Nachfolgend ein Beitrag vom 26.09.2016 von Swierczok, jurisPR-InsR 18/2016 Anm. 2
Orientierungssatz zur Anmerkung
Von der Regelung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind auch solche Verbindlichkeiten von Nichtgesellschaftern erfasst, die der Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entsprechen.
A. Problemstellung
Gesellschaftergläubiger haben es in der Insolvenz der Gesellschaft nicht immer leicht. Durch zahlreiche Normen – zu nennen sind hier insbesondere die § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und § 135 InsO – werden sie gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern schlechter gestellt.
Auch Nichtgesellschafter können unter bestimmten Voraussetzungen in den Anwendungsbereich dieser Regelungen fallen. Im Detail ist vieles ungeklärt.
Mit der Einbeziehung eines Nichtgesellschafters in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO hatte sich Anfang des Jahres das OLG Koblenz zu beschäftigen. Die Regelung sieht vor, dass Zahlungen auf ein Gesellschafterdarlehen bzw. eine gleichgestellte Forderung, die innerhalb eines Jahres vor dem Eröffnungsantrag bzw. danach erfolgt sind, ohne weitere Voraussetzungen angefochten werden können.
Die vorliegende Entscheidung ist im Zusammenhang mit einem vorab in gleicher Sache ergangenen Hinweisbeschluss des OLG Koblenz vom 21.12.2015 – 3 U 891/15 zu sehen. Dieser wird in der Anmerkung mitbehandelt.
Schließlich sei noch auf die Entscheidungen des OLG Jena vom 25.09.2015 (1 U 503/15) und vom 18.11.2015 (1 U 503/15, m. Anm. Swierczok, jurisPR-InsR 9/2016 Anm. 4) hingewiesen, die den gleichen Sachverhalt betrafen, jedoch aus dem Blickwinkel des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte war ursprünglich Gesellschafter der Schuldnerin, einer GmbH. Etwa drei Jahre vor der Insolvenz übertrug er seine Gesellschaftsanteile an der Schuldnerin an seine Lebensgefährtin.
Die Schuldnerin selbst übte zwei Geschäftsfelder aus: eine kostendeckende Hausverwaltung sowie eine gewinnbringende Gebäudesanierungstätigkeit, mit der letztlich der gesamte Unternehmensgewinn erwirtschaftet wurde. Dabei fehlte der Schuldnerin seinerzeit die erforderliche Liquidität für die Vorfinanzierung des Bereichs Gebäudesanierung. Aus diesem Grund schloss die Schuldnerin mit dem Beklagten einen sogenannten „Meta-Vertrag“ über ihr derzeit einziges Gebäudesanierungsprojekt. Dieser „Meta-Vertrag“ sah eine Gewinnverteilung bezüglich des konkreten Projekts i.H.v. 80% zugunsten des Beklagten und i.H.v. 20% zugunsten der Schuldnerin vor. Im Rahmen des „Meta-Vertrags“ wurde zudem geregelt, dass die Abwicklung des konkreten Gebäudesanierungsprojekts nach außen einzig durch die Schuldnerin erfolgen sollte. Dem Beklagten wurden jedoch der Kontozugriff und die Einsicht in die Bücher und Geschäftsunterlagen der Schuldnerin eingeräumt. Im Gegenzug verpflichtete sich der Beklagte mit Vertrag vom 01.12.2009 zur darlehensweisen Finanzierung der Gebäudesanierungstätigkeit i.H.v. 500.000 Euro.
Am 08.03.2012 zahlte die Schuldnerin 11.000 Euro und am 14.06.2012 2.000 Euro auf die Darlehensverbindlichkeit zurück.
Mit Beschluss vom 15.05.2013 eröffnete das AG – Insolvenzgericht – Erfurt auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 31.12.2012 das Insolvenzverfahren über deren Vermögen.
Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter der Schuldnerin den Beklagten nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bzw. hilfsweise nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO auf Rückzahlung der Zahlungen nebst Zinsen in Anspruch.
Das Landgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Berufung des Beklagten beim OLG Koblenz blieb erfolglos.
