Urteil vom 19. Februar 2013
Die Nichtzulassung der sukzessiven Adoption angenommener Kinder eingetragener Lebenspartner durch den anderen Lebenspartner verletzt sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem heute verkündeten Urteil entschieden. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2014 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist das Lebenspartnerschaftsgesetz mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Sukzessivadoption auch für eingetragene Lebenspartnerschaften möglich ist.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. Nach bisheriger Rechtslage ist die Adoption des leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners möglich (sogenannte Stiefkindadoption, § 9 Abs. 7 LPartG). Nicht eröffnet ist hingegen die hier in Rede stehende Adoption des vom eingetragenen Lebenspartner angenommenen Kindes (sogenannte Sukzessivadoption). Ehegatten wird demgegenüber sowohl die Möglichkeit der Stiefkindadoption als auch die der Sukzessivadoption eingeräumt.
2. Hinsichtlich der beiden Ausgangsverfahren wird auf die Pressemitteilung Nr. 81/2012 vom 3. Dezember 2012 verwiesen.
3. Der Ausschluss der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
a) Dabei kommt ein – gegenüber dem bloßen Willkürverbot – deutlich strengerer Prüfungsmaßstab zur Anwendung. Mit Blick auf die Ungleichbehandlung der betroffenen Kinder gilt dies schon deshalb, weil Grundrechte berührt sind, die für die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder wesentlich sind. Auch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern unterliegt hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil sie die sexuelle Identität betrifft.
b) Die Ungleichbehandlung der betroffenen Kinder im Verhältnis zu adoptierten Kindern von Ehepartnern ist nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt für die Ungleichbehandlung der betroffenen Lebenspartner im Verhältnis zu Ehegatten, denen eine Sukzessivadoption möglich ist.
aa) Generell soll mit der Beschränkung von Sukzessivadoptionen insbesondere der Gefahr entgegengewirkt werden, dass ein Kind konkurrierenden Elternrechten ausgesetzt ist, die widersprüchlich ausgeübt werden könnten. Zum Wohle des Kindes soll zudem verhindert werden, dass es im Wege der sukzessiven Adoption von Familie zu Familie weitergegeben wird. Weil diese Gefahren für gering gehalten werden, wenn es sich bei den Eltern um Ehepartner handelt, ist die Sukzessivadoption durch Ehepartner zugelassen. Die Adoption durch den eingetragenen Lebenspartner unterscheidet sich jedoch in beiden Aspekten nicht von der durch den Ehepartner. Insbesondere ist die eingetragene Lebenspartnerschaft gleichermaßen auf Dauer angelegt und durch eine verbindliche Verantwortungsübernahme geprägt wie eine Ehe.
bb) Der Ausschluss der Sukzessivadoption ist nicht damit zu rechtfertigen, dass dem Kind das Aufwachsen mit gleichgeschlechtlichen Eltern schade. Es ist davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern ebenso fördern können wie die einer Ehe. Bedenken, die sich gegen das Aufwachsen von Kindern in gleichgeschlechtlichen Elterngemeinschaften im Allgemeinen richten, wurden in der ganz überwiegenden Zahl der sachverständigen Stellungnahmen zurückgewiesen. Im Übrigen wäre der Ausschluss der Sukzessivadoption ungeeignet, etwaige Gefahren solcher Art zu beseitigen, denn er kann, darf und soll nicht verhindern, dass das Kind mit seinem Adoptivelternteil und dessen gleichgeschlechtlichem Lebenspartner zusammenlebt. Weder die Einzeladoption durch homosexuelle Menschen noch das faktische Zusammenleben eingetragener Lebenspartner mit dem Kind eines der beiden Partner ließen sich ohne gravierende Verstöße gegen das Grundgesetz unterbinden. Das Lebenspartnerschaftsgesetz unterstützt deren familiäres Zusammenleben vielmehr, indem es gerade für diesen Fall Regelungen trifft, die dem Lebenspartner, der nicht Elternteil im Rechtssinne ist, elterntypische Befugnisse einräumen, einschließlich der Möglichkeit, einen gemeinsamen Lebenspartnerschaftsnamen zu verwenden. Auch die Sukzessivadoption an sich beeinträchtigt das Kindeswohl nicht, sondern ist diesem in den hier zu beurteilenden Konstellationen regelmäßig zuträglich. Nach Einschätzung der angehörten Sachverständigen ist sie geeignet, stabilisierende entwicklungspsychologische Effekte zu entfalten. Ferner verbessert sie die Rechtsstellung des Kindes bei Auflösung der Lebenspartnerschaft durch Trennung oder Tod. Dies betrifft zum einen das Sorgerecht, das dann im Fall der Trennung unter Berücksichtigung des Kindeswohls von Fall zu Fall angemessen geregelt werden kann. Zum anderen gilt dies in materieller Hinsicht, denn ein Kind profitiert von der doppelten Elternschaft insbesondere in unterhalts- und erbrechtlicher Hinsicht. Schließlich ist eine Gefährdung des Kindeswohls durch Zulassung der Sukzessivadoption auch deshalb nicht zu befürchten, weil jeder Adoption – auch der Sukzessivadoption – eine Einzelfallprüfung vorausgeht, bei der etwaige individuelle Nachteile der konkret in Frage stehenden Adoption berücksichtigt werden.
