Nachfolgend ein Beitrag von
Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen, Düsseldorf
Rechtsanwalt,
Herausgeber des Anwaltsblatts
Laut einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Brand eins“ stimmten im Frühjahr 2012 bei einer Umfrage 70 Prozent der befragten EU-Bürger der Aussage zu, dass Roboter den Menschen Arbeitsplätze wegnehmen. Die Wirtschaftspresse ist voll von schauerlichschönen Visionen, wie sogenannte „Cobots“ (= kooperative Roboter, die mit menschlichen Arbeitern interagieren) ganze Berufsgruppen überflüssig machen können. Dabei geht es keinesfalls nur um relativ einfache und repetitive Tätigkeiten; zu den „gefährdeten Arten“ werden mittlerweile auch Bankkaufleute, Versicherungsangestellte und Telefonverkäufer gezählt.
Und die Anwälte? Viele werden sich bei diesem Thema entspannt zurücklehnen in der festen Überzeugung, dass (echte!) Juristerei und künstliche Intelligenz schlechthin inkompatibel seien und der Anwaltsberuf zu den letzten Professionen gehöre, die bis zum Weltuntergang noch Bestand haben werden. Ob diese Selbstgewissheit berechtigt ist, mag dahinstehen. Sicher ist aber, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt auch in der Anwaltschaft viel tiefgreifendere Spuren hinterlassen wird, als dies in der bisherigen Diskussion bewusst geworden ist.
Man spricht inzwischen von einem „digitalen Feudalismus“ („Manager Magazin“): Herkömmliche Strukturen der traditionellen arbeitsteiligen Wirtschaft, wie sie sich in der klassischen Betriebsorganisation widerspiegeln, werden abgelöst durch eine „On-Demand-Economy“, in der derjenige als moderner Sklavenhalter fungiert, der über die Algorithmen verfügt, um ganze Dienstleisterarmeen zu steuern.
Wer einen kleinen Vorgeschmack, bezogen auf die Anwaltschaft, erleben möchte, rufe einmal die (bereits real existierende!) Homepage des US-Online-Dienstes „Up Counsel“ auf (www.upcounsel.com). Das dortige Geschäftsmodell beruht – ähnlich dem Taxidienst „Uber“ – darauf, selbstständige Dienstleister direkt mit den Nachfragern solcher Leistungen zusammenzubringen; der Anbieter fungiert „nur“ als Vermittler, freilich mit kompletter Organisationsplattform, nicht als Kanzleiinhaber und Arbeitgeber. Alles, was die Politik sich an Arbeitnehmerschutz bisher ausgedacht hat (Stichworte: Arbeitszeit, Mindestlohn, Urlaub, Betriebsräte und Gewerkschaften) läuft bei einem solchen Modell ins Leere; die längst totgeglaubte Ich-AG erlebt ihre Wiederauferstehung. Mehr noch: Der Kunde – sprich: der Mandant – stellt sich seine eigene, digitale Anwaltskanzlei selbst zusammen (in der Sprache von „Up Counsel“: „Build your own team for ongoing and repeat work.“).
Und die Politik? Anstatt immer neue Mühlsteine für den Einsatz menschlicher Arbeitskraft in herkömmlichen betrieblichen Strukturen zu erfinden, sollte sie schnellstens umdenken, um deren Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Dies kann aber nur gelingen, wenn moderne (zum Beispiel Arbeitszeit-)Regeln für eine moderne, „entgrenzte“ Arbeitswelt geschaffen werden. Der 2. Deutsche Arbeitsrechtstag, den der DAV am 28./29. Januar 2016 in Berlin veranstaltet, wird sich diesem Thema widmen, das für Anwälte und ihre Mandanten gleichermaßen brisant ist (www.ag-arbeitsrecht.de). Wir sehen uns – hoffentlich in Berlin!
– M 221 –