Nach Auffassung des OLG Koblenz ist der Kläger zur Erstattung der Zahlungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO verpflichtet. Bei der Forderung des Beklagten handelt es sich um eine „gleichgestellte Forderung“, d.h. eine solche, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht und daher in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 InsO fällt.
Das Oberlandesgericht stützt seine Begründung dabei vorwiegend auf die Entscheidungen des BGH zu Darlehen verbundener Unternehmen (BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12) und atypischer stiller Gesellschafter (BGH, Urt. v. 28.06.2012 – IX ZR 191/11). Auch auf die oben genannten Entscheidungen des OLG Jena wird Bezug genommen.
Im Detail argumentiert das Oberlandesgericht, dass der Kläger mit der Schuldnerin über das konkrete Gebäudesanierungsprojekt, bei dem es sich derzeit um das einzige Bauvorhaben der Schuldnerin gehandelt hat, derart über seine Gewinnbeteiligungs- und Mitwirkungsrechte verbunden war, dass sein Darlehen einer Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter entsprach. Das „Ruder“ lag stets beim Beklagten, der sich der Schuldnerin gewissermaßen als „äußerer Hülle“ für seine Projekte bedient hat.
C. Kontext der Entscheidung
Unter welchen konkreten Voraussetzungen auch Nichtgesellschafter in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 InsO fallen können, ist bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur abschließend geklärt.
Dabei zeichnet sich in der Rechtsprechung derzeit folgendes Bild ab: Auch wenn Rechtshandlungen „Dritter“ in § 135 Abs. 1 InsO nicht ausdrücklich erwähnt sind, geht der BGH unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zu § 135 InsO bzw. § 39 InsO davon aus, dass durch die tatbestandliche Einbeziehung von „gleichgestellten Forderungen“ (bzw. „Forderungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“ i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2) auch Dritte – d.h. Nichtgesellschafter – grundsätzlich vom personellen Anwendungsbereich erfasst sein können (BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 Rn. 11).
Ebenfalls auf die Gesetzesbegründung gestützt und unter Rückgriff auf die zum alten Eigenkapitalersatzrecht entwickelte Rechtsprechung geht der BGH zudem davon aus, dass „gleichgestellte Forderungen“ solche Verbindlichkeiten sind, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen (BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 Rn. 11). Als Faustformel lässt sich den bisherigen Entscheidungen entnehmen, dass eine Gleichstellung dann geboten sei, wenn dem Dritten (i) neben seiner Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (ii) auch weit reichende Befugnisse zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung und die Gestaltung der Gesellschaft eingeräumt sind, insbesondere wenn er wie ein Gesellschafter die Geschicke der Gesellschaft mitzubestimmen berechtigt ist (BGH, Urt. v. 07.11.1988 – II ZR 46/88). Ob diese Voraussetzungen stets kumulativ vorliegen müssen oder nicht, ist bislang aber noch ungeklärt.
Bisher hat der BGH eine Gleichstellung z.B. im Rahmen der atypischen stillen Gesellschaft (BGH, Urt. v. 28.06.2012 – IX ZR 191/11), im Fall horizontal/vertikal verbundener Unternehmen (BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12) sowie im Fall eines atypischen Pfandgläubigers (BGH, Urt. v. 13.07.1992 – II ZR 251/91) und Nießbrauchers am gesamten Gesellschaftsanteil oder Ertrag, dem gleichzeitig Mitwirkungs-, Teilnahme-, und Kontrollrechte übertragen worden waren, angenommen (BGH, Beschl. v. 05.04.2011 – II ZR 173/10).
Von den soeben genannten Fällen abzugrenzen und eher unproblematisch sind dagegen diejenigen Fälle, in denen durch den Gesellschafter eine Mittelsperson eigeschaltet wird, um der Gesellschaft mit aus dem Vermögen des Gesellschafters stammenden Mitteln eine Finanzierung zu gewähren, wie z.B. der Treugeber, der mittelbare Stellvertreter als auch der Hintermann von Strohmann-Gesellschaftern (vgl. Kuna, GmbHR 2016, 284, 286, m.w.N.).
