Nachfolgend ein Beitrag vom 28.3.2017 von Adamus, jurisPR-FamR 6/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Auf Antrag hat eine Beteiligung am Erbscheinserteilungsverfahren zu erfolgen, wenn das Bestehen eines Erbrechts nicht von vornherein gänzlich fernliegend erscheint.
2. Ob ein Erbrecht tatsächlich besteht, ist erst nach förmlicher Beteiligung am Verfahren abschließend zu klären.

A. Problemstellung

Wann ist eine im Testament genannte Person auf Antrag als Kann-Beteiligte am Erbscheinsverfahren zu beteiligten?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beschwerdeführer beantragte im Erbscheinserteilungsverfahren seine förmliche Beteiligung. Er ist der Meinung, dass er als Erbe in Betracht komme. Maßgeblich für die Erbfolge ist möglicherweise ein Testament des Erblassers, in dem es auszugsweise heißt: „Ferner ist mein Wille, dass Herr … Wohnung nach Wahl von 4 erhält, die das ‚lebenslange’ Wohnrecht gewährleistet.“
Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil er weder als gesetzlicher noch als testamentarischer Erbe in Betracht käme, vielmehr sei er (nur) Vermächtnisnehmer. Ein solcher habe jedoch keinen Anspruch, am Verfahren beteiligt zu werden.
Das OLG München hat auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Der Beschwerdeführer wird am Verfahren beteiligt.
Am Nachlassverfahren seien gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 FamFG auch sog. Kann-Beteiligte, die einen Antrag auf Hinzuziehung gestellt haben (§ 345 Abs. 1 Satz 3 FamFG), zu beteiligen. Kann-Beteiligte seien auch diejenigen, die (nur) mittels Auslegung oder nur in einer aufgehobenen Verfügung Erben sein könnten (Zimmermann in: Keidel, FamFG, 18. Aufl., 2014, § 345 Rn. 20). Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der Sicherstellung der Gewährung rechtlichen Gehörs, ergebe sich, dass eine Beteiligung immer dann zu erfolgen habe, wenn das behauptete Recht nicht von vornherein gänzlich fernliegend sei, wobei eine abschließende rechtliche Würdigung an dieser Stelle nicht erfolge. Der Wortlaut „in Betracht kommen“ impliziere gerade, dass bei der Bestimmung des Personenkreises der Beteiligten noch keine abschließende Würdigung des materiellen Erbrechts erfolgen solle. Dies entspreche den allgemein anerkannten Grundsätzen über die Behandlung doppelt relevanter Tatsachen.
Für die Frage der Beschwerdebefugnis sei bei sog. doppelt-relevanten Tatsachen anerkannt, dass es für die Zulässigkeit der Beschwerde ausreiche, wenn die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung bestehe; die endgültige Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer in eigenen subjektiven Rechten verletzt sei, sei hingegen erst im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde zu prüfen (BGH, Urt. v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93 – NJW 1994, 1413; Horn in: NK-Nachfolgerecht, 1. Aufl., 2015, § 59 FamFG Rn. 5). Diese Grundsätze seien auf die Frage der Kann-Beteiligung zu übertragen. Vorliegend berufe sich der Beschwerdeführer darauf, dass er testamentarischer Erbe sein könnte. Es sei nicht völlig ausgeschlossen, das Testament dahin auszulegen, denn die Zuwendung eines wesentlichen Vermögensgegenstandes, zumal einer Immobilie, könne sich auch als Erbeinsetzung darstellen. Der Beschwerdeführer sei damit als sog. Kann-Beteiligter am weiteren Verfahren zu beteiligen.

C. Kontext der Entscheidung

Nach § 345 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist Beteiligter eines Erbscheinsverfahrens der Antragsteller. Nach § 345 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 FamFG können zudem die (übrigen) gesetzlichen Erben sowie diejenigen als Beteiligte hinzugezogen werden, die nach dem Inhalt einer vorliegenden letztwilligen Verfügung als Erben in Betracht kommen. Wie weit der Begriff „in Betracht kommen“ auszulegen ist, ist in der einschlägigen Literatur nicht eingehend behandelt, die einschlägigen Kommentare zitieren sich wechselseitig (Zimmermann in: Keidel, FamFG, 18. Aufl., 2014, § 345 Rn. 20; Fröhler in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl., 2013, § 345 Rn. 24, 25, Rellermeyer in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 2. Aufl., 2013, § 345 FamFG Rn. 5). Es besteht jedoch Einigkeit, dass alle die aufgrund eines Testaments oder eines Erbvertrages im Rahmen einer möglichen Auslegung als Erben in Betracht kommen, auf Antrag am Verfahren beteiligt werden müssen. Ob die Verfügung rechtswirksam ist oder eine Erbeinsetzung beinhaltet, ist in diesem Stadium noch nicht von Bedeutung (Heinemann in: Horndasch/Viefhues, FamFG, 3. Aufl., 2014, § 345 Rn. 8). Liegen mehrere letztwillige Verfügungen vor, so gehört hierzu jeder in einer Verfügung als Erbe Bedachte, auch wenn er nur in einer bereits aufgehobenen Verfügung zum Erben eingesetzt ist.
Die Auslegung der Norm durch das OLG München bestätigt insoweit die herrschende Meinung. Die Parallele zu den Grundsätzen über die Behandlung doppelt relevanter Tatsachen ist einleuchtend.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auf Antrag hat eine Beteiligung am Erbscheinserteilungsverfahren zu erfolgen, wenn das Bestehen eines Erbrechts nicht gänzlich fernliegend erscheint. Wenn sich die Erbenstellung im Wege einer möglichen Auslegung herleiten lässt, ist die Beteiligung auf Antrag nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt. Das Gericht muss die Beteiligung veranlassen. Dies entspricht den allgemein anerkannten Grundsätzen über die Behandlung doppelt relevanter Tatsachen. Die Klärung der Frage, ob der Beteiligte Erbe ist, ist erst im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.