Nachfolgend ein Beitrag vom 5.7.2017 von Boigs, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Eine fehlende Information über die Sozialplanprivilegierung nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG des neuen Inhabers führt dazu, dass die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Lauf gesetzt wird.
2. Mit dem Ablauf des Privilegierungszeitraums von vier Jahren seit der Gründung des neuen Inhabers ist dieser Fehler in der Unterrichtung kraft Gesetzes geheilt. Zu diesem Zeitpunkt beginnt im Hinblick auf diesen Unterrichtungsfehler entsprechend § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB eine Widerspruchsfrist von einem Monat zu laufen.

A. Problemstellung

Entspricht die Unterrichtung der betroffenen Arbeitnehmer anlässlich eines Betriebsübergangs nicht den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 613a Abs. 5 BGB, ist sie also fehlerhaft, beginnt die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB nicht zu laufen. Arbeitnehmer haben dann die Möglichkeit, auch noch längere Zeit nach dem tatsächlichen Betriebsübergang dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. In der vorliegenden Entscheidung hat sich das BAG mit der zeitlichen Begrenzung des Widerspruchsrechts in einer nicht unbedeutenden Fallgestaltung befasst.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den 31.12.2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht. Der Kläger, die Beklagte als seine bisherige Arbeitgeberin und die V. GmbH & Co. KG (V.) als neue Arbeitgeberin schlossen am 25.05.2005 einen „Dreiseitigen Vertrag“. Danach wurde das bisherige Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten einvernehmlich mit Ablauf des 31.03.2005 aufgelöst und ab dem 01.04.2005 ein neues Arbeitsverhältnis mit der V. begründet. Die Beklagte hatte die V. gegründet, um den zum damaligen Zeitpunkt anstehenden Personalabbau in ihrem Konzern sozialverträglich zu gestalten.
Zum 01.01.2008 ging der Betrieb der V. im Wege des Betriebsübergangs (§ 613a BGB) auf die NSNS GmbH & Co. KG (NSNS) über. Die NSNS war durch Umfirmierung aus der CM GmbH & Co. KG hervorgegangen. Die Firmenänderung war am 18.10.2007 in das Handelsregister eingetragen worden. Die V. und die NSNS hatten den Kläger mit Schreiben vom 16.11.2007 über den beabsichtigten Betriebsübergang unterrichtet. Dieses Schreiben enthielt weder einen Hinweis auf eine etwaige Sozialplanprivilegierung der NSNS nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG noch Angaben zu den Modalitäten des am 21.10.2007 zwischen der V. und der Beklagten einerseits und der NSNS und ihrer Muttergesellschaft andererseits geschlossenen Unternehmenskaufvertrages. Nach dem Betriebsübergang stellte die zwischenzeitlich in eine GmbH umgewandelte V. ihr operatives Geschäft vollständig ein und wurde auf die Beklagte verschmolzen (Verschmelzungsvertrag vom 27.08.2012) und schließlich am 10.09.2012 im Handelsregister gelöscht.
Der Kläger arbeitete seit dem 01.01.2008 bei der NSNS weiter. Diese informierte im Frühjahr 2013 ihre Arbeitnehmer über ihren Entschluss, den Geschäftsbetrieb zum 31.12.2013 einzustellen. Daraufhin widersprach der Kläger gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der V. mit Schreiben vom 14.03.2013 und noch einmal mit Schreiben vom 30.04.2013 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der V. auf die NSNS. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Unterrichtung vom 16.11.2007 sei unvollständig und damit nicht ordnungsgemäß gewesen und habe deshalb die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang setzen können. So fehlten der Hinweis auf die Sozialplanprivilegierung der NSNS und Angaben zu den Modalitäten des Unternehmenskaufvertrages.
Das BAG hat die Klage des Klägers festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten über den 31.12.2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht, abgewiesen.
Zur Begründung führt das BAG aus, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten bereits seit dem 01.04.2005 kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe. Aufgrund des Dreiseitigen Vertrages sei das Arbeitsverhältnis zur Beklagten mit Ablauf des 31.03.2005 beendet und ab dem 01.04.2005 ein neues Arbeitsverhältnis mit der V. begründet worden. Zwar sei die Beklagte Rechtsnachfolgerin der auf sie verschmolzenen V. geworden, jedoch habe der Kläger im März/April 2013 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der V. auf die NSNS nicht mehr wirksam widersprechen können, da sein diesbezügliches Widerspruchsrecht zu diesem Zeitpunkt bereits erloschen war.
Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob es sich bei der NSNS um eine gesellschaftsrechtliche Neugründung mit der Sozialplanprivilegierung i.S.d. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gehandelt habe, lässt das BAG dahinstehen. Das BAG weist aber darauf hin, dass selbst dann, wenn die NSNS unter die Sozialplanprivilegierung gefallen wäre, der Widerspruch des Klägers im Hinblick auf einen Unterrichtungsmangel zu spät erfolgt sei.
Das BAG stellt dazu fest, dass die Sozialplanprivilegierung eines Betriebserwerbers eine mit dem Betriebsübergang verbundene veränderte rechtliche Situation darstelle, die nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB wegen der wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer im Unterrichtungsschreiben mitgeteilt werden müsse. Sie könne zu einer gravierenden Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bei dem neuen Betriebsinhaber führen, so dass sie als ein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse anzusehen sei. Aufgrund dessen setze eine fehlende Information über die Sozialplanprivilegierung des neuen Betriebsinhabers die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang.
Sie begründe – so das BAG – aber kein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers. Vielmehr trete mit dem Ablauf des Privilegierungszeitraums von vier Jahren seit der Gründung des neuen Betriebsinhabers eine rechtliche Zäsur ein. Dann bestehe nämlich kein wechselseitiger Bezug mehr zwischen der Verpflichtung, über eine Sozialplanprivilegierung des Erwerbers gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG zu unterrichten und dem Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB. Ab dem Zeitpunkt könne die Sozialplanprivilegierung nicht mehr eingreifen und die wirtschaftliche Absicherung der Arbeitnehmer bei dem Betriebserwerber nicht mehr gefährden und damit auch kein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber mehr sein. Der Fehler in der Unterrichtung sei dann kraft Gesetzes geheilt. Der durch Zeitablauf eingetretene Wegfall der Sozialplanprivilegierung führe dazu, dass sich die zunächst unvollständige Unterrichtung insoweit nunmehr kraft Gesetzes als vollständig erweise mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt entsprechend § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB eine Widerspruchsfrist von einem Monat anlaufe.
Das bedeute für den vorliegenden Fall, dass ein etwaiger Unterrichtungsmangel, der auf einem fehlenden Hinweis auf eine (etwaige) Sozialplanprivilegierung der NSNS gemäß § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG beruhe, von Gesetzes wegen mit Ablauf von vier Jahren seit der Gründung der NSNS geheilt gewesen wäre. I.S.v. § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG könne als Gründungszeitpunkt der NSNS jedenfalls der Zeitpunkt der Übernahme des Betriebes – also der 01.01.2008 – angenommen werden, so dass die Sozialplanprivilegierung längstens bis zum 01.01.2012 gedauert hätte (vgl. die §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Unter Berücksichtigung der sich dann anschließenden einmonatigen Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB hätte der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der V. auf die NSNS längstens bis zum Ablauf des 01.02.2012 widersprechen können.
Schließlich hat das BAG festgestellt, dass die Unterrichtung vom 16.11.2007 über den Betriebsübergang von der V. auf die NSNS auch nicht aus anderen Gründen fehlerhaft gewesen sei.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des BAG ist in folgendem Zusammenhang zu sehen:
I. § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG befreit Unternehmen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung von der Verpflichtung, bei Betriebsänderungen – gleich welcher Art – einen Sozialplan aufstellen zu müssen. Ausschlaggebend ist das Alter des Unternehmens. Es besteht also auch dann keine Sozialplanpflicht, wenn ein neu gegründetes Unternehmen eine Betriebsänderung in einem Betrieb durchführt, den es gemäß § 613a BGB übernommen hat, der jedoch schon länger als vier Jahre existiert (BAG, Beschl. v. 27.06.2006 – 1 ABR 18/05 – NZA 2007, 106). Zweck der Regelung ist es, Neugründungen von Unternehmen und damit zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu fördern. Neu gegründeten Unternehmen soll die schwierige Anfangsphase des Aufbaus erleichtert werden.
II. Die Sozialplanprivilegierung des Betriebserwerbers gemäß § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB wegen möglicher wirtschaftlicher Folgen für die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer im Unterrichtungsschreiben mitzuteilen (BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12 Rn. 29 ff. – NZA 2014, 610). Der Privilegierung des neuen Arbeitgebers entspricht reflexartig eine geminderte Rechtsposition der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse übergegangen sind.
III. Die Widerspruchsfrist von einem Monat gemäß § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB wird nur durch die ordnungsgemäße Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB in Lauf gesetzt (BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14 Rn. 27 – NZA 2016, 647). Im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung besteht grundsätzlich keine gesetzlich festgelegte zeitliche Grenze für die Ausübung des Widerspruchsrechts. Eine Grenze wird ggf. durch die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB (Verwirkung) gezogen (BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12 Rn. 25 ff. – NZA 2014, 774).