Blickt man im nächsten Schritt auf die einschlägige Literatur sowie unterinstanzliche Rechtsprechung, dann lassen sich hier – neben zahlreichen vermittelnden Auffassungen – grob zwei Lager identifizieren:
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass der Dritte kumulativ über gesellschaftsrechtliche Vermögens- und Mitwirkungsrechte verfügen muss (z.B. Bornemann in: FK-InsO, 8. Aufl. 2015, § 39 Rn. 81; Herchen in: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 39 Rn. 81; Bitter in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, Anh. § 64 Rn. 189). Auch soll ein „Weniger“ des einen Kriteriums regelmäßig durch ein „Mehr“ des anderen Kriteriums kompensiert werden können (dies betonend Kuna, GmbHR 2016, 284, 286).
Das LG Dortmund (Beschl. v. 11.06.1985 – 9 T 274/85) sowie eine Mindermeinung in der Literatur nehmen eine Gleichstellung dagegen auch dann an, wenn dem Dritten keine unmittelbaren oder mittelbaren gesellschaftsrechtlichen Vermögens- und Mitwirkungsrechte zukommen (z.B. Fleischer, ZIP 1998, 313, 313 f.; Schwintowski/Dannischewski, ZIP 2005, 840, 842 ff.;). Ausreichend sollen z.B. durch schuldrechtliche Covenants begründete, gesellschafterähnliche Vermögens- und Mitwirkungsrechte sein.
Ohne hier im Einzelnen die Argumente für oder gegen eine der oben genannten Auffassungen nennen zu wollen, wird sich das vorliegende Problem wohl nur auf Basis des Normzwecks des § 135 Abs. 1 Alt. 2 InsO lösen lassen. Die diesbezüglich völlig bruchstückhafte Gesetzesbegründung zu § 135 InsO bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hilft bei dieser Übung aber kaum weiter.
Richtigerweise – vgl. die bereits oben genannten Entscheidungen des OLG Jena vom 25.09.2015 (1 U 503/15) und vom 18.11.2015 (1 U 503/15, hierzu Swierczok, jurisPR-InsR 9/2016 Anm. 4) – ist der Normzweck jeweils separat für die Anfechtungs- und die Nachrangregel zu ermitteln, auch wenn der Gesetzgeber eine strikte konzeptionelle Trennung zwischen beiden Instituten nicht vorgenommen hat (zutreffend Thole, ZHR 176, 513, 520 (2012) f.). Ungeachtet dessen soll hier ausschließlich der Normzweck des § 135 Abs. 1 InsO näher beleuchtet werden.
Diesen sieht der BGH unter Bezugnahme auf die „Finanzierungsfolgenverantwortung“ bei Gesellschaftern – wie bereits zum alten Recht und ohne eindeutige Differenzierung zwischen Anfechtung und Nachrang – primär in dem bestehenden Informationsvorsprung der Gesellschafter gegenüber anderen Gläubigern (so BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 Rn. 17 f.). In der Entscheidung BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 Rn. 18 heißt es hierzu:
„Die ausdrückliche Bezugnahme des Gesetzgebers auf die Novellenregeln verbunden mit der Erläuterung, die Regelungen zu den Gesellschafterdarlehen in das Insolvenzrecht verlagert zu haben (BT-Drs. 16/6140 S. 42), legt überdies die Annahme nahe, dass das durch das MoMiG umgestaltete Recht und damit auch § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO mit der Legitimationsgrundlage des früheren Rechts im Sinne einer Finanzierungsfolgenverantwortung harmoniert. Diese Würdigung entspricht der Zielsetzung des Gesetzgebers, fragwürdige Auszahlungen an Gesellschafter in einer typischerweise kritischen Zeitspanne einem konsequenten Anfechtungsregime zu unterwerfen (vgl. BT-Drs., aaO, S. 26). Der daraus ableitbare anfechtungsrechtliche Regelungszweck, infolge des gesellschaftsrechtlichen Näheverhältnisses über die finanzielle Lage ihres Betriebs regelmäßig wohlinformierten Gesellschaftern die Möglichkeit zu versagen, der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Kreditmittel zulasten der Gläubigergesamtheit zu entziehen (…), gilt infolge der gesellschaftsrechtlichen Verflechtung gleichermaßen für verbundene Unternehmen.“
Auch in der Literatur wird die Daseins-Berechtigung des § 135 Abs. 1 InsO wohl maßgeblich aus dem „Insidergedanken“ hergeleitet (Thole, ZHR 176, 513, 520 (2012); Eidenmüller in: Festschrift Canaris, 2007, Band II, S. 49, 60, 61, 64). Das bestehende Informationsgefälle zwischen Gesellschaftern und Gläubigern lässt regelmäßig erwarten, dass sich diese im Vorfeld der Insolvenz einen Vorsprung vor den anderen Gläubigern verschaffen und damit die Gleichbehandlung der Gläubiger aushebeln. Es handelt sich um eine typisierende Betrachtung, die nicht auf den Einzelfall abstellt und daher auch auf weitere subjektive Tatbestandsmerkmale verzichtet (Thole, ZHR 176, 513, 520 (2012)).
