Nachfolgend ein Beitrag vom 15.2.2019 von Albrecht, jurisPR-ITR 3/2019 Anm. 3

Leitsätze

1. Anspruchsgrundlage für den Anspruch des (angemeldeten) Nutzers einer Social-Media-Plattform gegen den Plattformbetreiber auf Unterlassung der rechtswidrigen Löschung eines auf der Plattform eingestellten Beitrags oder auf Unterlassung der rechtswidrigen Entziehung der vom Plattformbetreiber bereitgestellten Kommunikationsmöglichkeiten („Sperrung“) ist der vertragliche Erfüllungsanspruch i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Soweit der Nutzer sich gegen eine zukünftige Löschung bzw. Sperrung wendet, muss er nach dem Rechtsgedanken des § 259 ZPO das Bestehen einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr darlegen.
2. Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Nutzung einer Social-Media-Plattform, die dem Zweck dient, den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz“ für den Austausch von Informationen und Meinungen zu verschaffen, müssen bei der Konkretisierung der wechselseitigen Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB) der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts der Nutzer auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), angemessen Rechnung tragen.
3. Eine Klausel, welche die Löschung des von einem Nutzer geposteten Beitrags wegen eines Verstoßes gegen die vom Plattformbetreiber aufgestellten „Community-Standards“ in das Ermessen des Plattformbetreibers stellt, ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Vielmehr hat der Nutzer einen Anspruch darauf, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht gegen seinen Willen von der Plattform entfernt wird.
4. Da der Anspruch auf Unterlassung einer Sperrung in der Sache auf zukünftige Vertragserfüllung gerichtet ist, kann er im Wege der einstweiligen Verfügung nur geltend gemacht werden, wenn der Nutzer das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer Leistungsverfügung darlegt und glaubhaft macht.
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Einem sozialen Netzwerk mag es zuzugestehen sein, gegen sog. Hassbotschaften vorzugehen, deren Vorliegen anhand objektiver Kriterien bestimmt werden kann. Darüberhinausgehende Eingriffe in die Meinungsfreiheit der Nutzer sind hingegen unzulässig.
2. Bei der Bezeichnung von Flüchtlingen als „Invasoren“ handelt es sich nicht um eine sog. Hassbotschaft, sondern um eine scharf formulierte Kritik, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.

