Nachfolgend ein Beitrag vom 28.10.2016 von Hippeli, jurisPR-HaGesR 10/2016 Anm. 2

Leitsatz

Zu der Frage, ob ein Gesellschafter einer GmbH in einer Gesellschafterversammlung durch eine treuwidrige Stimmabgabe das Abberufen des Geschäftsführers der GmbH verhindert hat. Zu der Frage, ob eine behauptete Falschaussage des Geschäftsführers sowie weitere, vom klagenden Gesellschafter vorgetragene Gründe einen wichtigen Grund für die Abberufung des Geschäftsführers darstellen.

A. Problemstellung

Wieder einmal ging es um den Familienstreit beim Fleischriesen Tönnies: Erst in 2015 musste sich das OLG Hamm mit der Auslegung von satzungsändernden Gesellschafterbeschlüssen und der vermeintlichen Einräumung eines doppelten Stimmrechts befassen (OLG Hamm, Urt. v. 09.03.2015 – I-8 U 78/14, 8 U 78/14 – ZIP 2015, 969, mit Anm. Podewils, jurisPR-HaGesR 10/2015 Anm. 2). Seinerzeit erlitt Patriarch Clemens Tönnies eine Niederlage, als das OLG Hamm feststellte, dass ihm kein doppeltes Stimmrecht bezogen auf die Tönnies Holding GmbH & Co. KG und deren Komplementär-GmbH zusteht.
Nun also die nächste Runde im Streit zwischen Clemens Tönnies und seinem Neffen Robert Tönnies, diesmal aufgehängt am Stimmverhalten bei der Beschlussfassung in der Komplementär-GmbH. Den Schwerpunkt bildete abstrakt betrachtet die Frage danach, ob ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht einschlägig ist, wenn ein Gesellschafter nicht für die Abberufung des Geschäftsführers stimmt, die anderweitig im Gesellschafterkreis für erforderlich gehalten wird. Anders gewendet ging es – wieder einmal – darum, ab wann ein GmbH-Gesellschafter in seinem Stimmverhalten nicht mehr frei ist und einer positiven Stimmpflicht/Stimmbindung unterliegt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Kläger war diesmal Robert Tönnies, der zusammen mit seinem Onkel jeweils zu 50% (auch) an der nun beklagten GmbH beteiligt ist. Die GmbH ist als Komplementärin der Tönnies Holding GmbH & Co. KG Konzernobergesellschaft des Tönnies-Konzerns.
Streitbefangen war nun die (versuchte) Abberufung des Geschäftsführers der GmbH. Der Kläger war der Ansicht, der GmbH-Geschäftsführer habe in einem anderweitigen Verfahren des ganzheitlichen Gesellschafterstreits bei Tönnies zu seinen Lasten vorsätzlich falsch ausgesagt. Dort ging es um die Schenkung von Gesellschaftsanteilen von Robert Tönnies an seinen Onkel im Jahr 2009 bzw. den später erklärten Widerruf dieser Schenkung. Auf einer vom Kläger forcierten Gesellschafterversammlung der Beklagten im Jahr 2015 verlangte dieser die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers. Hierfür stimmte nur er selbst, der Vertreter von Clemens Tönnies stimmte dagegen.
Per Klage vor dem Landgericht begehrte der Kläger sodann die Feststellung, dass der Abberufungsbeschluss wirksam gefasst worden sei. Im Wesentlichen stellte er darauf ab, dass die Stimmabgabe für Clemens Tönnies treuwidrig und damit nichtig gewesen sei.
Das Landgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, dass „eine Stimmpflicht (nur) ausnahmsweise zu bejahen ist, wenn ein bestimmter Beschluss im Interesse der Gesellschaft oder Mitgesellschafter objektiv unabweisbar notwendig und subjektiv auch für den widerstrebenden Gesellschafter zumutbar ist … Aber auch bei Einzelmaßnahmen kann es bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Stimmpflicht geben, was auch für ein Vorgehen gegen einen Geschäftsführer gilt, insbesondere dessen Abberufung, wenn diese für den Bestand der Gesellschaft … unabdingbar ist …“.