Während eine derartige abstrakte Betrachtung bei Gesellschaftergläubigern vertretbar erscheint, lässt sie sich nach hier vertretener Auffassung auf andere Insolvenzgläubiger nicht übertragen (Beim Nachrang kann dieser Erklärungsansatz dagegen schon dem Grund nach nicht überzeugen; ist die Forderung des Gesellschafters noch offen, hat der Gesellschafter seinen Informations- und Entscheidungsvorsprung ja gerade nicht genutzt, vgl. Swierczok, jurisPR-InsR 9/2016 Anm. 4). Eine solche Ausdehnung birgt die Gefahr einer Einzelfallbetrachtung ohne klare Umrisse in sich und ist zur Wahrung der Rechtsklar- und Rechtssicherheit abzulehnen. Lediglich eine Erweiterung auf offensichtliche Missbrauchs- und Umgehungskonstellationen, wie z.B. bei Einschaltung einer Mittelsperson (siehe Fälle oben), scheint vertretbar (Gedanke des § 242 BGB). Letztlich besteht nach hier vertretener Ansicht auch kein praktisches Bedürfnis für eine tatbestandliche Ausdehnung der Regelung. Die meisten kritischen Fälle werden sich unter Anwendung der allgemeinen Anfechtungsvorschriften (§§ 130, 131, 133 InsO) zufriedenstellend lösen lassen. Damit ist die Anwendung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO durch das OLG Koblenz rechtsfehlerhaft.
Abschließend sei noch angemerkt, dass auf Grundlage des Sachverhalts ein Anspruch aus § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wohl problemlos zu bejahen gewesen wäre.
D. Auswirkungen für die Praxis
Im Lichte der weiten BGH-Rechtsprechung ist höchste Vorsicht geboten. Wenn eine Gesellschaft z.B. durch schuldrechtliche Gläubiger-Covenants faktisch ihrer Informations- und Entscheidungsfreiheit beraubt wird und der Gläubiger darüber hinaus auch am Gewinn der Gesellschaft beteiligt ist, lässt sich auf Grundlage der derzeitigen (unzutreffenden) BGH-Rechtsprechung – wie aufgezeigt – durchaus eine Anwendung des § 135 Abs. 1 InsO argumentieren. Zudem besteht die Gefahr, dass der BGH zukünftig sogar einen bloßen Informationsvorsprung – ohne zusätzliche Voraussetzungen – für eine Subsumtion unter § 135 Abs. 1 InsO genügen lassen könnte (andeutungsweise BGH, Urt. v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12 Rn. 18).
Vor dem Hintergrund der ebenfalls „scharfen“ Rechtsprechung des OLG Jena – dort wurde die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO auf einen Nichtgesellschafter unter denselben Bedingungen wie hier bejaht – kann ebenfalls nur zur höchsten Vorsicht geraten werden.
Insgesamt sollten sich Gläubiger bewusst sein, dass entsprechende Darlehen mit hohen Risiken behaftet sind.