Nachfolgend ein Beitrag vom 10.8.2018 von Itzel, jurisPR-BGHZivilR 14/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Die Haftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG wegen eines amtspflichtwidrigen Verhaltens eines zur Gefahrenabwehr handelnden Amtsträgers (hier: eines Feuerwehrbeamten) ist nicht entsprechend § 680 BGB auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
2. Zum Recht der Parteien auf schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme, wenn diese im Wege der Einholung eines ausschließlich mündlich erstatteten Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen erfolgt (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 12.05.2009 – VI ZR 275/08 – NJW 2009, 2604).
A. Problemstellung
Die Entscheidung behandelt zwei Fragestellungen und Problemfelder. Zum einen geht es um die materiell-rechtliche Frage, ob bei Gefahrenabwehr durch Amtsträger (hier Feuerwehrleute) die Haftungsbeschränkung aus dem GoA-Bereich (§ 680 BGB), wonach lediglich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu Ersatzansprüchen des Geschädigten führen kann, Anwendung findet. Zum anderen werden Lösungen dargestellt, wie rechtliches Gehör bei und nach Sachverständigenanhörungen für die Parteien in ausreichendem Maße gewährt werden kann und unter welchen Voraussetzungen eine Gehörsverletzung mit der Revision noch erfolgreich rügbar ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung geltend. Um ein Übergreifen eines Brandes zu verhindern, setzte die Feuerwehr PFOS-Schaum auf dem Grundstück der Klägerin ein. Dieser Schaum gelangte zusammen mit Löschwasser in den Boden und in das Grundwasser. Die zuständige Behörde verpflichtete die Klägerin dann zu umfangreichen Maßnahmen der Sanierung ihres Grundstücks. Diese verlangt Erstattung bisher angefallener Sanierungs-Aufwendungen sowie Freistellung von künftigen Kosten. Der Einsatz des (umweltschädlichen) PFOS-Schaums sei zu Unrecht erfolgt; die Feuerwehr habe zumindest grob fahrlässig gehandelt.
Das Landgericht hatte die Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach zugesprochen und entsprechende Feststellung hinsichtlich der weiteren Schäden getroffen. Das Berufungsgericht hat einen neuen, weiteren Sachverständigen umfangreich angehört (mündliches Gutachten) und einen beantragten Schriftsatznachlass (zum Ergebnis der Beweisaufnahme) verweigert. Kurz vor dem Verkündungstermin hat die Beklagte zur Beweisaufnahme Stellung genommen, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt sowie eine weitere Äußerungsfrist von drei Wochen beantragt, da ein Privatsachverständiger hinzugezogen werden müsse. Die Kammer hat sodann den Verkündungstermin auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der beantragten Äußerungsfrist ohne weitere Bescheidung der gestellten Anträge verlegt und dann das landgerichtliche Urteil im Wesentlichen bestätigt, soweit Schäden aus dem Einsatz des PFOS-Schaums geltend gemacht wurden.
Der BGH hat die zugelassene Revision zurückgewiesen und damit die Verurteilung der Beklagten bestätigt.
Nach den Sachverständigengutachten stand fest, dass der Einsatz des PFOS-Schaums im konkreten Fall ermessensfehlerhaft und damit amtspflichtwidrig war; es standen geeignete und weniger schädliche Mittel zur Brandbekämpfung zur Verfügung. Der Fehler im Auswahlermessen (Art des Löschmitteleinsatzes) erfolgt auch fahrlässig. Unter Darstellung der divergierenden Meinungen zur Anwendbarkeit der haftungseinschränkenden Vorschrift des § 680 BGB bei Einsatz beruflicher Nothelfer kommt der BGH zu dem überzeugenden Ergebnis, dass diese in Fällen der Ausübung eines öffentlichen Amtes (zur Rettung) nicht eingreift und es damit bei der Verantwortlichkeit auch für fahrlässiges Verhalten im Rahmen von § 839 BGB bleibt, auch und gerade wenn dieses Amtsverhalten dem in § 680 BGB vorausgesetztem Schutz der Rechtsgüter dient.
Breiten Raum nehmen die Ausführungen des Revisionsgerichts zu dem vorgetragenen Verfahrensfehler (Nichtgewährung des Schriftsatznachlasses nach Beweisaufnahme) ein. Dabei stellt es zunächst die Regelfälle dar (Grundsatz: Erörterung unmittelbar nach Beweisaufnahme; Schriftsatznachlass nur bei komplexer Beweisaufnahme) und kommt für den konkreten Fall (neuer Sachverständiger, umfangreiche Anhörung) wohl zu dem Ergebnis, dass ein Schriftsatznachlass wohl zu gewähren gewesen wäre. Allerdings hat sich dieser Fehler nicht auf das Urteil ausgewirkt, da die Beklagte wegen der mehrwöchigen Verlegung des Verkündungstermins es selbst – auch ohne förmliche Bewilligung – in der Hand hatte, innerhalb der von ihr beantragten Frist weiter vorzutragen. Die Partei muss alle prozessualen Möglichkeiten nutzen, sich bei einer behaupteten Gehörsverletzung zu äußern – dies auch ohne ausdrückliche Bewilligung (eines Schriftsatznachlasses). Versäumt die Beklagte – wie im vorliegenden Fall – dies, so kann sie sich im Revisionsverfahren nicht mehr auf eine Gehörsverletzung berufen.
C. Kontext der Entscheidung
Erstaunlich ist, dass die Frage der Anwendbarkeit des § 680 BGB nicht bereits früher vom BGH entschieden wurde. Gelegenheit hierzu hätte bei der Beurteilung des (amtspflichtwidrigen) Verhaltens von Notärzten, Feuerwehrleuten und in manchen Fällen auch der Polizei bestanden. Diese Haftungsbeschränkung wurde früher wohl als eher fernliegend angesehen. Mit der aktuellen Entscheidung hat der BGH abschließende Klarheit geschaffen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Festlegungen des BGH zur Erhaltung der Gehörsrüge im Revisionsverfahren haben weitreichende Bedeutung und Folgen. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen müssen die Parteien alle Möglichkeiten zur Darlegung ihrer Auffassung, insbesondere nach Beweisaufnahmen, bis zur Entscheidungsverkündung nutzen. Dies gilt völlig unabhängig von der gerichtlichen Einräumung von Äußerungsmöglichkeiten. Versäumt die Partei dies, so kann sie sich im Revisionsverfahren nicht erfolgversprechend auf eine Gehörsverletzung berufen.
Für die Gerichte bleiben allerdings die Pflichten zur ausreichenden Gehörsgewährung bestehen. Dies bedeutet bei/nach komplexen Beweisaufnahmen, zu denen eine sofortige Stellungnahme nicht erwartet werden kann, dass eine Äußerungsfrist (ggf. auch von Amts wegen) einzuräumen ist. Die BGH-Entscheidung darf wohl nicht so verstanden werden, dass dies durch eine entsprechend lang bemessene Spruchfrist ohne formelle Einräumung einer Frist zur Stellungnahme ersetzt und umgangen werden kann.
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