Nachfolgend ein Beitrag vom 8.8.2018 von Hrube, jurisPR-VerkR 16/2018 Anm. 4

Orientierungssatz

Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs hinnehmen.

A. Problemstellung

Bei Verkehrsverstößen drohen Punkte im Fahreignungsregister. Je nach Punktestand bringt dies entsprechende Konsequenzen – von der bloßen Vormerkung bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis – mit sich. Das VG Gelsenkirchen hatte sich mit der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen zu hohen Punktestandes zu befassen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit Ordnungsverfügung vom 21.12.2017 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auf Grundlage von § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Zum maßgeblichen Zeitpunkt habe der Punktestand des Antragstellers im Fahreignungsregister aufgrund diverser rechtskräftig geahndeter Verkehrsverstöße im Zeitraum von Mai 2014 bis Oktober 2016 insgesamt acht Punkte betragen, weshalb er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise.
Nach Auffassung des Gerichts seien die Eintragungen im maßgeblichen Zeitpunkt verwertbar, da deren Tilgungsreife erst zeitlich danach eintrete. Die Tilgungsfrist zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt, hier im Oktober 2016, sei noch nicht abgelaufen gewesen, da sich die Tilgungsfrist für die vom Antragsteller begangenen Verstöße vorliegend nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a StVG (zweieinhalb Jahre nach Rechtskraft) und § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a StVG (fünf Jahre nach Rechtskraft) richte. Die Tilgungsreife für die älteste Eintragung von Mai 2014 (Rechtskraft im Juli 2014) sei somit im Januar 2017 und damit erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Tilgungsfrist (Oktober 2016) eingetreten. Das Gericht merkte zudem an, dass die Eintragungen von Mai 2014 und August 2014 zwar im Januar 2017 bzw. Mai 2017 tilgungsreif geworden seien. Aufgrund von § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG seien sie jedoch auch im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung vom 21.12.2017 noch verwertbar gewesen, da sie sich noch in der – hier einschlägigen – einjährigen Überliegefrist (§§ 29 Abs. 6 Satz 2 StVG, 28 Abs. 3 Nr. 3a, bb StVG) befänden und damit noch nicht zu löschen gewesen seien.
Mit der vorherigen schriftlichen Ermahnung bei einem Punktestand von fünf Punkten (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und dem Hinweis der Teilnahme an einem freiwilligen Fahreignungsseminar sowie der folgenden Verwarnung bei dem Punktestand von sechs Punkten (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) sei auch das Stufenverfahren nach § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Ein Punktabzug (von acht auf sieben Punkte) gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG komme daher nicht in Betracht. Das Gericht kam somit zu dem Ergebnis, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend rechtmäßig erfolgt sei.

C. Kontext der Entscheidung

Mit dem im Mai 2014 in Kraft getretenen neue Bewertungssystem wurde das Flensburger Verkehrszentralregister durch das Fahreignungsregister (FAER) abgelöst. Je nach Art und Schwere der Zuwiderhandlung werden Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten mit einem bis drei Punkten bewertet und nach bestimmten Fristen gelöscht (zu häufigen Fallgestaltungen und Tatbeständen im Bußgeldkatalog sowie Lösungsmöglichkeiten aus Verteidigersicht: Fromm, SVR 2016, 81-87). Die Tilgungsfrist knüpft dabei gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG an die Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit an und beträgt je nach Verstoß zweieinhalb, fünf oder zehn Jahre nach Rechtskraft (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-3 StVG). Eine Überprüfung, ob rechtskräftige Entscheidungen inhaltlich rechtmäßig sind, findet im Entziehungsverfahren grundsätzlich nicht statt (VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 22.02.2018 – 7 L 3264/17; VG München, Beschl. v. 16.03.2018 – M 6 S 17.5545).
Bei einem Punktestand von acht oder mehr Punkten im Fahreignungsregister gilt ein Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist ihm die Fahrerlaubnis damit zwingend zu entziehen; ein Ermessen steht der Behörde nicht zu (dazu auch VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 22.02.2018 – 7 L 3510/17; ausführlich zur Fahrerlaubnisentziehung wegen des Erreichens der Acht-Punkte-Grenze: Fromm, DAR 2017, 234-238).

D. Auswirkungen für die Praxis

Soll die Fahrerlaubnis aufgrund eines Punktestandes von mindestens acht Punkten entzogen werden, muss die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der Stufenregelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1-3 StVG den Fahrerlaubnisinhaber zuvor bei vier oder fünf Punkten schriftlich ermahnt und bei sechs oder sieben Punkten schriftlich verwarnt haben. Wurde dies unterlassen, erfolgt nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG die Reduzierung von sechs auf fünf Punkte bzw. von acht auf sieben Punkte. Durch die rechtzeitige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar (§ 4a StVG) kann der Punktestand bei einem Stand von ein bis fünf Punkten einmal innerhalb von fünf Jahren um jeweils einen Punkt reduziert werden. Um über den eigenen aktuellen Punktestand informiert zu sein, kann dieser unentgeltlich beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg persönlich vor Ort, per Antrag auf dem Postweg oder online in Erfahrung gebracht werden.

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen zu hohen Punktestandes
Andrea KahleRechtsanwältin

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