Nachfolgend ein Beitrag vom 23.10.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 21/2017 Anm. 5
Leitsätze
1. Anspruch eines Insolvenzverwalters auf Auskünfte aus dem Fahrzeugregister.
2. Der Anspruch auf Informationszugang wird nicht durch andere Normen betreffend den Informationszugang ausgeschlossen. In § 1 Abs. 3 Satz 2 InfFrG MV ist geregelt, dass besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht unberührt bleiben. Der Gesetzgeber hat damit festgeschrieben, dass grundsätzlich die Normen über den Informationszugang nebeneinander gelten sollen.
3. Der Grundsatz, dass allgemeinere Gesetze subsidiär gegenüber speziellen Gesetzen sind, kann nur dann Anwendung finden, wenn sich das speziellere Gesetz als abschließende Regelung begreift. Dies ist bei den Regelungen zum Zugang zu Fahrzeug- und Halterdaten in der StVG nicht der Fall.
4. Die Insolvenzschuldnerin und damit auch der Beklagte können sich gegenüber dem Kläger nicht auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen. Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können.
A. Problemstellung
Die hier zu besprechende Entscheidung des VG Greifswald nimmt eine Problemstellung auf, die regelmäßig in Insolvenzverfahren mit erhöhtem Aufklärungsbedürfnis, betreffend schuldnerische Kraftfahrtzeuge, auftreten kann. Neben entsprechenden Maßnahmen gegen den Schuldner, um diesen zur Erteilung der vom Insolvenzverwalter benötigten Auskünfte zwangsweise anzuhalten, besteht auch die Möglichkeit, aus öffentlichen Registern Auskünfte über den auf den Schuldner angemeldeten Fahrzeugbestand zu erhalten. Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn eine anfechtbare Veräußerung von Fahrzeugen im Raum steht bzw. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Angaben des Schuldners unvollständig und/oder unrichtig sind. Bislang sahen sich Insolvenzverwalter regelmäßig mit der Problematik konfrontiert, dass die zuständigen Stellen Anfragen von Insolvenzverwaltern ohne beigefügte schriftliche Einverständniserklärung des Schuldners bzw. des gesetzlichen Vertreters des Schuldners pauschal zurückgewiesen haben. Begründet wurde dies damit, dass das Register nur zu Straßenverkehrszwecken geführt werde und insofern eine Auskunftserteilung aus Datenschutzgründen nur mit Einwilligung des Schuldners selbst denkbar sei.
Dieser Auffassung folgt das VG Greifswald erfreulicherweise in der hier zu besprechenden Entscheidung nicht, sondern spricht dem Insolvenzverwalter einen Auskunftsanspruch auch gegen den Willen des Schuldners zu.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligten streiten über eine Gewährung von Informationen aus dem Fahrzeugregister des beklagten Kraftfahrtbundesamtes. Der Kläger ist mit Beschluss des AG Neubrandenburg vom 01.11.2014 zum Insolvenzverwalter einer GmbH bestellt worden. Noch in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter beantragte er mit Schreiben vom 10.10.2014 bei dem Beklagten Mitteilung, welche Fahrzeuge aktuell auf die Insolvenzschuldnerin zugelassen seien und welche Fahrzeuge innerhalb der vorangehenden zwölf Monate auf die Insolvenzschuldnerin angemeldet waren.
Mit Bescheid vom 15.10.2014 lehnte der Beklagte die Erteilung der angeforderten Informationen ab. Er begründete dies damit, dass die Daten zweckgebunden seien. Zweck des Fahrzeugregisters sei nicht, die Fahrzeuge als Vermögensgegenstände zu erfassen. Für eine registerfremde Nutzung fehle es an einem höherrangigen Gemeinschaftsinteresse des Klägers. Der Beklagte meinte weiter, dass Auskünfte gemäß § 39 StVG nur zum Zwecke der Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zulässig seien. Der Kläger sei jedoch weder öffentliche Stelle noch seien die aus dem Insolvenzverfahren resultierenden Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur. Der Kläger sei daher nicht anspruchsberechtigt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 20.10.2014 Widerspruch ein. Hierbei stützte er sein Anspruchsbegehren außerdem auf das Informationsfreiheitsgesetz. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Voraussetzungen für eine Auskunftserteilung nach den §§ 35 und 39 StVG nicht vorlägen.
Der Kläger ließ am 25.11.2014 Klage erheben. Er trug hierbei ergänzend vor, dass die begehrten Informationen mit den Mitteln der Insolvenzordnung nicht erlangt werden könnten. Zwar hätten die Geschäftsführer zunächst eine Übersicht über die auf die Insolvenzschuldnerin zugelassenen Fahrzeuge, insgesamt 35, erstellt. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass die Aufstellung unvollständig sei. Gerade im Hinblick auf die Vielzahl der Fahrzeuge sei es nicht anders möglich, eine schlüssige Entscheidungsgrundlage zu finden, ob ein Fahrzeug noch existiere, noch abzumelden sei oder sonstige Maßnahmen mit Relevanz für den Straßenverkehr zu treffen seien.
