Nachfolgend ein Beitrag vom 14.2.2019 von Günther, jurisPR-VersR 2/2019 Anm. 1
Leitsatz
Gewährt ein Vertrag über eine Gebäudeversicherung Versicherungsschutz für den Fall des „Rohrbruchs“, d.h. „für ein meist punktuelles Ereignis“ (BGH, Urt. v. 12.07.2017 – IV ZR 151/15 – VersR 2017, 1076), so tritt der Versicherungsfall nicht erst mit Auftreten oder Sichtbarwerden durch den Rohrbruch hervorgerufener Wasserschäden ein, sondern bereits mit der Schädigung des Rohres, die zu dem Wasseraustritt geführt hat. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass diese Schädigung schon vor Abschluss des Vertrages vorlag, muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass der Versicherungsfall in den Haftungszeitraum fällt.
A. Problemstellung
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Versicherungsfall „Rohrbruch“ in der Wohngebäudeversicherung. Das OLG Saarbrücken hatte für ein Schadensbild unterhalb der Kellerbodenplatte eines versicherten Gebäudes zu entscheiden, ob und insbesondere zu welchem Zeitpunkt ein bedingungsgemäßer Rohrbruch eingetreten ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Zwischen den Parteien besteht ein Versicherungsvertrag über eine Wohngebäudeversicherung für ein vom Versicherungsnehmer mit notariellem Vertrag vom 04.09.1974 erworbenes Anwesen mit zu diesem Zeitpunkt im Rohbau einschließlich Dach erstelltem Wohnhaus. Versicherungsbeginn war der 01.01.1975.
Am 03.01.2013 kam es zu einem Wassereintritt im Keller des versicherten Gebäudes. Der Kläger beauftragte die Firma A. mit der Untersuchung der Schadensursache. Da ein Eindringen in die Rohre mit einer Kamera nicht möglich war, wurde der Boden des im Keller befindlichen Waschraumes aufgestemmt und das darin verlegte Rohr aufgeschnitten. Am 09.01.2013 wurde der Beklagten ein Rohrbruch an einem Abflussrohr des versicherten Gebäudes angezeigt. Ausweislich einer vom Versicherungsnehmer vorgelegten Rechnung wurden die Sanierungsarbeiten in der Zeit vom 07. bis 10.01.2013 durchgeführt. Der von dem Versicherer beauftragte Schadensregulierer besichtigte die Örtlichkeiten am 22.01.2013. Zu diesem Zeitpunkt waren die Reparaturarbeiten an der Rohrleitung bereits vollständig durchgeführt.
Der Versicherer lehnte die Deckung ab. Das LG Saarbrücken gab der Klage statt.
II. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht mit der erforderlichen hinreichenden Gewissheit fest (§ 286 ZPO), dass der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall – Rohrbruch – in versicherter Zeit eingetreten ist und damit unter die vertragliche Deckung fällt.
Zwar sei der vom Versicherungsnehmer behauptete Versicherungsfall – ein Rohrbruch gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 4 Abs. 2 Buchst. a Nr. 1 VGB – eingetreten. Dem Einwand des Versicherers, das Schadensbild sei kein bedingungsgemäßer Rohrbruch, weil die abgebildeten Beschädigungen erst im Rahmen der Arbeiten zur Beseitigung der Verstopfung entstanden seien, ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, wonach ein Schadensbild wie das vorliegende (Scherbenbildung mit eventuell fehlenden Wandungsteilen) nicht durch den Ausbau des Rohres entstanden sein könne, sondern vielmehr Indiz einer nicht fachgerechten Verlegung mit Überlastung des Rohres bei der Grabenverdichtung sei, nicht gefolgt.
Es stehe jedoch nicht mit der notwendigen Gewissheit fest, dass sich dieser Versicherungsfall in versicherter Zeit – nach Abschluss des Versicherungsvertrages – ereignet hat.