A. Problemstellung

Die Bedrohungen für die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gehen in unserer gegenwärtigen Demokratie weniger von einem staatlichen Zensor, als vielmehr von privaten Unternehmen, die sich zum Lenker der Meinungsströme im Internet aufschwingen, moralisch aufgeladenen Medien und mehr oder weniger freiwilligen Selbstbeschränkungen aus, denen wir uns unterwerfen. Wenn der Humorist Jürgen von der Lippe verkündet, aus Angst um sein Leben unterlasse er es, Witze über bestimmte Religionsgruppen zu machen (https://www.welt.de/vermischtes/prominente/article186608482/Entertainer-Weshalb-Juergen-von-der-Lippe-keine-Islam-Witze-macht.html, zuletzt abgerufen am 04.02.2019), und die deutsche Handball-Ikone Stefan Kretzschmar im Interview kritisiert, man könne sich als Sportler nur noch so äußern, dass man „gesellschaftlich nichts falsch mache“ (https://www.tagesstimme.com/2019/01/10/ex-handballstar-kretschmar-wir-haben-aber-keine-meinungsfreiheit/, zuletzt abgerufen am 04.02.2019), dann müsste die Gewährleistung der Meinungsfreiheit eigentlich zu einem vordringlichen gesamtgesellschaftlichen Anliegen werden. Stattdessen gewinnt man den Eindruck, der Politik ginge es mit Initiativen, wie etwa derjenigen, die zu einem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (BGBl I 2017, 3352) geführt hat, eher um eine zusätzliche Erosion der Meinungsfreiheit. Staatliche Schutzpflichten verlangen hingegen, dass gerade auch diejenigen Meinungen frei und unbefangen geäußert werden können, hinter denen nicht eine durchsetzungsstarke Mehrheit steht. Wenn dies nicht der Fall ist, so ist auch die Meinungsfreiheit nicht mehr gewährleistet. Und in der Konsequenz ist dann auch die auf freie Meinungsbildung angewiesene Demokratie in Gefahr.
Die vor diesem Hintergrund wirkstarke Entscheidung des OLG München befasst sich mit den Möglichkeiten und Grenzen privater Zensur in sozialen Netzwerken. Das Oberlandesgericht betont – vollkommen zutreffend – die Geltungskraft der Meinungsfreiheit, in die jedenfalls aufgrund willkürlich auslegbarer allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht eingegriffen werden darf.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien des Rechtsstreits streiten um die Sperrung eines in ein soziales Netzwerk eingebrachten Postings durch den Antragsteller. Während sich die Antragsgegnerin auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingen (AGB) beruft, die eine Entfernung von Inhalten zulassen, wenn diese der Ansicht ist, dass die betroffenen Inhalte gegen die Richtlinien des sozialen Netzwerks verstoßen, beruft sich der Antragsteller auf seine Meinungsfreiheit.
Das OLG München hat der Antragsgegnerin untersagt, den Beitrag des Antragstellers zu löschen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB ein Anspruch des Antragstellers, dass nur solche Postings seitens der Betreiber des sozialen Netzwerks sanktioniert werden, die die Grenzen der Meinungsfreiheit verlassen, mithin bspw. strafbar sind. Entgegenstehende Regelungen in AGB seien als unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners (= Nutzer) unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Der Entscheidung ist wohl zu entnehmen, dass das Oberlandesgericht davon ausgeht, dass sich die sog. Hassrede, die ebenfalls mittels der AGB der Antragsgegnerin unterbunden wird, auf objektiv strafbare Inhalte beschränken muss. Der darüber hinausgehende willkürliche Eingriff in die Meinungsfreiheit („wenn wir der Ansicht sind“; so Klausel 5.2 der AGB der Antragsgegnerin) sei hingegen subjektiv geprägt und rechtswidrig. Nachdem es sich bei dem streitgegenständlichen Beitrag (ein Zitat von Viktor Orbán), mit dem die gegenwärtige Flüchtlingspolitik und auch Flüchtlinge scharf kritisiert werden, nicht um eine (verbotene) Hassrede handelt, sei dieser in dem sozialen Netzwerk als abrufbar zu belassen.
Keinen Erfolg hatte hingegen der Antrag, wonach der Antragsgegnerin auch die Löschung „sinngemäßer“ Postings des Antragstellers zu untersagen gewesen wäre. Insoweit sei maßgeblich, dass man zur genaueren Beurteilung eines künftigen Beitrags des Antragstellers jedenfalls abwarten müsse, in welchen Kontext dieser gestellt werde. Im Vorfeld könne demnach nicht entschieden werden, ob ein solches Posting zulässig ist oder nicht.
Auch der Antrag, der Antragsgegnerin eine Sperrung des Antragstellers zu untersagen, ist gescheitert. Diesbezüglich sei nämlich eine auf Erfüllung gerichtete Leistungsverfügung gewünscht, die mangels Vorliegens eines dringenden Bedürfnisses für die begehrte Eilmaßnahme nicht ausgesprochen werden könne. Die Sperrung des Antragstellers war nämlich nur „kurzfristig“ erfolgt.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG München ist überzeugend. Ihr liegt insbesondere keine Überdehnung der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten zugrunde, wie dies teilweise in der Rechtsprechung (vgl. LG Heidelberg, Urt. v. 28.08.2018 – 1 O 71/18 Rn. 38) und auch im Schrifttum (Ring, MDR 2018, 1469, 1474) anklingt. Das BVerfG hat insoweit bereits darauf hingewiesen, dass sich Private, die ein öffentliches Forum eröffnen, grundsätzlich auch so behandeln lassen müssen, wie dies bei staatlichen Stellen der Fall ist (BVerfG, Beschl. v. 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 Rn. 5 ff.). Dies ist auch vorliegend richtig so. Eine mit der engen Bindung an die Meinungsfreiheit einhergehende übermäßige Benachteiligung der Betreiber sozialer Netzwerke kann in diesem Zusammenhang nämlich nicht festgestellt werden, zumal diese gemäß § 3 NetzDG auch nur „rechtswidrige“ und mithin strafbare Inhalte aus dem sozialen Netzwerk zu entfernen haben (vgl. § 1 Abs. 3 NetzDG).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Entscheidung ist zunächst einmal der Hinweis zu entnehmen, dass seitens der Vertreter von durch Sperren oder Löschungen in sozialen Netzwerken betroffenen Mandanten dargelegt werden muss, dass mittels einer Anmeldung zu dem betroffenen sozialen Netzwerk ein Vertragsverhältnis zustande gekommen ist. Vorliegend war als Nachweis eine eidesstaatliche Versicherung des Antragstellers vorgelegt worden. Ob bereits die Mitteilung der Antragsgegnerin über die Löschung eines in das soziale Netzwerk eingebrachten Beitrags genügt hätte, hat das Oberlandesgericht offengelassen.
Die Absicht eines Antragstellers, seinen Beitrag wiederum in dem betroffenen sozialen Netzwerk „posten“ zu wollen, bedarf keiner Glaubhaftmachung. „Diese innere Tatsache wird allein durch den gestellten Antrag, der Antragsgegnerin die Löschung des Beitrags zu untersagen, hinreichend belegt.“
Weiterhin ist der Entscheidung zu entnehmen, dass sozialen Netzwerken ein Vorgehen gegen die Verbreitung sog. Hassbotschaften durchaus zuzugestehen ist. Dabei muss es sich aber zumindest um „direkte Angriffe auf Personen“ handeln, die aufgrund deren „Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität oder aufgrund von Behinderung oder Krankheiten“ geführt werden. Im Ergebnis kommen hier wohl Sachverhalte in Betracht, die zugleich auch Straftatbestände erfüllen. Die Durchsetzung eines politisch korrekten Welt- oder Menschenbildes kann auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hingegen nicht gelingen. Vielmehr unterfällt auch die scharf formulierte Kritik hinsichtlich gesellschaftlicher Entwicklungen und weit verbreiteter Positionen der Meinungsfreiheit.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG München weist auch darauf hin, dass sich die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Wiederholungsgefahr bereits aus der rechtswidrigen Löschung eines streitgegenständlichen Beitrags ergibt. Regelmäßig kann diese Gefahr nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden.

Kein „virtuelles Hausrecht“ zulasten der Meinungsfreiheit
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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