Nachfolgend ein Beitrag vom 19.09.2016 von Loose, jurisPR-SteuerR 38/2016 Anm. 5
Leitsätze
1. Die Abtretung eines kaufvertraglichen Anspruchs auf Übertragung von mindestens 95% der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft und die Begründung der Verpflichtung dazu unterliegen nicht der Grunderwerbsteuer.
2. Gleiches gilt für die Übertragung der Gesellschaftsanteile vom bisherigen Gesellschafter unmittelbar auf den Abtretungsempfänger.
3. Das Finanzgericht ist nicht berechtigt, den vom Finanzamt in einem Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer zu Unrecht festgestellten Erwerbsvorgang durch einen anderen zu ersetzen.
A. Problemstellung
Streitig war, ob Grunderwerbsteuer auch dann anfällt, wenn der Anspruch auf Übertragung eines mindestens 95%igen Gesellschaftsanteils an einer grundbesitzenden Gesellschaft der Grunderwerbsteuer unterliegt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die A.-Bank hielt ursprünglich 100% an der B.-AG, die ihrerseits 100% der Anteile an verschiedenen Kapitalgesellschaften hielt. Diese waren Eigentümer von Grundstücken in Deutschland. Mit Vertrag vom 01.09.2006 verkaufte die A.-Bank ihre Anteile an der B.-AG an die C.-Bank. Der Vertrag stand unter verschiedenen Bedingungen. Der C.-Bank stand das Recht zu, vor dem Vollzug des Vertrags eine Gesellschaft ihrer Unternehmensgruppe als Käuferin zu benennen. Nach Erfüllung der Bedingungen und noch vor Vollzug der Transaktion benannte die C.-Bank die Klägerin als Käuferin. Zur Umsetzung des ausgeübten Benennungsrechts schlossen die A.-Bank, die C.-Bank und die Klägerin am 01.12.2006 eine entsprechende Änderungsvereinbarung. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 01.12.2006 übertrug die A.-Bank ihre Anteile an der B.-AG unmittelbar auf die Klägerin.
Das zuständige Finanzamt erließ am 20.11.2007 gegenüber der C.-Bank aufgrund des Vertrags vom 01.09.2006 einen auf die §§ 1 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 und 17 GrEStG gestützten Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer. In der Anteilsübertragung vom 01.12.2006 sah das Finanzamt einen (weiteren) grunderwerbsteuerbaren Vorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG und erließ ebenfalls am 20.11.2007 gegenüber der Klägerin einen entsprechenden Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer. Darin war die A.-Bank als Veräußerin bezeichnet.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch. Mit der Einspruchsentscheidung bezog das Finanzamt weitere von dem Erwerbsvorgang betroffene Grundstücke in die nunmehr auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG gestützte Feststellung mit ein und stellte die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gegenüber der C.-Bank als Veräußerin und der Klägerin als Gesamtschuldner gesondert und einheitlich fest. In der Sache wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Finanzgerichts ist das Finanzamt zutreffend von einem steuerbaren Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG ausgegangen. Einschlägig sei jedoch § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG und nicht – wie vom Finanzamt angenommen – § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG. Dagegen wandte sich die Klägerin erfolgreich mit der Revision.
Nach Ansicht des BFH hat das Finanzgericht zwar zu Recht entschieden, dass der Eintritt der Klägerin in den zwischen der A.-Bank und der C.-Bank geschlossenen Vertrag nicht der Grunderwerbsteuer unterliege. Es habe jedoch den vom Finanzamt festgestellten Erwerbsvorgang (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG) nicht durch einen anderen Erwerbsvorgang (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG) ersetzen dürfen. Das Finanzamt habe in der Einspruchsentscheidung vom 21.12.2010 verbindliche Feststellungen über den Steuergegenstand, nämlich den Anteilserwerb der Klägerin von der C.-Bank, getroffen. Das Finanzgericht durfte weder den Steuergegenstand noch die Veräußerin austauschen. Die Übertragung der Anteile an der B.-AG durch den notariell beurkundeten Vertrag vom 01.12.2006 sei zudem auch nicht nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG steuerbar.
C. Kontext der Entscheidung
I. Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% der Anteile an dieser Gesellschaft begründet, nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer. § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG fingiert einen Grundstücksübergang vom Veräußerer der Anteile auf den Erwerber und rechnet dem Erwerber die der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar gehörenden Grundstücke grunderwerbsteuerrechtlich zu (BFH, Urt. v. 11.06.2008 – II R 55/06 – BFH/NV 2008, 1876; Pahlke, GrEStG, 5. Aufl., § 1 Rn. 390). Fraglich war, ob nicht nur die Begründung eines Anspruchs auf Übertragung von mindestens 95% der Anteile an einer Gesellschaft, sondern auch die Abtretung eines bereits bestehenden Übertragungsanspruchs der Besteuerung unterliegt.