cc) Der Ausschluss der Sukzessivadoption wird nicht durch den Zweck gerechtfertigt, eine Umgehung der gesetzgeberischen Entscheidung gegen die Zulassung der gemeinschaftlichen Adoption durch zwei eingetragene Lebenspartner zu verhindern. Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob der Ausschluss der gemeinschaftlichen Adoption mit dem Grundgesetz vereinbar ist, obgleich das Gesetz diese für Eheleute zulässt.
dd) Der durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotene besondere Schutz der Ehe rechtfertigt nicht die Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners gegenüber angenommenen Kindern eines Ehepartners. Zwar ist es dem Gesetzgeber wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe grundsätzlich nicht verwehrt, diese gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung vergleichbarer Lebensgemeinschaften bedarf es jedoch eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der hier nicht gegeben ist.
c) Auch zwischen der Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners und der Adoption eines angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners bestehen keine Unterschiede solcher Art, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten.
4. Das Recht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung, das Elterngrundrecht und das Familiengrundrecht sind hingegen – für sich genommen – nicht verletzt.
a) Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Grundrechtsschutz erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Die Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Spielraums sind hier nicht überschritten. Die betroffenen Kinder sind nicht elternlos, sondern haben einen Elternteil im Rechtssinne. Zudem hat der Gesetzgeber anderweitig Sorge dafür getragen, dass der Lebenspartner des Adoptivelternteils in gewissem Umfang elterliche Aufgaben wahrnehmen kann, indem ihm praktisch wichtige elterntypische Befugnisse verliehen werden (vgl. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG).
b) Dass ein eingetragener Lebenspartner das angenommene Kind seines Partners nicht adoptieren kann, verletzt nicht das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht. Zwar schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur verschiedengeschlechtliche Eltern, sondern auch zwei Elternteile gleichen Geschlechts. Dies folgt schon aus der Kindeswohlfunktion des Elterngrundrechts. Auch der Wortlaut des Elterngrundrechts bzw. abweichende historische Vorstellungen stehen einer Anwendung auf zwei Personen gleichen Geschlechts nicht entgegen. Jedoch begründet ein allein soziales-familiäres Elternverhältnis zum Kind des Lebenspartners keine verfassungsrechtliche Elternschaft. Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch einfachgesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen.
c) Schließlich verletzt der Ausschluss der Sukzessivadoption auch nicht das durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierte Familiengrundrecht. Zwar bildet die sozial-familiäre Gemeinschaft aus eingetragenen Lebenspartnern und dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie. Jedoch kommt dem Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ein Spielraum zu. Dieser ist durch die Verwehrung der Sukzessivadoption nicht überschritten. Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht verpflichtet, in jedem Fall einer faktischen Eltern-Kind-Beziehung das volle Elternrecht zu gewähren.
(Bundesverfassungsgericht: Pressemitteilung vom 19. Februar 2013)