IV. In der vorliegenden Fallgestaltung ist das BAG einen anderen Weg gegangen. Danach ist die zeitliche Begrenzung der Ausübung des Widerspruchsrechts in dem gesetzlich geregelten Privilegierungstatbestand angelegt. Ist die Dauer der Sozialplanprivilegierung abgelaufen, entfaltet sie auch keine Wirkung mehr. Die Unterrichtungspflicht entfällt; eine Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung ist geheilt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des BAG ist gut begründet und nachvollziehbar. Sie ist ein weiterer Mosaikstein der Rechtssicherheit in der Rechtsprechung zu der Problematik der „zeitlich unbegrenzten“ Ausübung des Widerspruchsrechts nach fehlerhafter Unterrichtung. Dies gilt jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung, nämlich der Ausübung des Widerspruchsrechts nach Ablauf der zeitlichen Befristung der Sozialplanprivilegierung. Ob bei einem Widerspruch innerhalb der Vierjahresfrist des § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG ggf. auf den Verwirkungstatbestand zurückgegriffen werden kann, bleibt fraglich.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Im Rahmen seiner weiteren Prüfung ist das BAG zu dem Ergebnis gekommen, dass die fehlenden Angaben zu den Modalitäten des am 21.10.2007 geschlossenen Unternehmenskaufvertrages nicht zu einer Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens vom 16.11.2007 geführt hätten.
Im Wesentlichen ging es um die Verpflichtung der V., an die NSNS eine Restrukturierungs- und Verlustausgleichszahlung i.H.v. 280 Mio. Euro über fünf Jahre sowie Lohnausgleichszahlungen für Arbeitnehmer und beurlaubte Beamte zu leisten, als auch um die Verpflichtung der Beklagten, der NSNS für einen Zeitraum von fünf Jahren Serviceleistungen, die zu einem garantierten Mindestumsatz pro Jahr führten, direkt oder indirekt über verbundene Unternehmen zu übertragen, sowie um die bis zum 31.01.2009 befristete harte Patronatserklärung der Muttergesellschaft der NSNS zugunsten ihrer Tochtergesellschaft.
Das BAG führt dazu aus, dass die V. und die NSNS den Kläger gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB über den Rechtsgrund für den Betriebsübergang, nämlich den Kaufvertrag vom 21.10.2007 ordnungsgemäß unterrichtet hätten. Einzelne Bestandteile eines Kaufvertrages gehörten nicht zum „Grund“ i.S.v. § 613a Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 6 BGB.
Auch die Unterrichtung über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsübergangs für die Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB sei nicht unvollständig gewesen. Zu unterrichten sei über die ökonomischen Rahmenbedingungen des Betriebsübergangs, sofern diese zu einer so gravierenden Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bei dem neuen Betriebsinhaber führten, dass sie als ein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang der Arbeitsverhältnisse anzusehen seien (BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12 Rn. 30). Deshalb bestehe in der Regel keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebsübernehmers im Einzelnen zu unterrichten, zumal deren Beurteilung grundsätzlich nicht eindeutig anhand objektiver Tatsachen erfolgen könne. Das bedeute auch, dass das wirtschaftliche Potenzial des Betriebserwerbers grundsätzlich nicht Gegenstand der Informationspflicht nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 BGB sei. Eine Unterrichtung über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebserwerbers sei allerdings dann erforderlich, wenn die wirtschaftliche Notlage des neuen Inhabers offensichtlich sei, wie z.B. bei einem bereits eingeleiteten Insolvenzverfahren (BAG, Urt. v. 31.01.2008 – 8 AZR 1116/06 Rn. 33 – NZA 2008, 642).
Für diese Voraussetzungen und insbesondere eine prekäre wirtschaftliche oder finanzielle Situation der NSNS hätten im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte vorgelegen, so dass keine Verpflichtung bestanden habe, die näheren Einzelheiten des Unternehmenskaufvertrages vom 21.10.2007 mitzuteilen. Vielmehr seien die beschriebenen Maßnahmen zusammen mit der Vereinbarung eines bis zum 31.12.2008 befristeten Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen sowie eines ebenso befristeten Ausschlusses einer Betriebsschließung des übertragenen Geschäftsbetriebes Teile eines Maßnahmenpakets gewesen, dass vor allem die Beschäftigung der übergegangenen Arbeitnehmer für einen längeren Zeitraum sichern sollte. Eine Beschäftigungsgarantie auf Dauer gebe § 613a BGB dem Arbeitnehmer allerdings nicht.