BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09 –, BGHSt 56, 174-183

Leitsatz

Verbraucherbegriff bei progressiver Kundenwerbung

Anmerkung: Hierbei handelt es sich um eine seit langem erwartete Klarstellung. Der Verfasser hatte eine Vielzahl Geschädigter in dem den Gegenstand der Entscheidung des BGH bildenden System strafbarer progressiver Kundenwerbung (PPV/BIFOS) vertreten und als nahezu einziger anwaltlicher Vertreter die Rückzahlungsforderungen gegenüber den Betreibern auf die Vorschrift des § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 16 Abs.2 UWG gestützt und die Klagen nicht auf vertragliche Ansprüche oder sonstige Rechtsgründe aufgebaut. Den Betreibern des strafbaren Schneeballsystems wurde noch während der Verurteilung durch die Strafkammer des Landgerichts Leipzig von Zivilkammern des gleichen Landgerichts die Zulässigkeit des Systems attestiert, dies mit teilweise abstrusen Definitionen des Verbraucherbegriffs. Zahlreiche Richter des Amtsgerichts Leipzig hatten zuvor ebenso (falsch) entschieden und Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten der Klagen zurückgewiesen. Die Klageschriften in den amtsgerichtlichen (!) Verfahren umfassten jeweils über 40 Seiten zuzüglich einer nahezu doppelten Anzahl von Anlagen. Der weitaus größte Teil der hier geführten Verfahren wurde in erster Instanz nach Gewährung von Prozesskostenhilfe oder mit Deckung einer Rechtschutzversicherung (teilweise erst nach vorheriger Deckungsschutzklage) per Vergleich erledigt, sodass die Geschädigten wenigstens noch einen Teil des Geldes zurück bekamen. Die späteren Klagen anderer Geschädigter, die den Ausgang des Strafverfahrens auf Empfehlung ihrer anwaltlichen Vertreter abgewartet hatten, wurden zwar dann von den Zivilgerichten  „durchgewunken“, irgendein Erfolg in der Zwangsvollstreckung konnte da jedoch nicht mehr erzielt werden.

Der BGH hat die Vorschrift des § 16 Abs.2 UWG, eine in dem Gesetz „versteckte“ Verbraucherschutzvorschrift,  zu Recht dahingehend ausgelegt, dass maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung der Verbrauchereigenschaft nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist, sondern bereits der Zeitpunkt, in welchem der Angeworbene erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung bestimmungsgemäß unmittelbar in die Abnahme des Produkts (hier: Persönlichkeitsbildungsseminare) einmünden soll. Letztlich wäre diese Unsicherheit nach Auffassung des Verfassers nicht entstanden, hätte der Gesetzgeber die Formulierung in der Vorgängernorm des § 6c UWG „Nichtkaufmann“ belassen und nicht durch die Formulierung „Verbraucher“ ersetzt. Formaljuristisch waren damit sog. Existenzgründer nicht mehr geschützt. Der Gesetzgeber war und ist insoweit gefordert, den krassen handwerklichen Fehler zu korrigieren. Veranlassung dazu hat er indes bis heute nicht gesehen, dies nach meiner festen Überzeugung, um große Unternehmen (und Parteispender), die in eben dieser Grauzone agieren, die man gemeinhin Multi-Level-Marketing nennt, zu schützen.