Die Rohrbruchversicherung gewährt nach Maßgabe der Bedingungen Versicherungsschutz u.a. für den Fall des „Rohrbruchs“ (§ 1 Abs. 1 Buchst. b VGB) und damit „für ein meist punktuelles Ereignis“ (BGH, Urt. v. 12.07.2017 – IV ZR 151/15 – VersR 2017, 1076). Dieser Versicherungsfall tritt bereits in dem Zeitpunkt ein, in dem sich eine versicherte Gefahr an versicherten Sachen zu verwirklichen beginnt (§ 6 Abs. 2 VGB). Anders als im Falle eines Leitungswasserschadens, der eine Gefahr beschreibt, die sich regelmäßig über einen oft längeren Zeitraum erstrecken kann und bei dem sich der Schaden mit zunehmender Dauer infolge ständig nachlaufenden Wassers vergrößert, sei der Versicherungsfall „Rohrbruch“ nicht erst mit Auftreten oder Sichtbarwerden durch den Rohrbruch hervorgerufener Wasserschäden, sondern bereits mit der Schädigung des Rohres, die zu dem Wasseraustritt geführt hat, eingetreten, d.h. mit dem Rohrbruch als solchem. Zu diesem Zeitpunkt muss folglich der materielle Versicherungsschutz bereits bestanden haben.
Dass dieses versicherte Ereignis – der Rohrbruch – in den versicherten Zeitraum des Vertrages fällt, hätte nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger beweisen müssen, und zwar gemäß § 286 ZPO mit einem solchen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Das sei dem Versicherungsnehmer vorliegend nicht gelungen. Dazu führt das OLG Saarbrücken aus, der Sachverständige habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass der von ihm festgestellte Rohrbruch bereits seit der Errichtung des Gebäudes bestanden hat. Das Schadensbild sei ein Indiz für eine nicht fachgerechte Verlegung mit Überlastung des Rohres bei der Grabenverdichtung. Die Rohrfunktion bleibe aber zunächst erhalten, die Scherben würden erst mit der Zeit ausgespült, erst dadurch dringe nach und nach Material ein, was letztlich zur Verstopfung führe. Dieser Prozess könne durchaus von erheblicher Dauer sein und wie hier auch erst nach 37 Jahren erkennbar werden.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil des OLG Saarbrücken ist eines der ersten Urteile im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 12.07.2017 zum Versicherungsfall in der Leitungswasserversicherung. Dort vertritt der BGH die „Theorie des letzten Tropfens“, vom Verfasser „Erstentdeckertheorie“ genannt (Günther, VersR 2017, 1435; Günther, jurisPR-VersR 11/2015 Anm. 1). Diese ist ein Beleg für den Spruch „hard cases make bad law“.
I. Zum einen sind viele Folgefragen völlig ungeklärt, beginnend damit, ob es auf die Person des „Entdeckers“ ankommt. Ist nur die eigene „Entdeckung“ des Versicherungsnehmers und von Personen maßgeblich, deren Kenntnis sich der Versicherungsnehmer versicherungsvertragsrechtlich zurechnen lassen muss (Mitversicherte, Wissensvertreter, Repräsentanten)? Dies kann nicht richtig sein, da der Versicherungsfall als objektive Risikobeschreibung zu unterscheiden ist von subjektiven Risikoausschlüssen (z B. §§ 23, 28, 81 VVG), bei denen diese Zurechnungsbeschränkungen zu beachten sind.
II. Auch ist ungeklärt, ob es einen „subjektiven“ oder „objektiven“ Begriff des „Erstentdeckers“ gibt. Kommt es auf die objektive Möglichkeit der Entdeckung an, oder muss der „Erstentdecker“ den Versicherungsfall auch tatsächlich, wenn ja, wie und mit welchen Rückschlüssen, entdeckt haben? Manipulationsmöglichkeiten über ein genehmes Datum einer vorgeblichen „Erstentdeckung“ drängen sich auf.
III. Ferner führt die „Erstentdeckertheorie“ des BGH bei erst jüngst zurückliegendem Versichererwechsel zu geradezu willkürlichen Ergebnissen. Denn wenn z.B. ein Versichererwechsel zum 01.01. erfolgt und der Versicherungsnehmer entdeckt angeblich erstmalig den Wasserschaden am 02.01., wäre der Versicherer, bei dem zu diesem Zeitpunkt Deckung bestand, zu 100% in der Deckung, auch wenn klar ist, dass 99,99% des Schadens in den Deckungsraum des Vorversicherers fällt (dabei sind diese Fälle nicht fiktiv, in einem verglichenen Verfahren bei dem LG Köln, 20 O 343/17, soll der Schaden am 01.09.2016 entdeckt worden sein, und an dem Tag endete die Deckung bei dem Vorversicherer um 12:00 Uhr und beim Folgeversicherer bestand sie ab dem 01.09.2016 00:00 Uhr, so dass zumindest für einen Zeitraum von zwölf Stunden eine Doppelversicherung bestand und es sogar um die genaue Uhrzeit der angeblichen „Erstentdeckung“ ging).
