BGH, Urteil vom 11. September 2012 – VI ZR 92/11 –, juris

Leitsatz

Zur Haftung eines Vorstandsmitglieds, des Aufsichtsratsvorsitzenden und eines Steuerberaters mit Vollmacht zur Stimmrechtsausübung, wenn die von einer Aktiengesellschaft ausgegebenen Aktien wertlos sind.


Anmerkung: Nachfolgend verweise ich auf einen lesenswerten Beitrag von Ina Ebert, Ebert, jurisPR-BGHZivilR 1/2013 Anm. 2, den ich auszugsweise nachfolgend wiedergebe:


A. Problemstellung

Welche subjektiven Voraussetzungen müssen für eine Haftung als Mittäter oder Gehilfe (§§ 826, 830, 249 ff. BGB) wegen der Schädigung von Aktionären vorliegen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger erwarb 2001 bis 2003 Aktien und Beteiligungen der FG-AG, die heute wertlos sind. Seinen dadurch entstandenen Schaden verlangt er mit seiner Klage von den Beklagten ersetzt, wobei er geltend macht, die Aktien seien von Anfang an wertlos gewesen. Bei den drei Beklagten handelt es sich um ein Vorstandsmitglied der FG-AG (Beklagter zu 1), den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der FG-AG (Beklagter zu 2) sowie den mit der Erstellung der Jahresabschlüsse und des Berichts zur Prüfung der Finanzlage der FG-AG betrauten Steuerberater (Beklagter zu 3).
Die FG-AG betrieb Anlageberatung und -vermittlung. Geschäftsgegenstand waren hauptsächlich Aktien von QSRI und CSM. Der Wert beider Aktien verfiel im August/September 2000 bis zur nahezu vollständigen Wertlosigkeit. Die Aktien der QSRI unterlagen einem Zwangsumtausch zum Kurs 156:1. Über das Vermögen von CSM wurde im September 2000 in der Schweiz ein Konkursverfahren eröffnet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen die deutsche Tochter wurde mangels Masse abgelehnt. Dies betraf die Vermögenslage der FG-AG ganz erheblich, da sie bei der Vermittlung beider Aktien Put-Optionen vereinbart hatte, die sie verpflichtete, die Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem festen Preis zu erwerben. Um dieser Verpflichtung nachkommen zu können, hätte die FG-AG ab Herbst 2000 ca. 40 Mio. DM aufbringen müssen. Zu diesem Zweck erhöhte die FG-AG mehrfach ihr Kapital durch die Ausgabe von Aktien.
Im Oktober 2000 stellte die W.-Bank Insolvenzantrag gegen die FG-AG. Der Beklagte zu 2) vertrat die FG-AG im Insolvenzverfahren als Rechtsanwalt, der Beklagte zu 3) erstellte im Dezember 2000 einen Bericht über die Prüfung der Vermögenslage der FG-AG („WIRTOG-Bericht“), in dem er eine Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der FG-AG verneinte. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hin gab das Berufungsgericht der Klage teilweise statt. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit in diesem zum Nachteil der Beklagten entschieden worden war, sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
In seiner Begründung, warum die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts keine Haftung der Beklagten begründen, beschäftigt sich der BGH vor allem mit den subjektiven Voraussetzungen für eine solche Haftung: Wann müsste wer was wissen, wann reicht fahrlässiges Nichtwissen, und in welchem Umfang muss ein Täter- bzw. Gehilfenvorsatz vorliegen, um eine Haftung nach den §§ 826, 830, 249 ff. BGB zu begründen? Dazu führt der BGH aus:
Die Voraussetzungen für eine Teilnahme an einer unerlaubten Handlung i.S.d. § 830 BGB sind nach den für das Strafrecht entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Danach setzt eine Teilnahme neben der Kenntnis der Tatumstände „wenigstens in groben Zügen den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat gemeinschaftlich mit anderen auszuführen oder sie als fremde Tat zu fördern“ voraus. Objektiv müsse „eine Beteiligung an der Ausführung der Tat hinzukommen, die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und für diese relevant ist“. Es müsse also für jeden einzelnen Teilnehmer ein Verhalten festgestellt werden, das den rechtswidrigen Eingriff in ein fremdes Rechtsgut unterstützt und von der Kenntnis der Tatumstände und dem auf die Rechtsgutsverletzung gerichteten Willen getragen war (BGH, Urt. v. 04.11.1997 – VI ZR 348/96 – BGHZ 137, 89; BGH, Urt. v. 15.05.2012 – VI ZR 166/11 – VersR 2012, 1038). Als Hilfeleistung sei dabei jede Handlung anzusehen, die der Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv gefördert oder erleichtert habe, eine Kausalität für den Eintritt des Erfolgs sei dagegen nicht erforderlich.
Hinsichtlich des Beklagten zu 1) lehnt der BGH nach den bisherigen Feststellungen eine Haftung ab, da nicht erkennbar sei, welche konkreten Kenntnisse aufgrund welcher Informationen dieser gehabt haben soll, durch die er das strafrechtlich relevante Handeln des Haupttäters hätte erkennen und verhindern können. Er habe zwar das Geschäftsmodell der FG-AG gekannt, unklar sei aber, ob ihm auch die Unregelmäßigkeiten bekannt waren. Daher sei es derzeit nicht möglich, bei ihm einen Gehilfenvorsatz festzustellen. Der Beklagte zu 1) habe dem Kläger nur dann vom Erwerb der FG-AG Aktien abraten müssen, wenn er von den damit verbundenen Gefahren gewusst hätte. Ein bewusstes Verschließen vor der Kenntnis von Tatumständen genüge nur, wenn die „Unkenntnis auf einem gewissenlosen oder grob fahrlässigen (leichtfertigen) Handeln“ beruhe (BGH, Urt. v. 20.03.1995 – II ZR 205/94 – BGHZ 129, 136), so etwa, wenn Berufspflichten in bedenken- und gewissenloser Weise verletzt würden (BGH, Urt. v. 06.05.2008 – XI ZR 56/07 – BGHZ 176, 281). Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns könne nur auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt habe, „dass er eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss“ (BGH, Urt. v. 09.03.2010 – XI ZR 93/09 – BGHZ 184, 365).
Aus ähnlichen Gründen lehnt der BGH derzeit auch eine Haftung des Beklagten zu 2) ab. Insbesondere setze eine Mittäterschaft einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, der die einzelnen Tatbeiträge zu einer gemeinschaftlichen Tat verbinde. Daran fehle es nach den bisherigen Feststellungen, ebenso an Belegen für einen Gehilfenvorsatz des Beklagten zu 2). Dem Berufungsurteil sei nicht zu entnehmen, dass die erfolgte objektive Unterstützung des Haupttäters von seiner Kenntnis der Tatumstände und dem auf die Rechtsgutsverletzung gerichteten Willen getragen gewesen sei. Die bloße Teilnahme an der Hauptversammlung der FG-AG reiche dafür nicht, da diese auch lediglich den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen könne. Es hätte vielmehr festgestellt werden müssen, dass der Beklagte zu 2) die gebotenen Schlussfolgerungen nicht nur hätte ziehen können, sondern auch, dass er sie getroffen hat. Es sei rechtsfehlerhaft, eine Haftung allein darauf zu stützen, dass der Beklagte bei ordnungsgemäßer Ausübung seines Amts die maßgeblichen Umstände hätte erkennen können.
Hinsichtlich des Beklagten zu 3) schließlich erscheine schon zweifelhaft, ob dieser die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter, also den Erwerb wertloser FG-Aktien durch den Kläger, objektiv gefördert oder erleichtert habe. Jedenfalls aber fehle es auch hier an den subjektiven Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Ein Steuerberater dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass die ihm mitgeteilten Zahlen richtig sind. Dies gelte allenfalls dann nicht, wenn ihm Umstände ersichtlich seien, die gegen die Richtigkeit der Vorgaben sprächen. Die Verletzung von Prüfungspflichten allein genüge aber nicht für die Annahme eines Gehilfenvorsatzes. Den bisherigen Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass der Beklagte zu 3) nicht nur seine Augen vor der desolaten Situation der FG-AG verschlossen habe, sondern von einem strafbaren Handeln ausgegangen sei und bewusst die „Bewahrung des schönen Scheins“ habe fördern wollen. Auch die unzureichende Wahrnehmung einer bestehenden Vollmacht allein lasse nicht erkennen, ob diese auf Fahrlässigkeit oder Vorsatz beruhe.

