Nachfolgend ein Beitrag vom 6.12.2016 von Viefhues, jurisPR-FamR 25/2016 Anm. 4

Leitsatz

Hat der Vater eines volljährigen Kindes keine Kenntnis über dessen Absicht, ein Studium aufzunehmen, hat das Kind, das nach Erlangung der Hochschulreife eine studiennahe Berufsausbildung absolviert und über einen nicht unerheblich langen Zeitraum (hier über zwei Jahre) in dem erlernten Beruf gearbeitet hat, keinen Anspruch auf weiter gehenden Unterhalt.

A. Problemstellung

Zeitliche Verzögerungen zwischen dem Ende der Schule (Abitur) und dem Beginn des Studiums können verschiedene Gründe haben. In der Praxis ist diese Verzögerung nicht selten darauf zurückzuführen, dass der im Abitur erreichte Notendurchschnitt nicht für eine sofortige Aufnahme des gewünschten Studiums reichte, sondern der Zugang zum Studium über Wartezeiten „erkämpft“ werden musste. Fraglich ist dann, ob und ggf. unter welchen Umständen die Eltern noch für die Kosten des Studiums einstehen müssen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Antragsteller begehrte aus übergeleitetem Recht von dem Antragsgegner rückständigen Ausbildungsunterhalt, nachdem er der nichtehelichen Tochter des Antragsgegners für ihr Studium Leistungen nach dem BAföG gewährt hatte.
Der Antragsgegner hat weder mit deren Mutter noch mit dem Kind jemals zusammengelebt. Es fand auch zwischen Vater und Kind wenig Kontakt statt; letztmals als diese 16 Jahre alt war. Die Tochter erwarb 2004 das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 2,3. Im Anschluss daran wandte sich der Antragsgegner schriftlich an seine Tochter, da er davon ausgegangen war, dass sie in diesem Zeitraum die Hochschulreife erworben haben müsste. Er gehe davon aus, dass die Schule abgeschlossen sei und er keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen müsse. Sollte dies anders sein, möge sich die Tochter bei ihm melden. Auf diesen Brief hat seine Tochter nicht reagiert. Der Antragsgegner stellte daraufhin im Jahr 2004 seine Zahlungen für den Kindesunterhalt ein.
Ausbildungsziel der Tochter war es bereits nach Beendigung der Schule, Medizin zu studieren. Sie bewarb sich durchgängig um einen Medizinstudienplatz, zunächst ohne Erfolg. Sie begann im Februar 2005 eine Lehre als anästhesietechnische Assistentin, die sie im Januar 2008 mit Erfolg abschloss. Da sie noch keinen Medizinstudienplatz erhalten hatte, arbeitete sie in diesem Beruf. Persönlicher oder schriftlicher Kontakt zu dem Antragsgegner bestand weiterhin nicht.
Für das Wintersemester 2010/2011 erhielt sie sodann eine Studienplatzzusage und nahm das Medizinstudium auf. Dort erhielt sie Leistungen nach dem BAföG. Vom Studierendenwerk erhielt der Antragsgegner erstmals Kenntnis, dass seine Tochter ein Studium aufgenommen hatte. Er wurde dort weiter aufgefordert, Auskunft zu erteilen; es erging sodann eine Übergangsmitteilung.
Das Familiengericht hatte den Antrag abgewiesen, die Beschwerde blieb vor dem OLG Frankfurt ohne Erfolg.
Der Antragsteller könne nicht kraft übergegangenen Rechts (§ 37 Abs. 1 BAföG) rückständige Unterhaltsansprüche der Tochter geltend machen, weil in dem hier betreffenden Zeitraum nach Aufnahme des Medizinstudiums ein Ausbildungsunterhaltsanspruch nach den §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB nicht bestehe.
Nach § 1610 Abs. 2 BGB schulden Eltern ihrem Kind grundsätzlich nur eine angemessene Berufsausbildung. Sei jedoch die Weiterbildung von vornherein angestrebt gewesen, ende die Unterhaltsverpflichtung der Eltern erst dann, wenn die geplante Ausbildung insgesamt beendet sei. Die Entscheidung, ob eine zu finanzierende Weiterbildung bzw. ein einheitlicher Ausbildungsweg vorliege, sei im Rahmen einer Zumutbarkeitsabwägung aufgrund der Sachlage des konkreten Einzelfalls zu treffen. Insbesondere in der Konstellation des Ausbildungsweges Abitur-Lehre-Studium liege in unterhaltsrechtlicher Hinsicht ein einheitlicher Ausbildungsweg dann vor, wenn die einzelnen Abschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dazu sei erforderlich, dass Lehre und Studium der gleichen Berufssparte angehörten. Soweit der Ausbildungsweg Abitur-Lehre-Studium dadurch unterbrochen worden sei, dass nach Abschluss der Lehre für einen begrenzten Zeitraum von dem volljährigen Kind in dem erlernten Beruf gearbeitet worden sei, stehe dies der Annahme des zusätzlich erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten jedenfalls dann nicht entgegen, wenn dies nicht auf Umstände zurückzuführen sei, die das Kind zu vertreten habe und die Berufstätigkeit nur die Zeit bis zum Studium überbrücken soll.
Diese Voraussetzungen lägen zwar im vorliegenden Fall ebenfalls vor, denn die Tochter habe in äußerlich erkennbarer Weise durch ihre durchgängigen Bewerbungen um einen Medizinstudienplatz zum Ausdruck gebracht, dass sie den Beruf einer Ärztin anstrebt und das von ihr aufgenommene Berufsausbildungsverhältnis der Vorbereitung des Studiums dienen soll und die anschließende Tätigkeit in dem erlernten Beruf tatsächlich nur die Zeit bis zur Aufnahme ihres Studiums überbrückt habe. Allerdings müsse bei einem vielschichtigen Berufsausbildungsweg die Finanzierung des Studiums durch die Eltern aber auch zumutbar sein. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, denn die Tochter hatte den Antragsgegner in keiner Weise über den von ihr verfolgten Ausbildungsweg in Kenntnis gesetzt.
Das Vorliegen eines einheitlichen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen einzelnen Ausbildungsabschnitten könne nicht nur aus der Perspektive des Kindes beurteilt werden. Soweit der Unterhaltspflichtige erst nachträglich davon erfahre, dass nach Abschluss einer Lehre die Berufsausbildung fortgesetzt worden sei, sei dies ein Kriterium, das in die Zumutbarkeitsprüfung miteinfließen müsse. Dies gelte umso mehr, wenn nach Abschluss einer Lehre in dem erlernten Beruf für nicht nur unerhebliche Dauer gearbeitet werde. Zwar spreche gegen eine Unzumutbarkeit der Finanzierung des Hochschulstudiums der Tochter des Antragsgegners der Umstand, dass der Antragsgegner tatsächlich keinen Unterhalt während der Lehre seiner Tochter leisten musste. Ob allerdings überhaupt ein entsprechender ungedeckter Unterhaltsbedarf bestand, habe der Antragsteller aber nicht dargelegt. Gegen die Zumutbarkeit der Finanzierung des Studiums spreche vor allem der Umstand, dass der Antragsgegner angesichts des Alters seiner Tochter im Jahr 2010 nicht mehr damit rechnen musste, dass diese noch ein Studium aufnehmen würde. Dies zeigten auch die finanziellen Dispositionen, die der Antragsgegner etwa gemeinsam mit seiner jetzigen Ehefrau getroffen habe, wie etwa der Erwerb eines Eigenheims oder die Inanspruchnahme verschiedener Konsumkredite, die auf ein entsprechendes Vertrauen auf die Nichtinanspruchnahme weiteren Kindesunterhalts schließen lassen. Auch sei es nicht von vornherein naheliegend gewesen, bei einer Abiturnote von 2,3 ein Medizinstudium anzustreben, da die Tochter des Antragsgegners wegen des insoweit bestehenden Numerus Clausus durchaus damit rechnen musste, auch dauerhaft keinen Studienplatz zu erhalten.

