Nachfolgend ein Beitrag vom 3.3.2017 von Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 5/2017 Anm. 1

Leitsatz

Eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel kann im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Mit dem von § 550 BGB angestrebten Erwerberschutz ist es nicht vereinbar, den Erwerber aufgrund einer Schriftformheilungsklausel als verpflichtet anzusehen, von einer ordentlichen Kündigung Abstand zu nehmen.

A. Problemstellung

Die Einhaltung der Schriftform ist für Vermieter vor allem gewerblicher Immobilien von existentieller Bedeutung. Auf ihre Einhaltung wird bei Abschluss des Vertrages besonders geachtet. Risikoreich sind vor allem spätere Vertragsänderungen, da selbst unwesentliche Anpassungen der Schriftform unterliegen (BGH, Urt. v. 25.11.2015 – XII ZR 114/14 m. Anm. Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 1/2016 Anm. 1; Bieber, jurisPR-MietR 8/2016 Anm. 2). Um hier vor Risiken geschützt zu sein, haben sich sog. doppelte Schriftformklauseln (oder auch qualifizierte Schriftformklauseln) durchgesetzt. Nach ihr bedürfen nicht nur alle Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages der Schriftform; es wird auch zusätzlich ausdrücklich vereinbart, dass dies auch für eine Änderung der Schriftformklausel selbst gelten soll.
Ob dies möglich ist und welches Schicksal in einem solchen Fall eine mündliche Vereinbarung erleidet, ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit einem solchen Fall hat sich der für die Gewerberaummiete zuständige XII. Zivilsenat jetzt in einem Kostenbeschluss nach beidseitiger Erledigung gemäß § 91a ZPO ausführlich beschäftigt. Der Räumungsrechtsstreit hatte sich nach Auszug des Mieters und Ablauf der ursprünglichen Befristung erledigt.
Im Dezember 2005 und im Mai 2006 hatte die Vorvermieterin mit dem Vormieter zwei Mietverträge geschlossen. Als Vertragszweck waren jeweils in § 1 der Verträge „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren“ bzw. „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren, Textilien und Baumaschinen“ genannt. Darüber enthielten die beiden Verträge als Allgemeine Geschäftsbedingungen jeweils Schriftformheilungsklauseln und doppelte Schriftformklauseln. Im Juli 2006 bestätigte die Vorvermieterin dem Vormieter, dass ihm auch das „Lagern von handelsüblichen Waren“ gestattet sei. In der Folgezeit trat der Beklagte aufgrund schriftlicher Vereinbarungen als Mieter in die Mietverträge ein.
Nachdem die Klägerin das Grundstück erworben hatte, schlossen die jetzigen Parteien des Rechtsstreits im November 2014 einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. In diesem vereinbarten sie, dass das Mietverhältnis nunmehr auf bestimmte Zeit bis zum 31.12.2016 laufen und der Beklagte spätestens zwei Monate vor Vertragsablauf die Vertragsfortsetzung um sechs Monate durch Anzeige gegenüber der Klägerin verlangen können sollte. Im Februar 2015 erklärte die Klägerin u.a. die fristgerechte Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Beklagte hat die Räumlichkeiten im Januar 2016 aufgrund der betriebenen Räumungsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil herausgegeben. Da eine Anzeige, das Mietverhältnis über den 31.12.2016 hinaus fortzusetzten, nicht erfolgte, haben die Parteien im Revisionsverfahren den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Senat geht dabei zunächst im Tatsächlichen davon aus, dass die ursprünglichen Vertragsparteien den ursprünglich vertraglich vereinbarten Nutzungszweck nicht in Schriftform geändert haben, obwohl sie eine feste Laufzeit im November 2014 bis Ende 2016 vereinbart hatten. Wegen dieses Schriftformverstoßes bestand nur ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit, das ordentlich kündbar war.
Nach Ansicht des Senats war die den Nutzungszweck erweiternde, nicht in schriftlicher Form erfolgte Vertragsänderung auch nicht wegen der sog. doppelten Schriftformklausel unwirksam. Diese Rechtsfrage wurde und wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Der Senat hat die Frage der Wirksamkeit einer doppelten Schriftformklausel in einem Gewerberaummietvertrag in der vorliegenden Entscheidung jedoch nicht abschließend entschieden. Seiner Meinung nach bleibt die Klausel jedenfalls wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305b BGB wirkungslos (so auch OLG Hamm, Urt. v. 21.04.2016 – 18 U 17/14 Rn. 76 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.06.2006 – 10 U 1/06 – ZMR 2007, 35; Schur in: jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 550 Rn. 32), so dass es auf die Wirksamkeit der Klausel gar nicht mehr ankomme.
Für eine einfache Schriftformklausel hatte der Senat bereits ebenso entschieden (BGH, Urt. v. 21.09.2005 – XII ZR 312/02 – NJW 2006, 138 m. Anm. Bieber, BGHReport 2006, 78). Danach haben nachträgliche mündliche Individualvereinbarungen auch vor Schriftformklauseln in Formularverträgen über langfristige Geschäftsraummietverhältnisse Vorrang.
Daran ändert auch eine doppelte Schriftformklausel nichts. Der Vorrang der Individualvereinbarung muss bei beiden auch dann gewahrt bleiben, wenn man ein Interesse des Verwenders anerkennt, einem langfristigen Mietvertrag nicht durch nachträgliche mündliche Abreden die Schriftform zu nehmen, und deshalb eine solche Klausel ausnahmsweise als wirksam ansieht. Das gebieten Sinn und Zweck des § 305b BGB, wonach vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Vereinbaren die Parteien – wenn auch nur mündlich – etwas anderes, so kommt dem der Vorrang zu. Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später übereinstimmend Gewollten zurücktreten.