IV. Die Behandlung von deckungslosen Zeiträumen ist bei der „Erstentdeckertheorie“ unklar, z.B. wenn der Versicherungsnehmer trotz qualifizierter Mahnung (§ 38 VVG) keine Prämie zahlt, später aber durch eine Prämienzahlung ex nunc wieder Deckung besteht oder der Versicherungsnehmer jahrelang keine Gebäudeversicherung abschließt.
V. Auf Grundlage der „Erstentdeckertheorie“ müsste diese eine Deckung verneinen, wenn zum Zeitpunkt der Entdeckung keine Versicherung mehr bestand, auch wenn klar ist, dass der Schaden zu einem Zeitpunkt (auch) eintrat, wo der Versicherungsvertrag noch bestand (argumentum ad absurdum).
Richtigerweise ist weder der „Theorie des ersten Tropfens“ noch der „Theorie des letzten Tropfens“ zu folgen, sondern der „Anteilstheorie“. Bei dieser ist eine quotale Abgrenzung der Sachsubstanzschäden vorzunehmen. Dabei ist, in der Regel mit sachverständiger Hilfe, der Leitungswasserschaden zu ermitteln, der bis zum Wechsel von einem auf den anderen Versicherer eintrat. Der erste Versicherer
deckt den Schaden bis zum Wechsel auf den nächsten Versicherer. Sollten deckungslose Zeiträume bestehen, sind diese herauszurechnen. Nur die Anteilstheorie führt zu sachgerechten Ergebnissen. Die praktischen Schwierigkeiten sind beherrschbar, insbesondere aufgrund der weiten Schätzungsbefugnis im Rahmen des § 287 ZPO (näher hierzu Günther, VersR 2017, 1435, 1437).
D. Auswirkungen für die Praxis
Folgt man der „Erstentdeckertheorie“ und löst die sich aufdrängenden Folgefragen, ist deren eingeschränkter Anwendungsbereich zu beachten.
I. Zunächst setzt auch diese „Theorie des letzten Tropfens“ voraus, dass der Versicherungsnehmer nachweist, dass zum Zeitpunkt der „Erstentdeckung“ eine Versicherung bestand und in deren Zeitraum zumindest „ein Tropfen“ zu einem (weiteren) Sachsubstanzschaden geführt hat. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Versichererwechsels oder des erstmaligen Abschlusses der Versicherung die Schadensentwicklung bereits abgeschlossen war.
II. Auf Grundlage der VGB 62 gilt weiterhin die „Theorie des ersten Tropfens“. Nach § 6 Nr. 2 VGB 62 ist der Versicherungsfall, anders als in neueren Bedingungen, worauf der BGH in seinem Urteil vom 12.07.2017 hinweist, definiert („in dem Zeitpunkt ein[tritt], in dem sich eine versicherte Gefahr an versicherten Sachen zu verwirklichen beginnt“, vgl. auch Felsch, RuS 2014, 313; Gruber/Mittendorf, NJW 2015, 2433).
III. Ferner gilt die „Erstentdeckertheorie“ nur für den Versicherungsfall „Leitungswasser“, nicht bereits für die versicherte Gefahr „Rohrbruch“, so zutreffend das OLG Saarbrücken.
IV. Gleiches gilt erst recht für andere Versicherungszweige in der Sachversicherung, wie „Feuer“, „Sturm“, „Einbruchdiebstahl“ o.a. Kommt es z.B. in der Silvesternacht zu einem Brand durch Feuerwerkkörper und ist der Beginn des Brandes nicht aufklärbar, bliebe der Versicherungsnehmer beweisfällig, wenn es just um 24:00 Uhr zu einem Versichererwechsel kam. Diese Konstellation hat jedoch mit der „Erstentdeckertheorie“ nichts zu tun, da es sich um ein punktuelles Ereignis handelt.
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