Nachfolgend ein Beitrag vom 31.7.2018 von Viefhues, jurisPR-FamR 15/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Zur Unterhaltspflicht während des freiwilligen sozialen Jahres des Kindes
2. Kein Fortfall der gesteigerten Erwerbsobliegenheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei guten Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils, wenn dieser für ein weiteres gemeinsames, nicht privilegiertes volljähriges Kind aufkommt.
A. Problemstellung
In der Rechtsprechung ist die Frage der Unterhaltsberechtigung eines Kindes während der Absolvierung eines freiwilligen sozialen Jahres noch umstritten. Die Entscheidung des OLG Frankfurt geht hier im konkreten Fall eines minderjährigen Kindes einen eigenen Lösungsweg und befasst sich auch mit den Voraussetzungen der unterhaltsrechtlichen Haftung des betreuenden Elternteils nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligten – seit Juli 2017 rechtskräftig geschiedene Ehegatten – streiten um Kindesunterhalt. Die beiden aus ihrer Ehe hervorgegangenen Kinder leben seit der Trennung im Haushalt der Mutter. Der im Jahr 2000 geborene Sohn nahm zunächst bis Juni 2017 an einem Berufsvorbereitungsjahr teil, das er mit dem qualifizierten Hauptschulabschluss beendete. Ab dem 01.09.2017 absolvierte er ein freiwilliges soziales Jahr.
Das OLG Frankfurt betont hier die Besonderheit, dass das freiwillige soziale Jahr bereits zur Zeit der Minderjährigkeit des Kindes begonnen worden ist. Allerdings müsse auch das minderjährige Kind während einer längeren Wartezeit bis zur Zulassung zum nächsten Ausbildungsabschnitt oder bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen auch in der Zeit zwischen dem Ende der Schulzeit und der Aufnahme einer weiterführenden Ausbildung oder eines Studiums seinen Bedarf durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen. Bemühe sich das Kind nicht darum, eine ihm mögliche Beschäftigung zu finden, scheide ein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern aus. Die soziale Tätigkeit, wenn sie nicht als Voraussetzung für eine andere Ausbildung gefordert werde, könne unterhaltsrechtlich nicht als Ausbildung anerkannt werden. Bei einem minderjährigen Kind müssten aber dessen Obliegenheiten zurückhaltender beurteilt werden.
Zudem habe der Kindesvater der den Sohn betreuenden Mutter eine umfassende Vollmacht erteilt, sämtliche Angelegenheiten der Kinder zu regeln. Auch im Interesse des Kindeswohls müsse daher der Vater die maßgeblichen Entscheidungen – wie hier die Anmeldung durch die Mutter zum freiwilligen sozialen Jahr – gegen sich gelten lassen.
Der Kindesvater konnte sich auch nicht mit seiner Ansicht durchsetzen, ihm sei gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB der angemessene Selbstbehalt von 1.300 Euro zu belassen, weil die Kindesmutter hier vorrangig unterhaltspflichtig sei. Deren vorrangige Unterhaltsverpflichtung bestehe nicht, denn sie stelle auch den Unterhaltsbedarf der gemeinsamen volljährigen Tochter sicher und entlaste so den Kindesvater. Allein sie sei unter Berücksichtigung ihrer Einkommensverhältnisse im Stande, den Bedarf der volljährigen Tochter im Wesentlichen ohne Gefährdung ihres angemessenen Selbstbehalts sicherzustellen.
Das OLG Frankfurt legt weiter dar, dass die volljährige Tochter kein privilegiertes volljähriges Kind i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB und damit nicht mit ihrem Bruder unterhaltsrechtlich gleichrangig sei. Denn die von ihr absolvierte Ausbildung – der Besuch einer Berufsfachschule – sei keine allgemeine Schulausbildung. Anders als beim Besuch eines Gymnasiums, einer Real-, einer Gesamt-, einer Mittel-, einer Haupt- oder Fachoberschule sei diese Voraussetzung bei einer doppelqualifizierenden Schulausbildung, die im Anschluss an einen bereits erworbenen Schulabschluss stattfinde, nicht gegeben. Neben allgemeinen Ausbildungsinhalten werde den Schülern der Berufsfachschule bereits eine auf ein konkretes Berufsbild bezogene Ausbildung vermittelt und die Ausbildung schließe mit einer Abschlussprüfung, die bei Erfolg zur Führung einer Berufsbezeichnung berechtige.
C. Kontext der Entscheidung
Die wohl überwiegende Auffassung verneint die Unterhaltsberechtigung eines Kindes gegenüber den Eltern während eines freiwilligen sozialen Jahres, soweit diese Tätigkeit nicht eine notwendige Voraussetzung für eine Ausbildung des Kindes ist (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 10.05.2007 – 4 UF 94/07 – NJW-RR 2007, 1380; OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.11.2006 – 15 WF 275/06 – FamRZ 2007,1353; OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2013 – II-8 WF 234/12 – NZFam 2014, 232; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.03.2012 – 2 WF 174/11 – FamRZ 2012, 1648; Klinkhammer in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl., § 2 Rn. 489 m.w.N.; vgl. auch Viefhues in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 1602 Rn. 125 m.w.N.). Begründet wird diese Auffassung damit, dass nach Abschluss der Schulausbildung das Kind die Obliegenheit trifft, alsbald eine Berufsausbildung zu beginnen und diese mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit zu beenden.
Demgegenüber geht das OLG Celle (Beschl. v. 06.10.2011 – 10 WF 300/11 – FuR 2012, 144) davon aus, dass auch dann während des freiwilligen sozialen Jahres ein Unterhaltsanspruch des Kindes als Ausbildungsunterhalt besteht, wenn diese Tätigkeit nicht für die weitere Ausbildung erforderlich ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das OLG Frankfurt hat die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Nr. 1, 2 FamFG zugelassen, weil die Fragen der Unterhaltspflicht dem Grunde nach während eines freiwilligen sozialen Jahres sowie die Behandlung der Unterhaltslast für ein nachrangiges volljähriges Kind im Rahmen des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt sind (dazu Viefhues in: jurisPK-BGB, § 1603 Rn. 951 ff. m.w.N.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 01.11.2016 – 13 WF 244/16 – FUR 2017, 92 zur Darlegungslast).
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