C. Kontext der Entscheidung

Formularvertragliche Schriftformklauseln bieten deshalb, egal ob sie einfach oder qualifiziert formuliert werden, keinen Schutz gegen die Schriftform gefährdende mündliche Individualvereinbarungen. Der Senat weist zu Recht darauf hin, dass zum einen eine Änderungsvereinbarung nach § 127 BGB der vertraglichen Form – und damit ggf. dem doppelten Schriftformerfordernis – genügen kann, ohne jedoch der von § 550 BGB geforderten strengeren gesetzlichen Schriftform des § 126 BGB zu entsprechen. Zum anderen kann ein Schriftformverstoß i.S.d. § 550 BGB trotz Wahrung der gesetzlichen Schriftform etwa darin begründet sein, dass mangels ausreichender Bezugnahme der Vertrag insgesamt nicht mehr den Anforderungen des § 550 BGB gerecht wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Theoretisch weiter möglich sind allerdings individualvertraglich vereinbarte doppelte Schriftformklauseln. Das ist in der Gewerberaummiete durchaus eher denkbar als in der Wohnraummiete. In der Gewerberaummiete wird zurzeit heftig diskutiert, wann eine Klausel gestellt und wann sie ausgehandelt wurde (BGH, Urt. v. 20.01.2016 – VIII ZR 26/15 – NZM 2016, 214; OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.06.2015 – 2 U 37/14; Schmidt, NZM 2016, 377). Zu den Schwierigkeiten hierbei vgl. die Diskussion während der Marienfelder Gespräche 2015 (dazu Ludwigkeit, NZM 2016, 16 sowie die Beiträge von Müller, NZM 2016, 185, 186 mit Erwiderung Graf von Westphalen, NZM 2016, 369). Diejenigen, die Verträge zu entwerfen haben, müssen in Zukunft noch stärker darauf achten, dass die Vereinbarung der qualifizierten Schriftform individualvertraglich erfolgte, also gemäß § 305 Abs. 1 BGB „im Einzelnen ausgehandelt“ wurde (zu der Abgrenzung ausführlich Kappus, NZM 2010, 529).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der Senat hat in seiner Entscheidung zusätzlich noch einmal auf seine Rechtsprechung zur Schriftformheilungsklausel hingewiesen (BGH, Urt. v. 22.01.2014 – XII ZR 68/10 – NJW 2014, 1087; BGH, Urt. v. 30.04.2014 – XII ZR 146/12 – NJW 2014, 2102). Solche Klauseln sind zumindest gegenüber dem Erwerber unwirksam, so dass es nicht gegen Treu und Glauben verstößt, wenn bei Vorliegen eines Schriftformmangels wegen Unwirksamkeit der Befristung ordentlich gekündigt wird.