Dem hat sich nun auch das OLG Hamm angeschlossen. Es erachtete die Berufung als unbegründet. Die begehrte Feststellung könne nicht getroffen werden, da letztlich für das Zustandekommen des in Rede stehenden Beschlusses keine Mehrheit bestanden habe. Schließlich hätten bei einer paritätischen Beteiligung ohne eine satzungsrechtliche Sonderregelung beide Gesellschafter für den fraglichen Beschluss stimmen müssen, was aber nicht der Fall gewesen sei. Auch könne die Versagung der Zustimmung seitens des Vertreters von Clemens Tönnies nicht unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht anders betrachtet werden.
Im Zusammenhang mit der Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers gebiete die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eine Zustimmung aller Gesellschafter nur dann, wenn in dessen Person wichtige Gründe vorliegen, die sein Verbleiben in dieser Stellung für die Gesellschaft unzumutbar machten. Daran gemessen könne vorliegend aber von keinem Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gesprochen werden. Als wichtiger Grund habe vorliegend das spezifische Aussageverhalten des GmbH-Geschäftsführers in einem gerichtlichen Verfahren in Rede gestanden. Dieses sei grundsätzlich zwar auf Rechtsebene als wichtiger Grund für eine Abberufung geeignet, auf der Tatsachenebene habe sich dieser Vorwurf vorliegend aber nicht erhärtet. Zu sehen sei, dass ein Verbleib als Organ in einer Gesellschaft in der Tat unzumutbar ist, wenn dieses Organ durch eine vorsätzliche Falschaussage in dienstlicher Eigenschaft einen Gesellschafterstreit zugunsten einer Partei beeinflusst hat. Denn dann sei auch gerade mit Blick auf die Gesellschaft das Vertrauensverhältnis gestört. Sämtliche Umstände, die einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht auch bei der Stimmabgabe begründen können, seien von demjenigen darzulegen und ggf. zu beweisen, der sich hierauf berufe. Dies sei vorliegend der Kläger, der diesen Nachweis aber nicht habe erbringen können. Bereits das Landgericht habe festgestellt, dass eine vorsätzliche Falschaussage des GmbH-Geschäftsführers nicht erwiesen sei. Auch nach dort fehlerhaft unterbliebener und nunmehr nachgeholter Einvernahme des GmbH-Geschäftsführers müsse von einer Beweisfälligkeit des Klägers ausgegangen werden, insbesondere habe der GmbH-Geschäftsführer eine vorsätzlich falsche Aussage im Rahmen dieser Vernehmung bestritten.
Letzten Endes könne somit allenfalls von einem bloßen Verdacht einer vorsätzlichen Falschaussage gesprochen werden. Zwar seien in diesem Zusammenhang womöglich die Grundsätze zur Verdachtskündigung entsprechend heranziehbar, so dass bei dringendem Verdacht der vorsätzlichen Falschaussage eine Abberufung in Betracht komme. Allerdings reichten diese Umstände nicht aus, um hierbei dann auch von einer Treuwidrigkeit ausgehen zu können, wenn ein Gesellschafter in dieser Situation einer Abberufung nicht zustimme. Zudem sei zu sehen, dass vorliegend wohl auch ohnehin nicht von einem dringenden Verdacht ausgegangen werden könne.