C. Kontext der Entscheidung

Das Kind muss grundsätzlich zeitnah mit seiner Ausbildung beginnen. Verschiebt es aus eigenen persönlichen Gründen den Ausbildungsbeginn, muss es auf die Interessen der unterhaltspflichtigen Eltern Rücksicht nehmen. Führt die Verzögerung des Ausbildungsbeginns zu Mehrkosten bei den Eltern, weil z.B. wegen des Alters des Kindes Kindergeld und BAföG-Ansprüche nicht mehr bestehen, kann dies zum Wegfall des Unterhaltes führen (BGH, Beschl. v. 03.07.2013 – XII ZB 220/12 – FamRZ 2013, 1375 – mit Anm. Viefhues, FamRZ 2013, 1475 = NJW 2013, 2751; dazu Born, NJW 2013, 2717).
Hat das Kind einen guten Schulabschluss vorzuweisen, wird man eher verlangen können, nach Ablauf einer gewissen Orientierungszeit (dazu Viefhues in: jurisPK-BGB, § 1610 Rn. 110 ff. ) zeitnah eine Ausbildung aufzunehmen. Ist der Schulabschluss schlechter, so sind auch die Chancen auf einen Ausbildungsplatz geringer. Dann ist es dem Kind aber nicht vorzuwerfen, wenn es durch Praktika und andere Berufsvorbereitungsmaßnahmen seine Chancen steigert – die zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen (vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 12.03.2012 – 4 UF 232/11 – FuR 2012, 669).
§ 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich ggf. nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einen Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Eine verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen Ausbildung – durch das Kind kann daher einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Kind die im Rahmen des unterhaltsrechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses zu fordernden Mitteilungspflichten verletzt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG Frankfurt hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Für die Praxis ist zu empfehlen, dass in allen Fällen der Verzögerungen beim Beginn der Ausbildung oder des Studiums die unterhaltspflichtigen Eltern immer rechtzeitig und ausreichend über den vorhandenen Ausbildungswunsch und die weiteren Entwicklungen informiert werden, um einem späteren Einwand einer Unzumutbarkeit der Unterhaltsbelastung vorzubeugen.