Nachfolgend ein Beitrag vom 19.12.2017 von Götsche, jurisPR-FamR 25/2017 Anm. 8
Leitsätze
1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, kann im Einzelfall auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15 – FamRZ 2017, 532).
2. Bestehen unstreitig gute Bindungen der Kinder zu beiden Elternteilen und hat der umgangsberechtigte Elternteil bereits bisher einen wesentlichen Teil der Betreuungsleistung übernommen (vorliegend: rund 40%), so kann die Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilt werden.
A. Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils eingerichtet werden und bedarf es dabei der Einholung eines Sachverständigengutachtens?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die getrenntlebenden Eltern der annähernd 9 Jahre alten Zwillingstöchter üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Seit 2013 praktizierten die Eltern einvernehmlich einen erweiterten Umgang in der Form, dass die Mädchen alle zwei Wochen von Freitag nach der Schule bis zum darauffolgenden Mittwochmorgen beim Vater waren. Zudem verbrachten sie jeden Dienstagnachmittag von 16.00 Uhr bis ca. 19.30 Uhr beim Vater. Den Ferienumgang haben die Eltern ebenfalls einverständlich geregelt. Die Schule der Mädchen ist vom Haushalt der Mutter aus zu Fuß, vom Haushalt des Vaters aus mit dem Bus gut zu erreichen.
Die Umgänge wurden in der Vergangenheit im Wesentlichen störungsfrei umgesetzt. Das Verhältnis der Betreuungszeiten beträgt etwa 58% Mutter, 42% Vater.
Der Vater begehrt die Ausweitung seines Umgangsrechts auf ein paritätisches Wechselmodell. Die Mutter widerspricht dem, weil die Erziehungsmodelle von Mutter und Vater zu verschieden seien, was negativ für das Kindeswohl sei. Es herrsche eine permanente Uneinigkeit in Erziehungs- und Organisationsfragen. Die Zwillinge haben sich bei ihrer Anhörung für einen gleichmäßigen Aufenthalt bei den Eltern ausgesprochen. Die Verfahrensbeiständin befürwortet das Wechselmodell.
Das OLG Stuttgart hat die Anordnung eines Wechselmodells nach § 1684 Abs. 3 Satz 1, HS. 1 BGB bejaht.
Voraussetzung für die Anordnung eines Wechselmodells sei, dass die geteilte Betreuung durch beide Elternteile im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspreche. Die dafür notwendige Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern sei gegeben, da sie das praktizierte ausgedehnte Umgangsrecht des Vaters seit Jahren weitgehend störungsfrei umgesetzt haben. Der übereinstimmende Wille beider Mädchen sei unbeeinflusst und müsse dabei mitbeachtet werden. Durch die räumliche Nähe der Elternhaushalte werden vorliegend sowohl der Schulbesuch als auch Freizeitaktivitäten und Sozialkontakte der Kinder durch die Anordnung eines Wechselmodells nicht beeinträchtigt. Entgegen den Bedenken der Mutter seien keine so weit voneinander entfernten Unterschiede im Erziehungsstil der Eltern vorhanden, dass die Anordnung eines Wechselmodells daran scheitern würde. Die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens sei angesichts der umfassenden Sachaufklärung nicht angezeigt.
C. Kontext der Entscheidung
Das Umgangsrecht schließt eine Umgangsregelung, die einem Wechselmodell gleichkommt, nicht aus. Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht wie eine gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsamen Sorgerecht in Einklang (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15 – FamRB 2017, 136). Entscheidender Maßstab für die Regelung im Einzelfall ist letztlich die für das konkrete Kind beste Alternative: Diese bestimmt sich allein nach dem Kindeswohl.
Es gelten für eine solche Umgangsregelung daher die gleichen Grundsätze, wie sie für die gemeinsame elterliche Sorge gelten. Das Wechselmodell verlangt deutlich mehr als nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen bzw. eine tragfähige soziale Beziehung. Die Eltern müssen in der Lage sein, bestehende Konflikte einzudämmen und sich hochmotiviert an den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren. Ein paritätisches Wechselmodell auf der Ebene des Umgangs scheidet damit ebenso wie eine gemeinsame elterliche Sorge im Fall hoher elterlicher Konfliktbelastung aus (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15).
Streiten die Kindeseltern um ein Wechselmodell, liegt zwangsläufig ein elterlicher Konflikt vor. Die problematische Frage ist, wann eine solche elterliche Konfliktbelastung „hoch“, also für das Kindeswohl schädlich ist. Das OLG Stuttgart hat angesichts der langjährigen einvernehmlich erfolgten und sehr umfangreichen Umgänge zutreffend den Konflikt als eher gering eingestuft. Da die Rahmenbedingungen hier nahezu optimal waren (insbesondere nahe elterliche Haushalte und entsprechender Kindeswille), bedarf es keiner weiteren Amtsermittlung in Gestalt der Einholung eines Gutachtens.
D. Auswirkungen für die Praxis
Anders als im vorliegenden Fall besteht in der Praxis vielfach nur ein „normales“ Umgangsrecht, bei dem der regelmäßige Umgang (neben Ferien-/Feiertagesumgängen) an jedem zweitem Wochenende von Freitag bis Sonntag (oder vergleichbar) stattfindet. Will in diesem Fall der Umgangsberechtigte die Ausweitung auf ein Wechselmodell, werden sich für den verweigernden Elternteil schnell Gründe gegen ein Wechselmodell finden lassen (insbesondere Aufgabe des gewohnten Hauptaufenthaltsorts und Verunsicherung des Kindes usw.). Zudem steht bereits eine erhebliche Belastung des Kindes durch Kommunikationsschwierigkeiten der gemeinsamen Sorge entgegen, eine vollständige Kommunikationsverweigerung der Eltern muss nicht gegeben sein. Diese Belastung des Kindes muss nicht bereits tatsächlich bestehen, es genügt die begründete Befürchtung, dass es zu einer solchen Belastung kommt (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15). Der entgegenstehende Wille des obhutsberechtigten Elternteils wird im Regelfall indiziell daher eher gegen eine wechselmodellgleiche Sorge- oder Umgangsregelung sprechen. Will das Gericht gleichwohl gegen den Willen ein Wechselmodell einrichten, dürfte vielfach die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten sein.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das OLG Stuttgart hat ohne weitere Gründe verneint, dass die außergerichtliche Umgangsregelung nur aus triftigen, das Wohl der Kinder nachhaltig berührenden Gründen abgeändert werden könne. Dieser in § 1696 Abs. 1 BGB niedergelegte Maßstab komme nur zur Anwendung, wenn es sich um eine gerichtliche Umgangsregelung oder um eine Umgangsvereinbarung in einem gerichtlich gebilligten Vergleich handeln würde. Es ist allerdings umstritten, ob der Rechtsgedanke des § 1696 BGB nicht auch auf einvernehmliche Regelungen Anwendung findet (OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.12.2007 – 9 WF 367/07 – FamRZ 2008, 2055; OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.01.2009 – 9 UF 105/08 – FamRZ 2009, 1683, 1684 f.). Zumindest aber muss die Einigung der Eltern im Rahmen der Kindeswohlprüfung in der Sache berücksichtigt werden; nach dem Beschluss des BGH vom 16.03.2011 (XII ZB 407/10 – FamRZ 2011, 796, 801) soll die Einigung der Eltern sogar vermuten lassen, dass sie dem Kindeswohl entspricht.
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