Nachfolgend ein Beitrag vom 14.6.2017 von Ziemann, jurisPR-ArbR 24/2017 Anm. 2 zu einem Standardfehler von Arbeitgebern nach arbeitsgerichtlichen Verfahren oder Abschluss arbeitsgerichtlicher Vergleiche

Leitsatz

Der Zusatz „brutto“ in einem den Arbeitgeber zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtenden Urteilstenor verdeutlicht, was von Gesetzes wegen gilt: Der Arbeitnehmer ist nach § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der durch Abzug vom Arbeitslohn erhobenen Einkommensteuer (Lohnsteuer) und muss im Innenverhältnis zum Arbeitgeber den ihn treffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen (§ 28g SGB IV).

A. Problemstellung

Ist ein auf die Zahlung eines Bruttoarbeitsentgelts gerichtetes Leistungsurteil ein Rechtsgrund i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Arbeitgeber für das Arbeitsentgelt bereits die Lohnsteuer, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag und die vermögenswirksamen Leistungen abgeführt und sodann auf die Verurteilung hin den vollen Bruttobetrag an den Arbeitnehmer ausgezahlt hat?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte war bei der Klägerin vom 27.05.2013 bis zum 31.10.2013 angestellt. Es war ein Bruttomonatsgehalt von 4.200 Euro vereinbart. Für die Monate September und Oktober 2013 zahlte die Klägerin an den Beklagten kein Entgelt aus, führte aber von dem vereinbarten Gehalt Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag (insgesamt 1.744,08 Euro) sowie den vom Arbeitnehmer zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (insgesamt 1.665,96 Euro) ab. Ferner überwies sie jeweils 40 Euro als vermögenswirksame Leistung an die zuständige Stelle. Die Klägerin berühmte sich des Bestehens von Schadensersatzansprüchen wegen grober Fehler des Beklagten bei mehreren Bauvorhaben. Daraufhin erhob der Beklagte Klage auf Zahlung der Bruttovergütung für die Monate September und Oktober 2013, während die Klägerin im Wege der Widerklage Schadensersatz i.H.v. 30.548,31 Euro verlangte. Das Arbeitsgericht verurteilte die Klägerin, insgesamt 8.400 Euro brutto an den Beklagten zu zahlen. Die Widerklage wies es ab. Über die auf die Widerklage beschränkte Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht noch nicht entschieden.
Entsprechend dem erstinstanzlichen Urteil rechnete die Buchhalterin der Klägerin die Vergütung für September und Oktober 2013 ab und überwies am 16.06.2014 „versehentlich“ den Gesamtbetrag von 8.400 Euro an den Beklagten. Die Klägerin hat mit der Klage eine irrtümliche Überzahlung geltend gemacht, die nach Bereicherungsrecht zu erstatten sei. Dem Beklagten hätten die auf die ausgeurteilte Bruttovergütung entfallende Lohnsteuer, der Arbeitnehmeranteil zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag und die vermögenswirksam angelegten 40 Euro monatlich nicht zur Auszahlung zugestanden. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Die Klägerin hat nach Ansicht des BAG Anspruch auf Rückzahlung der „nicht zur Auszahlung“ an den Beklagten bestimmten Entgeltbestandteile, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
Der Beklagte hat die auf die Gehälter für September und Oktober 2013 entfallende Lohnsteuer und den vom Arbeitnehmer zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ohne rechtlichen Grund erhalten. Der zivilrechtliche Entgeltanspruch des Arbeitnehmers unterliegt einem öffentlich-rechtlichen Pflichtengefüge, das beide Parteien des Arbeitsvertrags trifft. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit unterliegen der Einkommensteuer (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG), deren Schuldner der Arbeitnehmer ist (§ 38 Abs. 2 EStG). Außerdem hat er den Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu tragen (§ 28g SGB IV). Der Arbeitgeber muss als ihm obliegende öffentlich-rechtliche Verpflichtung die Einkommensteuer, die als Lohnsteuer durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben wird (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG), für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Entgeltzahlung vom Arbeitsentgelt einbehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zahlen, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Dabei gilt nach § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV der vom Arbeitnehmer zu tragende Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dessen Vermögen erbracht.
