Nachfolgend ein Beitrag vom 10.5.2017 von Schulze, jurisPR-ArbR 19/2017 Anm. 5

Leitsatz

Der Arbeitnehmer genügt der ihm obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereit gehalten hat.

A. Problemstellung

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Überstunden war die Entscheidung des BAG vom 01.09.2010 (5 AZR 517/09), dass eine Pauschalabgeltungsklausel in Arbeitsverträgen unwirksam ist, wegweisend. Trotz der seither einsetzenden, zunehmend arbeitnehmerfreundlicheren Judikatur sind längst nicht alle Fragen geklärt. Vorliegende Besonderheit war die Tätigkeit des klagenden Berufskraftfahrers, der sich zur Darlegung seiner Überstunden seiner Fahrerkarte bediente. Ist eine solche Aufzeichnung i.S.v. § 21a Abs. 7 Satz 1 ArbZG ein geeignetes Hilfsmittel bei der Darlegung von Überstunden? Weiterhin war zu klären, wann Überstunden bei unregelmäßiger Arbeitszeit vorliegen.

B.Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war im Betrieb der Beklagten als Kraftfahrer zu einem festen Bruttomonatsentgelt bei einer vertraglichen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden beschäftigt. Der Kläger war arbeitsvertraglich verpflichtet, im „gesetzlichen Rahmen Mehrarbeit zu leisten“. Mit einem digitalen Kontrollgerät im Lastzug musste der Kläger Zeiten, die nicht Lenkzeiten sind, manuell als „sonstige Arbeitszeit“ oder „Pause“ kennzeichnen.
Die Anzahl der Überstunden errechnete der Kläger anhand seiner Fahrerkarte, deren Auswertung er erst als Anlage zur Klage reichte und zweitinstanzlich durch den Vortrag, an welchen Tagen er von wann bis wann welche Tour gefahren war, ergänzte. Der Berechnung der Höhe der Überstundenvergütung legte der Kläger in jedem Monat unterschiedliche Bruttostundenlöhne zugrunde.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers vor dem BAG war erfolgreich.
Es hat entschieden, dass den Arbeitnehmer zwar die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, über die Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet zu haben und dass die Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst worden oder sie ihm zumindest zuzurechnen sein müssen. Die Darlegung der Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer habe dabei entsprechend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen, die konkrete Angabe der ausgeübten Tätigkeiten sei aber nicht erforderlich. Vielmehr müsse der Arbeitgeber zunächst im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hatte und an welchen Tagen der Arbeitnehmer wann diesen Weisungen nicht nachgekommen sei. Da die Beklagte wisse, welche Tätigkeiten (Touren) sie dem Kläger zugewiesen hatte, müsse sie dies unter Auswertung der Aufzeichnungen substantiiert darlegen.
Misstraue der Arbeitgeber den Aufzeichnungen nach § 21a Abs. 7 ArbZG, so obliegt es diesem, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass er z.B. Kenntnis von der Dauer der Wartezeiten nehmen kann.
Das BAG betont darüber hinaus, dass § 21a Abs. 3 ArbZG keine vergütungsrechtliche, sondern lediglich arbeitsschutzrechtliche Relevanz beigemessen werden dürfe, so dass eine Überschreitung der Arbeitszeit nicht zum Ausschluss von Vergütungsansprüchen führt, ebenso wenig wie die arbeitsvertragliche Verpflichtung des Klägers zu Mehrarbeit, da es sich nicht um Dienste höherer Art handelt, die eine objektive Vergütungserwartung ausschließen.
Trotz Erfüllung der Darlegungslast hielt das BAG die Klage bislang jedoch für unschlüssig. Überstünden fielen beim klagenden Kraftfahrer nur an, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Ausgleichszeitraum des § 21a Abs. 4 ArbZG, 16 Wochen oder vier Monate, überschritten werde. Dies trage auch dem Umstand Rechnung, dass der Kläger seine Arbeitsleistung nicht gleichbleibend an allen Tagen jeder Kalenderwoche erbringe. Hierzu müsse der Kläger noch vortragen. Das Verfahren wurde deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

C. Kontext der Entscheidung

Das BAG bestätigt in seinem Urteil seine bisherige Rechtsprechung zur Darlegungslast bei der Geltendmachung von Überstunden. Grundlage für den Anspruch von Überstunden ist, sofern keine arbeits- oder tarifvertraglichen Regelungen vorliegen, § 612 BGB. Dabei ist zu beachten, dass der Anspruch durch pauschale Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen nicht ausgeschlossen werden kann; solche Klauseln sind unwirksam. Ausgeschlossen sein kann eine Überstundenvergütung aber dann, wenn der Arbeitnehmer Dienste höherer Art verrichtet, eine objektive Vergütungserwartung aufgrund des ohnehin hohen Entgelts also nicht angenommen werden könne. Starre Grenzen, wann diese Entgeltgrenze erreicht ist, gibt es nicht. Das BAG hatte im Jahre 2012 eine zusätzliche Vergütungserwartung bezüglich der geleisteten Überstunden bei einem Bruttomonatsgehalt i.H.v. 5.833,33 Euro ausgeschlossen (BAG, Urt. v. 17.08.2011 – 5 AZR 406/10).
Wichtig im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Überstunden ist die mittlerweile vom BAG eröffnete Möglichkeit, Überstunden gerichtlich zu schätzen, sofern unstreitig ist, dass diese angefallen sind, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im streitigen Zeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war (BAG, Urt. v. 25.03.2015 – 5 AZR 602/13).

D. Auswirkungen für die Praxis

Überstundenklägern zu ihrem Recht zu verhelfen bedeutet nach wie vor viel Arbeit für Kläger und Anwalt. Dabei stellt das BAG klar, dass die Anforderungen an die Darlegungslast nicht überspannt werden dürfen. So ist es auf der ersten Stufe der Darlegung gerade nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, detailliert auszuführen, welche Aufgaben er während der geleisteten Arbeitszeiten verrichtet hat, vielmehr obliegt es dem Arbeitgeber, substantiiert zu bestreiten, dass der Arbeitnehmer in den dargelegten Zeiten keine Arbeitsleistung erbracht habe. In dem Vortrag, Überstunden geleistet zu haben liegt auch der Vortrag, währenddessen die geschuldete Tätigkeit ausgeübt zu haben.
Sofern Ausgleichszeiträume gesetzlich oder tariflich vorgesehen sind, ist es möglich, durch Festlegung gleichzeitig den Beginn der Ausgleichszeiträume zu bestimmen. Je nach Zeitpunkt ist so u.U. ein höherer Betrag einklagbar. Will der beklagte Arbeitgeber ein solches Ergebnis verhindern, müsste er darlegen, dass sich bei einer Verschiebung des Ausgleichszeitraums ein anderer, geringerer Betrag, ergeben würde. Dass wäre regelmäßig mit einem hohen Aufwand verbunden.