Nachfolgend ein Beitrag vom 17.1.2017 von Viefhues, jurisPR-FamR 1/2017 Anm. 6

Leitsätze

1. Begehrt der Unterhaltspflichtige die Herabsetzung von einseitig tituliertem Unterhalt, muss er neben seinen aktuellen Einkommensverhältnissen auch diejenigen nach Grund und Höhe darlegen (§ 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG), die ihn zur Errichtung der vollstreckbaren Urkunde veranlasst hatten, wie auch die Gründe dafür, dass der Unterhaltsberechtigte die Einkommensminderung durch Unterhaltskürzungen nunmehr nach § 242 BGB mittragen soll. Die Grundsätze des Fehlens oder der Änderung der Geschäftsgrundlage sind hier, da es an einer solchen fehlt, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (vgl. Wendl/Schmitz, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 10 Rn. 280; Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl., § 239 Rn. 26b, jeweils m.w.N.).
2. Ein etwaiger Verstoß eines Bevollmächtigten gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BRAO lässt die Wirksamkeit seiner Rechtshandlungen (vgl. §§ 114 Abs. 1 FamFG, 78 ZPO) unberührt (vgl. Zuck in: Gaier/Wolf/Göcken, anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 3 BRAO Rn. 36). Die Erteilung der Prozessvollmacht ist als abstrakte Prozesshandlung im weiteren Sinne grundsätzlich nicht abhängig vom Bestand eines (wirksamen) Grundverhältnisses (vgl. BGH, NJW 1993, 1926; OLG Hamm, NJW 1992, 1174, 1175). Daher berührt ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO) oder selbst die Versagung der Berufstätigkeit (§ 45 BRAO) weder die Wirksamkeit der Prozessvollmacht noch – entsprechend §§ 114a Abs. 2, 155 Abs. 5 BRAO – der vom Bevollmächtigten namens der Partei vorgenommenen Prozess- oder Verfahrenshandlungen (vgl. BeckOK ZPO/Piekenbrock, ZPO, § 80 Rn. 8 m.w.N.).
3. Fortbildungen und Umschulungen eines Unterhaltspflichtigen, die mit verringerten Einkünften oder einem Wegfall der Leistungsfähigkeit verbunden sind, sind vom volljährigen Kind regelmäßig hinzunehmen, wenn die Arbeitsagentur die Fortbildung oder Umschulung zur Vermeidung des Verlustes des Arbeitsplatzes oder bei Arbeitslosigkeit empfiehlt und finanziert (vgl. Ehinger in: Ehinger/Griesche/Rasch, Handbuch Unterhaltsrecht, 7. Aufl., B, Rn. 48).
4. Während einer laufenden Umschulungsmaßnahme besteht regelmäßig keine Pflicht zur weiteren Erwerbstätigkeit, etwa durch Nebentätigkeit (vgl. Viefhues in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 1603 BGB, Rn. 291 m.w.N.).
5. Ein Zusammenleben der Eltern nach Titulierung von Kindesunterhalt nimmt dem in die Zukunft gerichteten Titel weder seine Vollstreckbarkeit, noch lässt es den titulierten Unterhaltsanspruch für die Zukunft entfallen (vgl. BGH, FamRZ 1997, 281 Rn. 14).
6. In Ansehung weiterer Unterhaltsberechtigter muss der Unterhaltspflichtige darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er tatsächlich an vor- oder gleichrangige Berechtigte leistet und er deshalb nicht mehr ausreichend leistungsfähig ist (vgl. Viefhues in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 1609 BGB, Rn. 74 m.w.N.).

