit der Übergabe von Unterlagen gewesen, steht der Pflichtverletzung des Beklagten nicht entgegen. Selbst wenn der Beklagte trotz Aufforderung keine Unterlagen zu geleisteten Zahlungen erhalten haben sollte, berechtigte ihn dies nicht dazu, ohne Rücksprache mit dem Mandanten untätig zu bleiben. Der Beklagte hätte vielmehr gegenüber dem Mandanten darauf hinweisen müssen, dass ihm für die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage Unterlagen fehlten und der Eintritt der Verjährung mit Ablauf des 31.12.2004 beziehungsweise des 31.12.2005 drohte (vgl. zur Hinweispflicht BGH, Urteil vom 8.10.1981, Az.: III ZR 190/79, juris, Rn. 14). Nach der Vermutung beratungsgerechten Verhaltens des Mandanten (BGH, Urteil vom 30.9.1993, Az.: IX ZR 73/93, juris, Rn. 18) ist nämlich davon auszugehen, dass der Beklagte die notwendigen Informationen einschließlich der Auskünfte über Unterhaltsrückstände rechtzeitig erhalten hätte und auch über die Jugendamtsurkunden vom 1.9.2003 informiert worden wäre. Daraus hätte der Beklagte ersehen können, dass der vom Jugendamt ermittelte Unterhalt deutlich geringer war als vom Beklagten behauptet und die Entscheidung, von der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs abzusehen, nicht gerechtfertigt hätte.

Das objektiv fehlerhafte Verhalten des Beklagten spricht auch für sein Verschulden. Umstände, die belegen, dass ihn an der Pflichtwidrigkeit kein Verschulden trifft, hat der Beklagte nicht dargelegt, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

Die Pflichtverletzung des Beklagten war für den eingetretenen Schaden auch kausal. Wird dem Rechtsanwalt ein Unterlassen – hier die unterlassene gerichtliche Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs – vorgeworfen, ist maßgeblich, ob bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre (BGH, Urteil vom 17.10.2002, Az.: IX ZR 3/01, juris, Rn. 11). Bei auftragsgemäßer Geltendmachung wäre der familienrechtliche Ausgleichsanspruch von T… C… im gerichtlichen Verfahren zuerkannt worden.