C. Kontext der Entscheidung

In 2016 ist dies nun die vierte Entscheidung, in dem die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in der GmbH besonders im Fokus stand. Zunächst entschied das OLG Hamburg, dass die Ausübung des Anfechtungsrechts im Hinblick auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung treuwidrig ist, wenn es den betroffenen Gesellschaftern im Zusammenwirken mit dem Versammlungsleiter alleine darauf ankommt, die Beschlussfassung über Anträge des Minderheitsgesellschafters zu verhindern (OLG Hamburg, Urt. v. 22.01.2016 – 11 U 287/14). Sodann entschied der BGH am 12.04.2016 in einem vielbeachteten Urteil über die Grenzen der Treuepflicht eines Gesellschafters hinsichtlich Zustimmung zu Beschlussanträgen über Standortmaßnahmen (BGH, Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14 – WM 2016, 1124, mit Anm. König, jurisPR-HaGesR 8/2016 Anm. 3). Schließlich kam es am 23.06.2016 anlässlich der Frage der Zustimmungspflicht eines Gesellschafters zum Beschluss zur Suche eines neuen Geschäftsführers zu einer weiteren Entscheidung seitens des OLG München (Urt. v. 23.06.2016 – 23 U 4531/15 – DB 2016, 1685, mit Anm. Hippeli, jurisPR-HaGesR 8/2016 Anm. 2).
Den Ausführungen des Oberlandesgerichts zur positiven Stimmpflicht im Fall der Abberufung des GmbH-Geschäftsführers ist vorbehaltlos zuzustimmen. Im Wesentlichen verweist das Oberlandesgericht für diesen Spezialfall auf zwei ältere BGH-Entscheidungen (BGH, Urt. v. 09.11.1987 – II ZR 100/87 – WM 1988, 23 und BGH, Urt. v. 19.11.1990 – II ZR 88/89 – WM 1991, 97), die mangels neuerer Entscheidungen in diesem Kontext nach wie vor Gültigkeitswert haben. Im erstgenannten Urteil heißt es dazu:
„Der Geschäftsführer einer Gesellschaft … hat kein Recht, in diesem Amt zu verbleiben, wenn er für die Gesellschaft untragbar geworden ist und deshalb in seiner Person ein wichtiger Grund vorliegt, der seine Abberufung rechtfertigt … Liegt ein wichtiger Grund vor, so hat aber auch kein (Mehrheits-)Gesellschafter das Recht, den untragbaren Geschäftsführer im Amt zu halten; kommt es auf die Stimme des Gesellschafters an, weil die Abberufung aus wichtigem Grund nur einstimmig oder mit einer bestimmten Mehrheit des Gesellschaftskapitals beschlossen werden kann, so gebietet jenem in der Regel seine gesellschaftliche Treuepflicht, der Ablösung zuzustimmen.“
Und im zweitgenannten Urteil heißt es:
„Nach der Rechtsprechung des Senats gebietet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht allen Gesellschaftern, der Abberufung eines Geschäftsführers zuzustimmen, in dessen Person wichtige Gründe vorliegen, die sein Verbleiben in der Organstellung für die Gesellschaft unzumutbar machen … Stimmen, die in einer Gesellschafterversammlung trotz Vorliegens wichtiger Gründe gleichwohl für ein Verbleiben des Geschäftsführers im Amt abgegeben werden, können rechtsmissbräuchlich und deshalb nichtig sein“.
Legt man diese Maßstäbe an, heißt das: Die Stimmen aus den Geschäftsanteilen von Clemens Tönnies hätten nur dann im Hinblick auf eine Abberufungszustimmung ausgeübt werden müssen, wenn der wichtige Grund in der Person des GmbH-Geschäftsführers auch tatsächlich vorgelegen hätte. Da dies nicht erweislich war, gab es keine positive Stimmpflicht und damit auch keinen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.
Auch wenn man die aktuellen Gesamtmaßstäbe des BGH für positive Stimmpflichten auf Basis der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (BGH, Urt. v. 12.04.2016 – II ZR 275/14: „Aufgrund der Treuepflicht muss der Gesellschafter einer Maßnahme zustimmen, wenn sie zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert“) an den Fall anlegt, ergibt sich nichts anderes. Wenn der in der Person des Abzuberufenden liegende wichtige Grund für eine Abberufung nicht mit Sicherheit besteht, kann schwerlich von einer objektiv unabweisbar erforderlichen Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters gesprochen werden. Daher galt der Grundsatz, wonach Gesellschafter in ihrem Abstimmungsverhalten bei der Beschlussfassung in Gesellschafterversammlungen frei sind, sofern nicht ausnahmsweise eine Verpflichtung zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten besteht (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 616) vorliegend in der Weise, dass Clemens Tönnies nach seinem Belieben auch mit Nein stimmen konnte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Ein Fall, der insbesondere im Tatsächlichen interessant ist. Schließlich gibt der Sachverhalt des Urteils einige pikante Details des Gesellschafterstreits bei Tönnies preis.
Rechtlich betrachtet wird lediglich eine knapp 30jährige Praxis eines ausgestanzten Spezialfalls der positiven Stimmpflichten auf Basis der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, zu der es seit 1990 soweit ersichtlich keinerlei Judikate mehr gab, fortgeschrieben.