Nachfolgend ein Beitrag vom 19.9.2018 von Hrube, jurisPR-VerkR 19/2018 Anm. 5
Leitsatz
Ein während der vorläufigen Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilter Führerschein berechtigt nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet.
A. Problemstellung
Ein innerhalb der EU ausgestellter Führerschein berechtigt grundsätzlich im gesamten Unionsgebiet zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Das OLG Karlsruhe hatte jedoch vor kurzem darüber zu entscheiden, ob ein im EU-Ausland erteilter Führerschein auch zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt, wenn die deutsche Fahrerlaubnis bereits vorläufig entzogen wurde.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Am 17.10.2013 wurde dem Angeklagten die deutsche Fahrerlaubnis zunächst vorläufig gemäß § 111a StPO und sodann durch Urteil vom 26.02.2014 rechtskräftig entzogen sowie eine Sperrfrist von zehn Monaten für die Wiedererteilung verhängt. Am 21.03.2015 nahm der Angeklagte mit einem PKW am Straßenverkehr teil, wobei er einen polnischen Führerschein besaß. Das AG Bad Säckingen war der Ansicht, dass ihn dieser Führerschein nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtige, weil dieser am 24.01.2014 – und somit während der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis – erteilt wurde. Der Angeklagte wurde daher gemäß § 21 StVG wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Das OLG Karlsruhe hat die Revision als unbegründet verworfen.
Nach Ansicht des OLG Karlsruhe ist die rechtliche Bewertung zutreffend, dass der polnische Führerschein den Angeklagten im Tatzeitpunkt nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigte.
Der polnische Führerschein sei zu einem Zeitpunkt erteilt worden, als dem Angeklagten die deutsche Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war. In diesem Zusammenhang sei es unerheblich, dass nach den Urteilsgründen des Amtsgerichts unklar bleibe, ob der Angeklagte zur Tatzeit seinen Wohnsitz in Deutschland oder in Polen hatte. Im erstgenannten Fall ergebe sich die fehlende Berechtigung zum Gebrauch des polnischen Führerscheins in Deutschland aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, andernfalls aus § 29 Abs. 3 Nr. 3 FeV.
Das OLG Karlsruhe führte weiterhin aus, dass die Erteilung des polnischen Führerscheins eindeutig und unzweifelhaft in Widerspruch zu Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der Dritten Führerscheinrichtlinie (RL 2006/126/EG) erfolgte und deshalb entgegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie keine Verpflichtung zur Anerkennung des Führerscheins durch die Bundesrepublik Deutschland bestehe.
C. Kontext der Entscheidung
Wie sich aus Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG ergibt, muss die Gültigkeit eines durch einen anderen EU-Staat erteilten Führerscheins grundsätzlich vorbehaltlos anerkannt werden. Eine Ausnahme liegt jedoch vor, wenn der Ausstellerstaat einen Führerschein während einer laufenden (gerichtlichen) Sperrfrist des Aufnahmemitgliedstaates erteilt hat (vgl. EuGH, Urt. v. 26.06.2008 – C-329/06; EuGH, Urt. v. 26.06.2008 – C-334/06; EuGH, Urt. v. 03.07.2008 – C-225/07). In einem derartigen Fall kann die Gültigkeit der ausländischen EU-Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV abgelehnt werden.
Zu beachten ist, dass die Vorschrift allerdings nur auf diejenigen Fälle anwendbar ist, in denen ein anderer Unionsstaat eine Fahrerlaubnis während einer noch laufenden Sperrfrist erteilt hat, weshalb die Vorschrift weitgehend europarechtswidrig ist und einer richtlinienkonformen Auslegung bedarf (Neu in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 28 FeV Rn. 57; Koehl in: Nomos Kommentar GVR, 2. Aufl. 2017, § 28 FeV Rn. 33).
Das OLG Karlsruhe stellte vorliegend fest, dass die Erteilung des polnischen Führerscheins in Widerspruch zu dem Verbot in Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der RL 2006/126/EG erfolgte und deshalb richtigerweise auch keine Verpflichtung zur Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland bestand. Nach Art. 11 Abs. 4 Satz 1 der RL 2006/126/EG ist es einem EU-Mitgliedsstaat nämlich verboten, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Von dem Verbot wird damit nicht nur die – umfassende und endgültige – Entziehung, sondern mit den Begriffen „eingeschränkt“ und „ausgesetzt“ sind auch Fälle inhaltlicher Beschränkung oder zeitlicher Gültigkeitsaufhebung erfasst (vgl. EuGH, Urt. v. 20.11.2008 – C-1/07). Das Verbot greift somit in allen Fällen, in denen die national erteilte Berechtigung ihre Gültigkeit verliert. Auch der EuGH hat bereits mehrfach deutlich gezeigt, dass die grundsätzliche Anerkennungspflicht eines ausländischen EU-Führerscheins nicht gilt, wenn dieser unter Verstoß gegen das Verbot ausgestellt wurde (vgl. EuGH, Urt. v. 21.05.2015 – C-339/14; EuGH, Urt. v. 20.11.2008 – C-1/07; EuGH, Beschl. v. 03.07.2008 – C-225/07).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Ablehnung eines im EU-Ausland ausgestellten Führerscheins stellt einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand dar. Eine derartige Ausnahme liegt wie bereits dargestellt jedoch vor, wenn der Ausstellerstaat einen Führerschein während einer laufenden (gerichtlichen) Sperrfrist des Aufnahmemitgliedstaates erteilt hat. Dabei ist vor allem zu beachten, dass ein Führerschein, der während einer Sperrfrist erteilt wurde, auch nach Ablauf der Sperrfrist nicht dazu führt, dass der Führerschein nunmehr anzuerkennen ist (EuGH, Urt. v. 03.07.2008 – C-225/07). Abzustellen ist insoweit nämlich einzig auf den Ausstellungszeitpunkt des Führerscheins und nicht, wann dieser tatsächlich benutzt wird (OLG Brandenburg, Urt. v. 17.03.2009 – 2 Ss 81/08; OLG München, Beschl. v. 23.03.2009 – 4St RR 150/08; OLG Celle, Beschl. v. 01.12.2008 – 32 Ss 193/08; OLG Jena, Urt. v. 01.04.2009 – 1 Ss 164/08).
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