Das VG Greifswald sieht die zulässige Klage als begründet an, da der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze.
Der Kläger habe nämlich einen Anspruch auf Erteilung der streitgegenständlichen Informationen gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Zwar ergebe sich dieser Anspruch nicht aus den §§ 35 und 39 StVG. Das Gericht macht sich insofern die Ausführungen des Widerspruchsbescheids gemäß § 117 Abs. 5 VwGO zu eigen. Der Kläger habe jedoch einen Anspruch auf Informationserteilung aus § 1 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land Mecklenburg-Vorpommern (InfFrG MV). Danach habe jede natürliche oder juristische Person des Privatrechts einen Anspruch auf Zugang zu den bei einer Behörde vorhandenen Informationen. Der Kläger als Insolvenzverwalter handele als natürliche Person. Der Beklagte sei Behörde i.S.d. § 3 Abs. 1 InfFrG MV und verfüge über die streitgegenständlichen Informationen.
Der Anspruch sei zunächst nicht durch andere Normen, betreffend den Informationszugang, ausgeschlossen. In § 1 Abs. 3 Satz 2 InfFrG MV sei geregelt, dass besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zur amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht unberührt blieben. Der Gesetzgeber habe damit festgeschrieben, dass grundsätzliche Normen über den Informationszugang nebeneinander gelten sollten. Anders als z.B. beim IFG des Bundes werde keine formelle Subsidiarität geregelt. Praktisch führe dies dazu, dass lediglich Gesetze, die einen weiteren Informationszugangsanspruch als das InfFrG MV gewährten, vor diesem Vorrang haben. Gesetze, welche einen Informationszugang hingegen stärker begrenzten als das InfFrG MV seien jeweils in den vorzunehmenden Abwägungen im Rahmen der Informationsausschlussgründe zu berücksichtigen. Ein derartiges Verständnis der Norm entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers.
Darüber hinaus sei auch der Grundsatz, dass die speziellere Norm die allgemeinere Norm verdränge, nicht anwendbar, mit der Folge, dass die Normen des InfFrG MV gleichwertig neben den Informationszugangsregelungen des Straßenverkehrsgesetzes anwendbar seien. Der Grundsatz, dass allgemeinere Gesetze subsidiär gegenüber spezielleren Gesetzen sind, könne nur dann Anwendung finden, wenn sich das speziellere Gesetz als abschließende Regelung begreife. Dies sei bei den Regelungen zum Zugang zu Fahrzeug- und Halterdaten in der StVG nicht der Fall. Aus § 43 Abs. 1 StVG ergebe sich, dass neben dem StVG auch weitere Auskunftstatbestände bestehen können, welche Auskunftserteilungen aus dem Fahrzeugregister regeln. Die Regelung könne auch bereits deswegen keinen abschließenden Charakter haben, da sie kein Einsichtsrecht des Halters selbst regele. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen müsse es jedoch einem Bürger jederzeit möglich sein zu erfahren, welche Daten eine Behörde über ihn gespeichert habe, sofern diese Daten nicht einem besonderen Geheimhaltungs- und Sicherungsinteresse unterliegen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der geltend gemachte Anspruch werde auch nicht durch die Regelungen der Insolvenzordnung verdrängt. Hier fehle es bereits an der spezialgesetzlichen Regelung des Zugangs zu amtlichen Informationen.
Auch stünden dem Anspruch keine Ausschlussgründe der §§ 5 ff. InfFrG MV entgegen. In Betracht käme vorliegend allein § 7 InfFrG MV, welcher den Schutz personenbezogener Daten regelt. Personenbezogene Daten sind gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz des Bürgers bei der Verarbeitung seiner Daten des Landes Mecklenburg-Vorpommern Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Im vorliegenden Fall würden durch die Akteneinsicht keine personenbezogenen Daten veröffentlicht, sondern Angaben über die Haltereigenschaft einer juristischen Person. Der Anspruch sei auch letztlich nicht nach § 8 Satz 1 InfFrG MV ausgeschlossen. Danach sei ein Antrag auf Zugang zu Informationen abzulehnen, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegenstehe oder durch die Übermittlung der Informationen ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart werde und der Betroffene nicht eingewilligt habe. Die Insolvenzschuldnerin und damit auch der Beklagte könnten sich gegenüber dem Kläger nicht auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen. Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlange der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und habe gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Müsse die Schuldnerin also beim Insolvenzverwalter die ihr möglichen Auskünfte über die von ihr gehaltenen Fahrzeug erteilen, seien diese Informationen dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Dem stehe auch nicht die Wertung des StVG entgegen. Diese seien ebenfalls auf den Schutz der Halterdaten vor unbefugtem Zugriff Dritter gerichtet. Die entsprechenden Regelungen der § 31 ff. StVG sollten weder Informationen an den Halter selbst sperren, noch dienten diese Vorschriften einem über den Schutz der informationellen Selbstbestimmung hinausgehenden Zweck. Vielmehr ermögliche es § 39 StVG sogar Daten zur Verfolgung bestimmter Rechtsansprüche zu erfragen, welche im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden. Insofern gingen die Ansprüche auch über die Regelungen des InfFrG MV hinaus. Die Frage, ob es sich bei den Angaben überhaupt um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt, was unter anderem einen laufenden oder künftigen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin voraussetze, könne daher offenbleiben. Auch sei der Anspruch nicht nach § 4 Abs. 4 InfFrG MV ausgeschlossen. Danach sei ein Anspruch auf Informationsgewährung dann ausgeschlossen, wenn es sich um Informationen handele, die bereits öffentlich und barrierearm zugänglich seien, sofern die Behörde dem Antragsteller in einer entsprechenden Verweisungsmitteilung die Fundstelle angebe.