A. Problemstellung

In der Praxis wird vielfach zur Zeit der Minderjährigkeit des Kindes der zu zahlende Mindestunterhalt durch eine kostenfreie Jugendamtsurkunde tituliert. Wird das Kind volljährig, können in der Praxis verschiedene Probleme auftreten.
Im vom OLG Brandenburg entschiedenen Fall begehrt der Kindesvater gegenüber seiner inzwischen volljährig gewordenen Tochter den Wegfall seiner in einer Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltspflicht insbesondere im Hinblick auf eine zwischenzeitlich durchgeführte, aber erfolglos abgeschlossene Ausbildung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Abänderungsantrag sei zulässig, § 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
Weil die einseitig erstellte Jugendamtsurkunde regelmäßig zugleich ein Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB beinhalte, müsse eine spätere Herabsetzung der Unterhaltspflicht die Bindungswirkung dieses Schuldanerkenntnisses beachten (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2011 – XII ZR 70/09 Rn. 26 m.w.N. – FamRZ 2011, 1041). Der Unterhaltspflichtige, der eine Herabsetzung des einseitig titulierten Unterhalts begehre, müsse deshalb die Änderungsvoraussetzungen vortragen, also neben den aktuellen Einkommensverhältnissen auch diejenigen nach Grund und Höhe darlegen (§ 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG), die ihn zur Errichtung der vollstreckbaren Urkunde veranlasst hatten, wie auch die Gründe dafür, dass der Unterhaltsberechtigte die Einkommensminderung durch Unterhaltskürzungen nunmehr nach § 242 BGB mittragen soll.
Der Abänderungsantrag sei weitgehend begründet (§§ 239 Abs. 2 FamFG, 242 BGB), da sich der Antragsteller an seinem Schuldanerkenntnis, das im Zweifel begrenzt sei auf die Verpflichtung, den gesetzlich geschuldeten Unterhalt zu leisten, nach § 242 BGB nicht mehr festhalten lassen müsse.
Ein tatsächliches Einkommen des Antragstellers liege unterhalb seines Selbstbehaltes.
Bis Februar 2016 sei ihm auch kein fiktives Einkommen zuzurechnen (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB). Fortbildungen und Umschulungen eines Unterhaltspflichtigen, die mit verringerten Einkünften oder einem Wegfall der Leistungsfähigkeit verbunden seien, seien vom volljährigen Kind regelmäßig hinzunehmen, wenn die Arbeitsagentur die Fortbildung oder Umschulung zur Vermeidung des Verlustes des Arbeitsplatzes oder bei Arbeitslosigkeit empfehle und finanziere, wie hier.
Die Aufgabe seiner Tätigkeit als Ingenieur und sein beruflicher Wechsel 2001 in die Selbstständigkeit im Versicherungswesen seien dem Antragsteller nicht als leichtfertig vorzuhalten, da sie im Einvernehmen mit der Kindesmutter und innerhalb einer insoweit gemeinsamen Lebensplanung erfolgt seien. Das Gleiche gelte bezüglich seines sich nach Jahren wegen fehlender Verkaufserfolge abzeichnenden beruflichen Niedergangs als Selbstständiger und seinen anschließenden abhängigen Tätigkeiten in verschiedenen Callcentern, zuletzt schließlich als Pizzabote und Lagerarbeiter.
Reale Erwerbschancen als Ingenieur waren dem 1963 geborenen Antragsteller nach 14 Jahren beruflicher Untätigkeit im Bausektor inzwischen verschlossen, unter anderem wegen veralteten Wissens, vorangeschrittener Bautechnik und neuerer Materialentwicklungen.
So habe ihn das Jobcenter lediglich als vermittelbar für Callcenter und Lagerarbeiter eingestuft. Im Hinblick auf sein hier erzieltes Einkommen, seiner sozialmedizinischen Epikrise und einer Arbeitsperspektive im Niedriglohnbereich, der bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro/pro Stunde und 40 Wochenstunden bei der Steuerklasse 1 ihm nicht einmal ein Nettoeinkommen oberhalb seines notwendigen Selbstbehaltes ermögliche, sei es ihm, nachdem er abermals ohne Arbeitsstelle war, zuzubilligen gewesen, wenn nicht sogar abzuverlangen, berufsfördernde Maßnahmen mitzumachen und an der ihm nach § 45 SGB III offenstehenden Maßnahme teilzunehmen. Der Arbeitslose müsse auch seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt aktiv steigern. Die Ausbildung sei für den Antragsteller prognostisch in nur neun Monaten zu bewerkstelligen und bringe erhebliche und nachhaltig verbesserte Einkommensperspektiven mit sich, von denen auch die Antragsgegnerin deutlich profitieren würde.
Während einer laufenden Umschulungsmaßnahme bestehe regelmäßig keine Pflicht zur weiteren Erwerbstätigkeit, etwa durch Nebentätigkeit schon wegen des substantiiert vorgebrachten zusätzlichen erheblichen Lernaufwandes außerhalb der regulären Unterrichtszeiten.
Dass dieser Ausbildungsversuch letztlich mit dem Nichtbestehen einer Wiederholungsprüfung im Januar 2016 scheiterte, begründe noch keine rückwirkende fiktive Leistungsfähigkeit.