C. Kontext der Entscheidung

Im Gefolge der Finanzkrisen und geplatzten Aktienblasen der letzten Jahre hatte mittlerweile auch der BGH verschiedentlich Gelegenheit, sich mit Klagen von Anlegern zu befassen, die wenigstens einen Teil ihrer Verluste an der Börse über Schadensersatz ausgleichen wollen. So menschlich verständlich dies ist, so enge Grenzen sind dem in der Praxis gezogen: Spekulieren mit Aktien ist ein Risikogeschäft, für das es nun einmal keinen Vollkaskoschutz gibt. Zudem kennt das deutsche Recht keine haftungsrechtliche Generalklausel, sondern begründet bei reinen Vermögensschäden nur unter verschärften Bedingungen, wie vor allem denen des § 826 BGB, eine Schadensersatzpflicht. Dies ruft die vorliegende Entscheidung nachdrücklich in Erinnerung.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für Anleger, die sich von ihrem Anlageberater oder -vermittler getäuscht fühlen, bedeutet das Urteil vor allem eine Mahnung, das Vorsatzerfordernis des § 826 BGB ernst zu nehmen. Es reicht nicht, dass jemand von einer Gefahr hätte wissen müssen. Nachgewiesen werden muss vielmehr, dass er auch tatsächlich davon gewusst hat. Wird, wie oft, nicht gegen den unmittelbaren Täter vorgegangen, sind zusätzlich die Anforderungen an eine Gehilfeneigenschaft des Anspruchsgegners nachzuweisen: Hat der Anspruchsgegner die Tat objektiv gefördert? Und vor allem: Wollte er das, und liegt eine gemeinsamer Tatentschluss mit dem Haupttäter vor? Dies nachzuweisen, dürfte für einen Großteil der Anleger schwierig sein.