Dass der Kläger die Informationen ggf. auch durch eigene Ermittlungen insbesondere in den Buchhaltungsunterlagen der Insolvenzschuldnerin und Befragung der Geschäftsführer erlangen könne, stehe dem Anspruch nach dem InfFrG MV nicht entgegen. Im Übrigen gehe es dem Kläger auch gerade um die Kontrolle eben jener Angaben, welche aufgrund der Vielzahl der Fahrzeuge deutlich erschwert sei.
C. Kontext der Entscheidung
Die hier das Kraftfahrzeugregister führende Stelle verweigerte im vorliegenden Fall gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter die Erteilung von Informationen aus dem Fahrzeugregister.
Das VG Greifswald sieht dies nicht als zulässig an. Dem Insolvenzverwalter stehe ein Auskunftsanspruch nach dem InfFrG MV zu. Zwar folgt das Gericht noch insofern der Entscheidung der Behörde, als die Vorschriften der §§ 35 und 39 StVG für vorliegend nicht anwendbar gehalten werden. Allerdings könne insbesondere der Datenschutz des Insolvenzschuldners behördlicherseits einem Auskunftsverlangen des Insolvenzverwalters nicht entgegengehalten werden, da der Insolvenzschuldner zur Offenlegung auf insolvenzrechtlicher Grundlage verpflichtet sei. Es bestehe daher kein Geheimhaltungsbedürfnis, geschweige denn eine Geheimhaltungsbefugnis.
Auch andere Vorschriften, die einer Erteilung der Information entgegenstünden, würden nicht greifen. Selbst die Situation, dass Insolvenzverwalter wohl theoretisch in der Lage gewesen wäre, sich die Informationen in kleinteiliger Arbeit aus den Buchhaltungsunterlagen der Insolvenzschuldnerin selbst zusammenzusuchen, lässt das Verwaltungsgericht nicht ausreichen, um einen Informationsanspruch zu verneinen.
Die Entscheidung verdient in ihrer Begründung und insolvenzrechtlich erfreulich klaren Ausrichtung ungeteilte Zustimmung. Es steht zu hoffen, dass sie auch obergerichtlich bestätigt wird bzw. gleichlautende Entscheidungen der Obergerichte zeitnah erfolgen. Hierdurch würde es ermöglicht, eine umfassendere und sachlich richtigere Recherche anzustellen, wie mit Fahrzeugen des Schuldners vor Insolvenzeröffnung umgegangen wurde bzw. ob Fahrzeuge selbst nach Eröffnung noch auf den Schuldner zugelassen sind. Erfahrungsgemäß bilden gerade Fahrzeuge, die im unbelasteten Schuldnereigentum stehen, einen Gegenstand häufiger Vermögensverschiebung vor Insolvenzantragsstellung. Wenn sich nicht aus Buchhaltungsunterlagen, etwa durch die unterjährige Abrechnung der Kfz-Steuer oder der Kfz-Versicherung Anhaltspunkte auf das Fahrzeug ergeben, ist es für einen Verwalter regelmäßig schwierig, an Informationen über weggegebene Fahrzeuge zu gelangen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Sollte sich die Rechtsprechungslinie des VG Greifswald verstetigen, dürfte es zielführend sein, bei den Standardabfragen bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte für „verschobene“ Fahrzeuge auch eine Anfrage an die fahrzeugregisterführende Behörde zu stellen. In der jetzigen Situation muss jedoch zunächst Bundesland-spezifisch geprüft werden, ob tatsächlich nach dem jeweiligen IFG ein Anspruch besteht. Für Mecklenburg-Vorpommern dürfte dies aber zumindest klar zu bejahen sein.
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