Dieses öffentlich-rechtliche Pflichtengefüge überlagert und prägt den zivilrechtlichen Entgeltanspruch. Der auf Einkommensteuern und Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags entfallende Teil ist zwar Bestandteil des (Brutto-)Entgeltanspruchs, so dass mit dessen Einbehalt und Abführung an die zuständigen Stellen der Arbeitgeber (auch) seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt. Doch hat der Arbeitnehmer diesbezüglich wegen entgegenstehenden öffentlichen Rechts keinen Anspruch auf Auszahlung, der Entgeltanspruch ist insoweit nur auf Einbehalt und Abführung gerichtet.
Danach kann die arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung nicht das Behalten von auf das Arbeitsentgelt entfallender Einkommensteuer und des vom Arbeitnehmer zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags rechtfertigen. Diese Bestandteile des Arbeitsentgelts verbleiben nicht nur nicht (endgültig) beim Arbeitnehmer, sie sind nicht einmal zur Auszahlung an diesen bestimmt. Der Arbeitsvertrag kann deshalb nur rechtlicher Grund für Einbehalt und Abführung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung, nicht aber für deren Auszahlung an den Arbeitnehmer sein.
Auch die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von Bruttoarbeitsentgelt bildet nach Ansicht des BAG keinen rechtlichen Grund dafür, dass der Beklagte irrtümlich ausgezahlte Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags behalten dürfte.
Der Zusatz „brutto“ in einem den Arbeitgeber zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtenden Urteilstenor verdeutlicht, was von Gesetzes wegen gilt. Es ändert sich an der Belastung des Entgeltanspruchs mit öffentlich-rechtlichen Pflichten nichts. Ein zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtendes Urteil ist nicht auf eine – gesetzeswidrige – Auszahlung von Steuern und Beiträgen an den Arbeitnehmer gerichtet, sondern nur auf deren Einbehalt und Abführung. Nur dafür kann der Titel Rechtsgrund i.S.v. § 812 Abs. 1 BGB sein. Lediglich wenn der Arbeitnehmer das ihm entgegen öffentlichem Recht Zugeflossene an die zuständigen Stellen selbst abführt, kann er dem Rückforderungsverlangen des Arbeitgebers Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB entgegenhalten.
Eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung von Bruttoarbeitsentgelt bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer die darauf entfallenden Steuern und Beiträge endgültig behalten darf. Dies wird durch die Rechtslage bei Vollstreckung eines auf Bruttoarbeitsentgelt gerichteten Titels bestätigt. Versucht der Gerichtsvollzieher, den vollen ausgeurteilten Betrag zu vollstrecken, kann der Arbeitgeber durch entsprechende Quittungen oder Überweisungsnachweise die Abführung von Lohnsteuer an das Finanzamt und des Arbeitnehmeranteils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags an die Einzugsstelle nachweisen. Die Zwangsvollstreckung ist dann insoweit nach § 775 Nr. 4 bzw. Nr. 5 ZPO einzustellen.
Erfüllt der Arbeitgeber seine öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht, kann der Gerichtsvollzieher zwar auf den vollen (Brutto-)Betrag zugreifen. Er hat aber davon das zuständige Finanzamt und den zuständigen Sozialversicherungsträger zu benachrichtigen (§ 62 GVO). Auch dies zeigt, dass der Arbeitnehmer den zu Einbehalt und Abführung bestimmten Teil des Arbeitsentgelts nicht behalten darf und ihn nur deshalb erhält, um an Stelle des seine öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht erfüllenden Arbeitgebers Steuer und Beiträge zur Sozialversicherung an die berechtigten Stellen weiterzuleiten.