C. Kontext der Entscheidung

Die Erwerbsobliegenheit ist gegenüber volljährigen Kindern schwächer ausgestaltet als gegenüber minderjährigen Kindern.
Beim minderjährigen Kind muss der unterhaltspflichtige Elternteil alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die eigene Aus- oder Weiterbildung des Unterhaltspflichtigen steht daher grundsätzlich hinter dem Unterhaltsinteresse eines minderjährigen Kindes zurück.
Dagegen ist einer Erstausbildung regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB der Vorrang einzuräumen. Denn die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich vorrangig befriedigen darf. Es ist jedoch immer im konkreten Einzelfall insbesondere zu prüfen, warum der Unterhaltspflichtige gerade jetzt seine Erstausbildung durchführt und wie sich dies langfristig auf seine Leistungsfähigkeit für den Kindesunterhalt auswirkt (BGH, Urt. v. 04.05.2011 – XII ZR 70/09 – FamRZ 2011, 1041; dazu Menne, FF 2011, 388).
Gegenüber dem volljährigen Kind ist der unterhaltspflichtige Elternteil dagegen in größerem Umfang berechtigt, eine Ausbildung zu absolvieren.

D. Auswirkungen für die Praxis

Umgekehrt kann es auch eine Verpflichtung geben, eine Ausbildung zu absolvieren. Dies ist dann der Fall, wenn kein ausreichendes Einkommen erzielt wird und unter den gegebenen Umständen auch nicht erzielt werden kann. Denn die Rechtsprechung verlangt vom Unterhaltspflichtigen, dass er Aktivitäten entfaltet, seine Defizite und Einschränkungen, die sich auf seine beruflichen Möglichkeiten auswirken, abzubauen und so seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern (dazu Viefhues in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 1603 BGB, Rn. 509 f.). Dies bedeutet bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Durchführung der notwendigen medizinischen Behandlungsschritte, bei fehlenden Deutschkenntnissen die Absolvierung von Sprachkursen (BGH, Beschl. v. 22.01.2014 – XII ZB 185/12 – FamRZ 2014, 637), bei anderen beruflichen Defiziten die Durchführung von Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Entsprechende Maßnahmen müssen substantiiert vorgetragen werden, um den Vorwurf der Obliegenheitsverletzung zu entkräften.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das OLG Brandenburg hat noch praxisrelevante verfahrensrechtliche Feststellungen getroffen. Der Anwalt, der bisher das minderjährige Kind vertreten hat, ist in aller Regel aus berufsrechtlichen Gründen gehindert, seine Tätigkeit nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes fortzusetzen (dazu Viefhues, FuR 2014, 66). Ein etwaiger Verstoß eines Bevollmächtigten gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BRAO lässt jedoch die Wirksamkeit seiner Rechtshandlungen unberührt. Die Antragsgegnerin ist daher durch ihre Verfahrensbevollmächtigte wirksam vertreten, § 114 Abs. 1 FamFG, § 78 ZPO. Die Erteilung der Prozessvollmacht ist als abstrakte Prozesshandlung im weiteren Sinne grundsätzlich nicht abhängig vom Bestand eines (wirksamen) Grundverhältnisses. Daher berührt ein Verstoß des Rechtsanwaltes gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO) oder selbst die Versagung der Berufstätigkeit (§ 45 BRAO) weder die Wirksamkeit der Prozessvollmacht noch – entsprechend den §§ 114a Abs. 2, 155 Abs. 5 BRAO – der vom Bevollmächtigten namens der Partei vorgenommenen Prozess- oder Verfahrenshandlungen.