Nachfolgend ein insbesondere in Kapitalanlage-Fällen interessanter Beitrag vom 9.3.2018 von Schott, jurisPR-BGHZivilR 4/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden.
2. Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält.
A. Problemstellung
Angesichts der sehr weiten Definition des Fernabsatzgeschäfts i.S.d. § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. (jetzt: § 312c BGB) liegt es nahe, dass Anwaltsverträge den Regeln für den Fernabsatz unterfallen können, da sie häufig unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (etwa Post, Telefon, Fax oder Internet) zustande kommen. Es wird deshalb in all diesen Fällen entscheidend darauf ankommen, ob deshalb kein Fernabsatz vorliegt, weil der Vertragsabschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. Dazu nimmt die hier besprochene Entscheidung Stellung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten um von der Klägerin berechnetes Anwaltshonorar. Der Beklagte hatte sich an einer Fondsgesellschaft beteiligt und erhielt im Januar 2014 über eine „i.GmbH“ ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und zur Rücksendung eines Fragebogens und einer Vollmacht einlud. Dem Schreiben war unter anderem eine auf die Klägerin lautende Rechtsanwaltsvollmacht beigefügt, die die Klägerin der i.GmbH als Blankoformular für eine Vielzahl von potenziellen, von der i.GmbH zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt hatte. Der Beklagte unterzeichnete die Vollmacht und sandte sie mit den weiteren Unterlagen an die i.GmbH zurück, die diese der Klägerin übermittelte. Die Klägerin machte dann, ohne mit dem Beklagten Kontakt aufgenommen zu haben, gegenüber der Fondsgesellschaft außergerichtlich Ansprüche geltend.
Die außergerichtliche Inanspruchnahme blieb erfolglos, weshalb die Klägerin dem Beklagten eine Prozessvollmacht zur Unterzeichnung und Rückgabe übersandte, was der Beklagte ablehnte. Nachdem die Klägerin ihre außergerichtliche Tätigkeit in Rechnung gestellt hatte, widerrief der Beklagte die über die i.GmbH erteilten Vollmachten vorsorglich.
Die Klage auf Zahlung auf Anwaltshonorar blieb in allen Instanzen erfolglos. Der BGH lässt offen, ob zwischen den Parteien ein Anwaltsvertrag zustande gekommen war und billigt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte einen Vertrag wirksam nach der früheren Fassung der §§ 312b, 312d Abs. 1 Satz 1, 350, 355 BGB widerrufen hatte. Auch der BGH nimmt an, dass es sich um ein widerrufliches Fernabsatzgeschäft handele und die Klägerin nicht dargelegt habe, dass kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bestehe.
Der BGH geht damit davon aus, dass dem streitigen Begehren auf Zahlung von Anwaltshonorar jedenfalls der vom Beklagten erklärte Widerruf entgegensteht. Er bejaht den Charakter eines Anwaltsvertrags als Dienstleistungsvertrag im Sinne der gesetzlichen Regelung über Fernabsatzverträge. Er folgt nicht der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, nach der die Anwendung des Fernabsatzrechts bei Anwaltsverträgen, bei denen eine persönliche Dienstleistung im Vordergrund stehe, im Allgemeinen nicht gerechtfertigt sei, sondern gelangt aufgrund der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs der Dienstleistungen im Fernabsatzrecht zu dem Ergebnis, dass es nur darauf ankommt, dass eine entgeltliche, tätigkeitsbezogene Leistung an den Verbraucher erbracht wird, welche insbesondere gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher oder freiberuflicher Art ist. Er stützt dies auf die seinerzeit geltende Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.1997 (Fernabsatzrichtlinie) sowie auf den Zweck des Gesetzes, der den Schutz des Verbrauchers für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz verfolgt und ihm ein Widerrufsrecht nicht nur in den Fällen einräumt, in denen Anwaltsverträge über „Hotlines“, „Telekanzleien“ oder bei Versteigerungen zustande kommen.
Der BGH stellt sodann fest, dass die Voraussetzungen eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz vorliegen, auch wenn die Klägerin den ihr angebotenen Anwaltsvertrag nur durch schlüssiges Verhalten angenommen hat. Es kommt nur darauf an, ob der Vertrag ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien abgeschlossen worden ist, weshalb es auch regelmäßig unerheblich ist, ob ein Bote eingeschaltet worden war, wie hier in der Person der i.GmbH.
Der BGH erörtert daher im Einzelnen, ob der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt ist. Die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit den Anwalt, weil widerleglich vermutet wird, dass der Vertrag im Rahmen eines solchen Systems geschlossen wurde. Ein für den Fernabsatz organisiertes System ist zu bejahen, wenn der Unternehmer die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die für Geschäfte im Fernabsatz notwendig sind, wobei die planmäßige Werbung eines Unternehmens mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Ware genügt. Daher erfüllt ein Strukturvertrieb oder ein diesem zumindest vergleichbares Vertriebssystem die Voraussetzungen für ein für den Fernabsatz organisiertes System. Für die Annahme eines derart organisierten Systems genügt es dagegen nicht, wenn der Rechtsanwalt auf seiner Homepage lediglich Informationen über seine Dienstleistungen und Kontaktdaten zur Verfügung stellt oder wenn er nur die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrages im Fernabsatz unterhält, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer, Telefon- oder Faxanschlüsse, die er auch sonst für den Betrieb seiner Anwaltskanzlei benötigt. Ob sich der Rechtsanwalt – wie hier – ein fremdes Organisations- oder Dienstleistungserbringungssystem zunutze macht, ist ebenso wenig bedeutsam wie die Frage, ob eine Rechtsanwaltskanzlei, die ein solches Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nutzt, auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von Anwaltsverträgen unterhält.