Der Beklagte hat auch die vom Nettobetrag des Arbeitsentgelts monatlich vermögenswirksam anzulegenden 40 Euro ohne Rechtsgrund erhalten. Der Beklagte hat nicht in Abrede gestellt, dass monatlich 40 Euro entsprechend den Abreden der Parteien vermögenswirksam anzulegen waren (vgl. § 11 5. 5. VermBG). Ein Rechtsgrund für die Auszahlung dieser Teilleistung an den Beklagten ist deshalb nicht gegeben.
Der Bereicherungsanspruch der Klägerin ist nicht nach § 814 Alt. 1 BGB ausgeschlossen. Die Überweisung des nicht zur Auszahlung bestimmten Teils des Arbeitsentgelts für die Monate September und Oktober 2013 erfolgte versehentlich.
Dem Bereicherungsanspruch der Klägerin steht § 767 Abs. 2 ZPO weder in unmittelbarer noch entsprechender Anwendung entgegen. Insoweit hat das BAG offengelassen, ob der besondere Erfüllungseinwand der Abführung von Entgeltbestandteilen an Finanzamt und Einzugsstelle überhaupt eine Einwendung i.S.d. § 767 ZPO ist. Die versehentliche Auszahlung dazu nicht bestimmter Entgeltbestandteile an den Arbeitnehmer begründet einen bereicherungsrechtlichen Anspruch des Arbeitgebers unabhängig davon, ob dieser seine Abführungspflichten schon erfüllt hat. Erfolgt die Leistung aufgrund eines zur Zahlung von Bruttoarbeitsentgelt verpflichtenden Titels, entsteht die „Einwendung“, nicht zur Auszahlung bestimmte Entgeltbestandteile ausgezahlt zu haben, denknotwendig erst nach Erlass des Urteils. Ihre Berücksichtigung beeinträchtigt die materielle Rechtskraft des Titels nicht, weil dieser insoweit nur auf Abführung an die zuständigen Stellen gerichtet ist.

C. Kontext der Entscheidung

Nach Ansicht des 5. Senats des BAG verdeutlicht der Zusatz „brutto“ in einem den Arbeitgeber zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtenden Urteilstenor, was von Gesetzes wegen gilt. Dem ist erneut zu widersprechen. Zivil- und Zivilprozessrecht und damit auch das Zwangsvollstreckungsrecht kennen keine Beträge „brutto“ oder „netto“, sondern nur die in einer gültigen Währung zu beziffernde Geldschuld. Mit der Beifügung des Wortes „brutto“ verwischt der Tenor die Grenze zwischen Leistungs- und Feststellungsurteil. Der Tenor ist in seiner feststellenden Aussage unbestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); er macht eine – häufig ungeprüfte – Aussage zur steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Geldschuld. Die Gerichte für Arbeitssachen können aber nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte festlegen, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht (BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 171/97; BAG, Urt. v. 26.05.1998 – 3 AZR 96/97). Für steuer- oder sozialversicherungsrechtliche Belehrungen fehlt ferner die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen. Zudem läuft die lapidare Feststellung, der geschuldete Betrag sei „brutto“ bzw. „netto“ zu verstehen, entgegen den Anforderungen nach § 256 Abs. 1 ZPO auf die unzulässige Feststellung zu einer Rechtsfrage bzw. auf die Abgabe eines Rechtsgutachten hinaus (Ziemann, jurisPR-ArbR 21/2016 Anm. 6). Es gehört schließlich nicht zu den Aufgaben der Gerichte für Arbeitssachen, bestimmte Leistungsbefehle zu verdeutlichen.
Zu widersprechen ist auch der Aussage des BAG, dass ein zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtendes Urteil nicht auf eine Auszahlung von Steuern und Beiträgen (gemeint: der auf die Lohnsteuer und den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag entfallende Teil der Arbeitsvergütung) an den Arbeitnehmer gerichtet sei, sondern nur auf deren Einbehalt und Abführung. Zielte der Tenor ernstlich auch auf Einbehalt und Abführung von Steuern und Beiträgen, wäre dies nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in bestimmter, damit bezifferter Weise im Tenor auszuweisen.