II. Bei der Übertragung von Grundstücken erfassen § 1 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 GrEStG auch die entsprechenden Zwischengeschäfte, also auch die Abtretung der bereits begründeten Ansprüche auf Übereignung des Grundstücks (Fischer in: Boruttau, GrEStG, 18. Aufl., § 1 Rn. 463; Hofmann, GrEStG, 10. Aufl., § 1 Rn. 137). Bei dem fiktiven Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG fehlt es an entsprechenden Regelungen. Der BFH hat deutlich gemacht, dass eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 Nrn. 5 bis 7 GrEStG auf die Fälle des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG nicht zulässig ist. Insoweit ist er der Ansicht des Finanzgerichts gefolgt. Eine entsprechende Anwendung würde gegen das im Steuerrecht geltende Verbot verstoßen, über den Wortsinn des Gesetzes hinaus Steuertatbestände auszuweiten oder neue Steuertatbestände zu schaffen (Einzelheiten vgl. Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rn. 360 ff.).
III. Anders als das Finanzgericht hat der BFH auch die Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG verneint. Nach dieser Vorschrift unterliegt der Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen der Grunderwerbsteuer. Der Tatbestand ist jedoch ausgeschlossen, wenn dem Übergang der Anteile ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft vorausgegangen ist, durch das ein Anspruch auf Übertragung der Anteile i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG begründet wurde. Diese Regelung, die es entsprechend auch bei Grundstückserwerben gibt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG), gilt vorrangig dem Schutz des Erwerbers, der nicht zweimal Grunderwerbsteuer zahlen soll, zum einen für das schuldrechtliche Geschäft, das den Anspruch auf Übereignung des Grundstücks oder der Gesellschaftsanteile begründet, und zum anderen für das dingliche Geschäft, das durch Auflassung des Grundstücks oder durch Übertragung der Gesellschaftsanteile ihm letztlich das Eigentum bzw. die Gesellschafterstellung verschafft. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG dienen aber nicht nur dem Schutz des Erwerbers vor einer doppelten Inanspruchnahme aufgrund der bloßen Erfüllung eines bereits zuvor begründeten schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts. Die Einschränkung dient zugleich dem Interesse des Veräußerers der Anteile, der anderenfalls Gefahr liefe, als Steuerschuldner zweier auf denselben Gegenstand gerichteter Erwerbsvorgänge in Anspruch genommen zu werden.
Im Streitfall ist der Übertragung der Anteile der A.-Bank an der B.-AG auf die Klägerin ein Rechtsgeschäft vorausgegangen, das seinerseits nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt. Das schließt nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG die Besteuerung der Übertragung der Anteile als eigenständiger Erwerbsvorgang aus. Unerheblich ist nach Ansicht des BFH, dass die Klägerin nicht an dem ursprünglichen, den Anspruch auf Übertragung der Anteile begründenden Rechtsgeschäft beteiligt war. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie beim vergleichbaren Eintritt in einen bereits bestehenden Grundstückskaufvertrag. Die Auflassung unterliegt in diesen Fällen ungeachtet der Personenverschiedenheit der am Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft Beteiligten nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG der Besteuerung, denn ihr ist ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet hat, vorausgegangen (vgl. FG Bremen, Urt. v. 11.06.2003 – 2 K 639/02 (1) – EFG 2003, 1323; Fischer in: Boruttau, GrEStG, § 1 Rn. 21). Diese zum Verhältnis zwischen § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG entwickelten Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG, denn der Regelungsgehalt der Vorschriften ist insoweit derselbe.
IV. Die Entscheidung des BFH ist noch aus einem weiteren – verfahrensrechtlichen – Gesichtspunkt von Bedeutung. Das Finanzamt hatte die Erwerbsvorgänge nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG gesondert festgestellt. Gegenstand der gesonderten Feststellung nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG aber nicht nur die verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht dem Grunde nach, sondern u.a. auch die verbindliche Entscheidung über die als Steuerschuldner in Betracht kommenden Personen (BFH, Urt. v. 31.03.2004 – II R 54/01 – BStBl II 2004, 658; BFH, Urt. v. 15.10.2014 – II R 14/14 – BStBl II 2015, 405 Rn. 20; Viskorf in: Boruttau, GrEStG, § 17 Rn. 67). Begehrt der Kläger die Änderung eines solchen Feststellungsbescheids, beschränkt sich die Änderungsbefugnis des Finanzgerichts auf eine betragsmäßige Änderung. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO erlaubt dem Finanzgericht nicht, eine Feststellung auch in anderer Hinsicht, z.B. in Bezug auf die Person des Steuerschuldners, die Steuerart, den Veranlagungszeitraum oder den Steuergegenstand zu ändern (vgl. BFH, Urt. v. 15.10.2014 – II R 14/14 Rn. 25).
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Streitfall zeigt einmal mehr die Risiken der Grunderwerbsteuer bei Anteilserwerben auf. Angesichts der hohen Steuersätze (bis zu 6,5%) und der durch § 8 Abs. 2 GrEStG i.d.F. durch das Steueränderungsgesetz 2015 stark ausgeweiteten Bemessungsgrundlage bei Anteilserwerben gilt es besondere Sorgfalt walten zu lassen. Wäre die Auffassung des Finanzgerichts und des Finanzamtes zutreffend, wäre ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang, nämlich der Erwerb der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft (B.-AG) durch die Klägerin, in zwei steuerbare Erwerbsvorgänge aufzuteilen. Dass es dazu nicht kommt, liegt an einer Lücke im Gesetz. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung eine entsprechende Änderung des Gesetzes anstreben wird.