Abschließend hält der BGH fest, dass verfassungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang mit § 312b Abs. 1 BGB a.F. nicht bestehen. Die Vorschrift ist ausreichend bestimmt und bietet eine hinreichend zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung unter Berücksichtigung des Normzwecks.
C. Kontext der Entscheidung
Der BGH entscheidet zunächst, dass ein Anwaltsvertrag unter das Fernabsatzrecht fällt, wenn er ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen ist. Es steht dies mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH im Einklang, nach der etwa auch Maklerverträge, kommen sie ausschließlich im Wege von Fernkommunikationstechniken zustande, dem Fernabsatzrecht unterfallen (BGH, Urt. v. 07.07.2016 – I ZR 30/15 Rn. 41 – NJW 2017, 1024). Es ist dies auch darauf gegründet, dass der unionsrechtliche Begriff der Dienstleistungen weit auszulegen ist. Nach dem insoweit maßgebenden Art. 57 AEUV sind Dienstleistungen im europarechtlichen Sinne Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen (BGH, Urt. v. 07.07.2016 – I ZR 30/15 Rn. 40). Daher hat der EuGH einen Anwaltsvertrag ohne weiteres als Vertrag über juristische Dienstleistungen eingeordnet (EuGH, Urt. v. 15.01.2015, C-537/13 Rn. 34 – NJW 2015, 1289). Das Schrifttum folgt dieser Qualifizierung eines Anwaltsvertrages – soweit ersichtlich – einhellig (Thüsing in: Staudinger, BGB, 2012, § 312b BGB a.F. Rn. 17; Rinkler in: Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 1 Rn. 43; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 4. Aufl., § 3 Rn. 10 ff.; Ernst, NJW 2014, 817, 818).
Das eigentliche Problem stellt demnach die Frage dar, wann sich der Rechtsanwalt, hat er mit seinem Klienten einen Anwaltsvertrag nur mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln geschlossen, darauf berufen kann, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. Der Gesetzgeber hat die Konkretisierung dieses Begriffs der Rechtsprechung überlassen (Thüsing in: Staudinger, BGB, § 312b BGB a.F. Rn. 48). Der BGH hat die Verwendung eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems für den Fall einer „Bestell-Hotline“ bejaht (BGH, Urt. v. 21.10.2004 – III ZR 380/03 – BGHZ 160, 393, 400). Im hier besprochenen Urteil nimmt er an, dass die Klägerin die gegen sie sprechende Vermutung der Verwendung eines solchen Systems nicht widerlegt hat, weil sie sich eines Strukturvertriebs bedient hat und verschiedene Umstände für den Einsatz eines derartigen Systems sprechen, wie die Überlassung einer Vielzahl von Blankoformularen für eine Vielzahl von Kapitalanlegerfällen und der Umstand, dass die i.GmbH Kontakt mit den Anlegern aufgenommen und hierbei ein von der Klägerin verwendetes standardisiertes Schreiben benutzt hat (Rn. 21).
Der BGH lässt aber offen, ob etwa weitere Anforderungen an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind und gibt andererseits Hinweise darauf, die gegen das Einrichten eines derartigen Systems sprechen. Dazu nennt er, dass ein Anwalt auf seiner Homepage lediglich Informationen über seine Dienstleistungen und seine Kontaktdaten zur Verfügung stellt, wozu er auf den Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011 verweist. Für „unschädlich“ hält er ferner, dass ein Anwalt nur die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrages im Fernabsatz unterhält, wie Briefkasten, elektronische Postfächer, Telefon- oder Faxanschlüsse, die er auch sonst zur Bewältigung des Betriebes einer Anwaltskanzlei benötigt. Das Schrifttum ist uneinheitlich (vgl. nur Thüsing in: Staudinger, BGB, § 312b BGB a.F. Rn. 48 ff. oder Wendehorst in MünchKomm BGB, 7. Aufl., § 312c Rn. 21, jeweils mit Nachweisen).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BGH bringt jedenfalls teilweise Klarheit, weil danach das Unterhalten von Fernkommunikationsmitteln in einer Anwaltskanzlei und der Abschluss eines Anwaltsvertrages im Rahmen der Fernkommunikation für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass ein organisiertes System des Fernabsatzes vorliegt. Es muss daher nicht für einen Fernabsatzvertrag sprechen, wenn der Rechtsanwalt Mandatsverträge mit seinen Klienten regelmäßig mittels Fernkommunikationsmitteln abschließt, wie das heute möglicherweise weitgehend der Fall ist. Welche weiteren Voraussetzungen außerhalb eines Strukturvertriebes für ein organisiertes Fernabsatzsystem von Bedeutung sind, muss die weitere Rechtsprechung zeigen. Es ist hierbei ein gerechter und fairer Ausgleich zwischen den Interessen der Anwaltschaft einerseits und der Verbraucher andererseits zu finden. Wenn der Schutz der Verbraucher nicht entscheidend in Frage gestellt ist – etwa bei einem Anwaltssuchdienst –, wird man die Vermutung eines Fernabsatzvertrages als widerlegt ansehen können.
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