Die Auszahlung des auf die Lohnsteuer entfallenden Teils der Arbeitsvergütung an den Arbeitnehmer ist auch nicht „gesetzeswidrig“. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Er hat bei Auszahlung an ihn die Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen. Der Arbeitgeber als haftender Sekundärschuldner setzte sich nur der Gefahr der Inanspruchnahme durch das Finanzamt aus, dem insoweit ein Auswahlermessen unter den Schuldnern zukommt.
Auch die Auszahlung des auf den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag entfallenden Teils der Arbeitsvergütung ist nicht „gesetzeswidrig“. Dem Arbeitgeber als alleinigen Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags steht gegenüber dem Arbeitnehmer allein das (auflösend bedingte) Recht zum Entgeltabzug zu (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98). Das bedeutet: Der Arbeitgeber darf – kraft öffentlichen Rechts – dem sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Lohn- oder Gehaltsanspruch des Arbeitnehmers den – arbeitsrechtlichen – Einwand entgegenhalten, dieser sei in Höhe des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des zu zahlenden (vollen) Pflichtbeitrags durch die Zahlung des Arbeitgebers an den Sozialversicherungsträger als Leistung an Erfüllungs statt erloschen (§§ 364 Abs. 1, 362 Abs. 2 BGB); insoweit ist dann Lohn/Gehalt vom Arbeitnehmer nicht mehr zu beanspruchen und vom Arbeitgeber nicht mehr zu zahlen. Der Arbeitgeber hat die Rechtsmacht (nicht: die Rechtspflicht) zum Entgeltabzug (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98; BGH, Urt. v. 16.05.2000 – VI ZR 90/99). Der einzelne Arbeitnehmer erfährt eine konkrete Belastung seines Vermögens oder seiner vermögenswerten Rechte nur dann, wenn und soweit der Arbeitgeber diesen Erfüllungseinwand wirklich im Einzelfall erhebt. Anderenfalls erhält der Arbeitnehmer seinen vollen nach Arbeitsvertrag geschuldeten Lohn (BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98; BAG, Großer Senat, Beschl. v. 07.03.2001 – GS 1/00). Nach § 28g SGB IV hat der Arbeitgeber gegen den Beschäftigten einen „Anspruch“ auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Sozialversicherungsbeitrags. Diesen „Anspruch“ darf er aber „nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend“ machen; der Abzug hat (Zug um Zug) von der zeitgleich anfallenden Entgeltzahlung, andernfalls nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen zu erfolgen, danach nur, wenn er ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist (oder wenn der Beschäftigte seine Auskunfts- oder Vorlagepflichten nach § 28o SGB IV verletzt hat). Er darf diese Last nur im Einzelfall, nur durch rechtzeitige Erhebung des Erfüllungseinwandes und nur anteilig auf den Arbeitnehmer abwälzen (muss dies aber nicht – vgl. BSG, Urt. v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98).
Die pflichtversicherten Arbeitnehmer sind hingegen entgegen der Ansicht des BAG weder verpflichtet noch berechtigt, die jeweiligen Pflichtbeiträge an den Sozialversicherungsträger – oder etwa an den Arbeitgeber – zu zahlen. Die Einzugsstelle der Sozialversicherung darf sie vom versicherten Arbeitnehmer weder fordern noch als Erfüllung der Beitragsschuld annehmen. Hiervon darf nicht einmal durch Vertrag (zum rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachteil des Versicherten) abgewichen werden (§ 32 SGB I). Die öffentlich-rechtliche Beitragslast bleibt wirtschaftlich abschließend beim Arbeitgeber.
Nicht zu überzeugen vermag die Ableitung von materiell-rechtlichen Konsequenzen aus der landesrechtlichen Gerichtsvollzieherordnung (§ 62 Abs. 2 GVO Bayern). Dort wird allein eine Benachrichtigungspflicht begründet, nicht jedoch das materielle Recht gestaltet.
Die Vorstellungen des 5. Senats des BAG zur Vollstreckung des auf einen Bruttobetrag gerichteten Titels verkennen die praktischen Gegebenheiten. Er meint, der Arbeitgeber könne durch entsprechende Quittungen oder Überweisungsnachweise die Abführung von Lohnsteuer an das Finanzamt und des Arbeitnehmeranteils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags an die Einzugsstelle nachweisen, wenn der Gerichtsvollzieher versuche, den vollen ausgeurteilten Betrag zu vollstrecken. Die Zwangsvollstreckung sei dann insoweit nach § 775 Nr. 4 bzw. Nr. 5 ZPO einzustellen. Nach § 775 ZPO hat der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung zwar einzustellen oder zu beschränken, wenn ihm eine gesetzlich näher bezeichnete Urkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Arbeitnehmer nach (!) Erlass des Urteils befriedigt ist. Solche Urkunden (öffentliche Urkunden bzw. Einzahlungs- oder Überweisungsnachweise, aus denen die Abführung allein der den Kläger betreffenden Steuern und Beiträge hervorgeht) wird der Arbeitgeber regelmäßig nicht haben, wenn die Steuern und Beiträge für alle Arbeitnehmer in einem Betrag an die zuständigen Stellen abgeführt werden. Insoweit mag ab dem 01.01.2018 ggf. ein Ausdruck des Lohnkontos nach § 4 Abs. 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung durch das Finanzamt helfen. Die Befriedigung kann durch Abführung der Lohnsteuer und der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung – unter Berücksichtigung der Einbehaltungsverbote nach § 28g Satz 2 SGB IV und § 41c EStG – erfolgen. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung geschieht jedoch nur vorläufig. Bestreitet der Arbeitnehmer die (vollständige) Befriedigung, ist die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Der Arbeitgeber muss dann seine Rechte im Wege der Vollstreckungsgegenklage unter Beachtung von § 767 Abs. 2 ZPO geltend machen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Umgang mit dem Bruttoarbeitsentgelt bereitet den Gerichten für Arbeitssachen seit Jahrzehnten Schwierigkeiten (vgl. nur die Ide, DB 1968, 803). Klarheit durch eine praktikable zivilrechtliche Einordnung der öffentlich-rechtlichen Pflichten zur Abführung der Lohnsteuer und des Gesamtsozialversicherungsbeitrags brachte die Entscheidung des Großen Senats des BAG (Beschl. v. 07.03.2001 – GS 1/00). Danach betreffen Abzug und Abführung von Lohnbestandteilen nur die Frage, wie der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Teilerfüllung durch Abführung der Lohnsteuer und des auf den Arbeitnehmer entfallenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist im Rechtsstreit rechtzeitig einzuwenden (arg. § 767 Abs. 2 ZPO). Das durch ein rechtskräftiges Urteil zugesprochene Bruttoarbeitsentgelt kann jedoch nicht mit der Bereicherungsklage zurückgefordert werden (vgl. BGH, Urt. v. 11.03.1953 – II ZR 180/52; BGH, Urt. v. 17.02.1982 – IVb ZR 657/80). Für die Annahme von arbeitsrechtlichen Besonderheiten fehlt die normative Basis im Zivilrecht und auch im öffentlichen Recht.
Im Streitfall lag im Hinblick auf die Abführung von Lohnbestandteilen bereits eine Teilerfüllung vor, die vom Arbeitgeber in dem Rechtsstreit über die Bruttoforderung einzuwenden war. Mit dieser Einwendung war die Arbeitgeberin jedoch im vorliegenden Rechtsstreit (arg. § 767 Abs. 2 ZPO) ausgeschlossen. Dieses als ungerecht empfundene Ergebnis versuchte der 5. Senat des BAG zu vermeiden. Seine Begründung trägt jedoch nicht. Sie fällt zudem hinter die Erkenntnisse des Großen Senats zurück.